GUGU: Es ist Zeit, das Kind zu holen, damit alle es anschauen können.
Kaulquappe rennt von der Bühne.
LIU GUIFANG: (wirft Yuan Backe einen vielsagenden Blick zu und murmelt leise)
Red keinen Unsinn, von wegen Gugu freut sich nicht.
Kaulquappe führt Kleiner Löwe auf die Bühne. Sie hat sich ein Handtuch um den Kopf gewickelt, im Arm trägt sie ein Bündel in einer Mullwindel. Der Kameramann beginnt sofort zu filmen. Alle klatschen und rufen dem Kleinen Glückwünsche zu.
KAULQUAPPE: Komm, zeigt es zuerst seiner Großtante.
Kleiner Löwe bringt das Bündel zu Gugu, die die Windel hochschlägt und das Baby betrachtet.
GUGU: Ein hübsches, gutes Kind. Ein wirklich gutes Kind. Hervorragende Gene, ein ebenmäßiges Gesicht. In der feudalistischen Gesellschaft würde so ein kleiner Kerl es bestimmt zum Zhuangyuan, dem besten Kandidaten bei den Staatsprüfungen, bringen.
LI HAND: Oder er übertrifft den Zhuangyuan noch, vielleicht hätte der Kleine sogar das Potenzial zum Kaiser?
GUGU: Gut, dann veranstalten wir eben einen Wettstreit im Angeben.
TV-REPORTERIN: (hält Gugu das Mikrophon vors Gesicht)
Gugu, hast du bei diesem Kind auch die Geburtshilfe gemacht?
GUGU: (steckt einen roten Umschlag in das kleine Windelpaket; Kaulquappe und Kleiner Löwe weisen das Geld zurück, aber Gugu winkt ab)
Es muss sein, es gehört sich so! Außerdem hat die Großtante Geld.
(der Reporterin zugewandt)
Ich besitze das Vertrauen der beiden. Sie war eine Spätgebärende, eine besondere psychische Belastung war das. Ich habe ihr anfangs geraten, ins Krankenhaus zu gehen und die Melone aufschneiden zu lassen. Sie wollte das partout nicht. Ich habe sie dann unterstützt, denn ich sehe ein, dass Frauen sich nur, wenn ihr Kind durch den Geburtskanal geboren wird, als vollwertig begreifen und wirklich verstehen, was es heißt, Mutter zu sein.
Während Gugu das Interview gibt, zeigen Kleiner Löwe und Kaulquappe ihr Kind herum.
TV-REPORTERIN: Gugu, ist dieses Kind das letzte, für das du die Geburtshilfe übernommen hast?
GUGU: Was meinst du?
TV-REPORTERIN: Ich habe gehört, dass nicht nur die Frauen aus Nordost-Gaomi dich schätzen und dir vertrauen, sondern dass auch viele Schwangere aus Pingdu und aus Kiautschou dich vor der Geburt aufsuchen.
GUGU: Ich bin von Natur aus ein Workaholic.
TV-REPORTERIN: Ich habe auch gehört, dass deine Hände eine wunderbare Gabe besitzen, dass eine geheimnisvolle Energie von ihnen ausgeht, dass du sie nur auf den Bauch der Gebärenden zu legen brauchst und schon leidet diese weniger, und dass du ihr so alle Sorgen und Ängste nehmen kannst.
GUGU: So entstehen Mythen. Es wird ständig noch mehr hinzugedichtet.
TV-REPORTERIN: Gugu, streck bitte deine Hände vor, damit wir ein paar Close-Ups filmen können.
GUGU: (mit ironischem Unterton)
Die Massen brauchen übernatürliche Fähigkeiten, geheimnisvolle Mythen!
Nicht wahr?
(zu allen)
Wisst ihr, von wem dieser Satz stammt?
LI HAND: Das klingt nach einer Berühmtheit, wenn man dich so hört.
GUGU: Dieser Satz stammt von mir.
YUAN BACKE: Na ja, Gugu ist doch auch ziemlich berühmt.
LIU GUIFANG: Was meinst du mit ziemlich berühmt? Natürlich ist Gugu berühmt.
TV-REPORTERIN: (feierlich)
Diese beiden ganz normal aussehenden Hände haben einige tausend Säuglinge auf unsere Welt geholt ...
GUGU: ... und diese beiden ganz normalen Hände haben einige tausend Säuglinge zur Hölle befördert!
(trinkt einen Schnaps auf ex)
Meine Hände sind von zweierlei Blut befleckt, das eine angenehm duftend, das andere nach Verwesung stinkend.
LIU GUIFANG: Gugu, du bist der menschgewordene Bodhisattva in unserem Nordost-Gaomiland, unsere Kinder schenkende Niangniang, die Götterstatuen in unserem Tempel sehen dir immer ähnlicher, je länger man sie betrachtet. Ich glaube, sie sind dir nachgebildet.
GUGU: (betrunken, wirr)
Die Massen brauchen übernatürliche Fähigkeiten, geheimnisvolle Mythen ...
TV-REPORTERIN: (hält Kleiner Löwe das Mikrophon vors Gesicht)
Frau Wan, wollen Sie uns ein bisschen was erzählen? Und uns schildern, wie Sie sich fühlen?
KLEINER LÖWE: Was genau soll ich erzählen?
TV-REPORTERIN: Nichts Bestimmtes. Vielleicht, was für ein Gefühl es für Sie war, als Sie erfahren haben, dass Sie schwanger sind. Dann, wie Sie sich während der Schwangerschaft fühlten, warum Sie unbedingt Gugu als Geburtshelferin wollten ...
KLEINER LÖWE: Als ich erfuhr, dass ich schwanger war, glaubte ich zu träumen, eine über Fünfzigjährige, die Menopause lag zwei Jahre zurück. Was die Zeit meiner Schwangerschaft angeht, empfand ich zur Hälfte Vorfreude, zur anderen Hälfte machte ich mir Sorgen. Ich freute mich natürlich, dass ich endlich Mama werden würde. Ich war an die fünfzehn Jahre Assistentin bei Gugu gewesen. Ich hatte ihr bei vielen Geburten assistiert. Aber ein eigenes Kind hatte ich nicht. Eine Frau ohne eigenes Kind ist aber keine richtige Frau. Sie hat auch als Ehefrau einen schweren Stand und traut sich zuletzt nicht mehr, ihrem Mann in die Augen zu sehen. Das ist jetzt alles vorüber.
TV-REPORTERIN: Und neben der Vorfreude? Was bereitete Ihnen Sorgen?
KLEINER LÖWE: Vor allem machte ich mir wegen meines hohen Alters Sorgen. Ich hatte Angst, dass ich ein krankes Kind zu Welt bringen könnte. Und ich hatte Angst, dass die Geburt nicht in Gang kommen könnte und meine Melone dann im OP aufgeschnitten werden müsste. Natürlich waren alle Sorgen wie weggeblasen, sobald Gugu ihre Hände auf meinen Bauch legte, als es so weit war. Der Rest bestand dann nur noch darin, Gugus Anordnungen Folge zu leisten und die Geburt zu vollenden.
GUGU: (betrunken, wirr)
Mit dem wohlriechenden Blut den Pfuhl aus übel riechendem, schmutzigem Blut reinwaschen ...
Chen Nase betritt leise auf Krücken die Bühne.
CHEN NASE: Es ist doch ziemlich unverschämt, die Monatsfeier des kleinen Söhnchens zu begehen und nicht mal dessen Opa mütterlicherseits einzuladen und ihm einen Schnaps anzubieten!
Alle sind verstört, entsetzt.
KAULQUAPPE: (stark verunsichert)
Freund, das tut mir leid! Das tut mir wirklich leid, dass wir dich vergessen haben.
CHEN NASE: (lacht wild)
Du nennst mich Freund? Ha!
(zeigt mit der Krücke auf den Säugling in Kleiner Löwes Arm)
Dein Söhnchen sollte dich dazu veranlassen, dass du dich vor mich hinkniest und vor mir dreimal Kotau machst. Und dann solltest du mich Schwiegervater nennen.
YUAN BACKE: (kommt vor und will Chen Nase fortzerren)
Alter Nase, nun komm schon! Lass uns schnell hier weggehen. Ich bringe dich zu dem Fischspezialitätenrestaurant Baochi Huang, da lasse ich dir ein schönes Menü zusammenstellen.
CHEN NASE: Hau ab! Verpiss dich! Du mieser, schamloser Widerling. Du willst mich mit ein paar stinkenden Abalone und Haifischflossen mundtot machen? Vergiss es! Heute ist mein Enkelkind einen Monat alt, und das ist ein Glückstag. Heute geh ich nirgendwo anders hin. Da bleib ich bei meinem Enkel und trink einen Schnaps auf ihn.
(setzt sich an den Tisch und sieht Gugu)