»Halt den Mund!«, fuhr ich sie an. »Falls du was zu sagen hast, dann mach das, wenn wir zu Hause sind. Hast du keine Angst, dass die Leute dich auslachen, wenn du den ganzen Weg über so brüllst?«
Mit Wucht schlug sie die Bettdecke weg, setzte sich auf und starrte mich mit Riesenaugen an: »Wer wagt es, sich über mich lustig zu machen?«
Auf dem Weg kamen uns ständig Fahrradfahrer entgegen und fuhren an uns vorbei. Steif blies ein eiskalter Nordwind. Weit und breit war alles mit Raureif überzogen, während eben die rote Sonne aufging. Der warme Atem aus den Mündern der Menschen erstarrte auf den Augenbrauen und auf den Wimpern sofort zu weißem Raureif.
Renmeis trocken aufgesprungene Lippen, ihr wirres Haar und ihr starrer Blick erweichten mich. Ich konnte es nicht mehr mit ansehen und tröstete sie: »Ist schon gut, keiner lacht über dich. Leg dich schnell wieder hin und deck dich zu. Mit einer Krankheit im Wochenbett ist nicht zu spaßen.«
»Ich habe keine Angst, krank zu werden! Ich bin eine Föhre vom Gipfel des Taishan! Wenn ich eisiger Kälte widerstehe, gegen den Schneesturm kämpfe, scheint die Morgensonne in meiner Brust!«
Ich lachte bitter: »Ich weiß, wozu du fähig bist. Du bist eine Heldin! Du willst doch noch ein zweites Kind? Wenn du deinen Körper erst ruiniert hast, wird daraus nichts werden.«
Ihre Augen begannen sofort zu strahlen, und aufgeregt fragte sie mich: »Erlaubst du mir, dass ich noch ein Kind bekomme? Das hast nun aber du gesagt und nicht ich! Wuguan, du hast das auch gehört, nicht wahr? Du bist mein Zeuge!«
»Okay! Ich bin dein Zeuge!«, brummelte Wuguan vorne.
Renmei legte sich fügsam wieder hin, griff sich die Steppdecke, zog sie sich über den Kopf. Ich hörte sie unter der Bettdecke reden: »Renner, du wirst mich aber nicht anlügen, sondern dein Wort halten. Wenn du dein Wort nicht hältst, kämpf ich mit dir bis aufs Blut.«
Als der Einachstrecker die Brücke am Dorfrand erreicht hatte, verstellten uns zwei Streithähne den Weg, die sich auf der Brücke gegenüberstanden und einander anbrüllten. Bei dem einen der beiden handelte es sich um meinen Grundschulklassenkameraden Yuan Backe, beim anderen um den Lehmskulpturenkünstler Hao Große Hand.
Große Hand hielt Backe am Handgelenk fest, der wand sich, tobte und schrie: »Lass mich los! Lass mich los!«
Obwohl er sich quälte, als ginge es um sein Leben, half alles nichts.
Wuguan sprang vom Trecker und ging auf die beiden zu: »Gevattern, guten Tag! Was hat denn das zu bedeuten? Am frühen Morgen hier auf der Brücke so ein Kräftemessen anzufangen?«
Yuan Backe rief gleich: »Gut, dass du kommst, Wuguan! Du musst schlichten! Onkel Hao schob seinen Karren und ging vor mir. Ich kam von hinten mit dem Rad und wollte an ihm vorbei. Er ging mit seinem Wagen auf der linken Seite, ich wollte auf der rechten Seite überholen, doch er wuchtete seinen Karren plötzlich nach rechts, genau als ich eben hinter ihm war. Glücklicherweise habe ich schnell reagiert und die Lenkstange sofort losgelassen, sonst wäre ich zusammen mit dem Rad hinab in den Fluss gestürzt. An so einem frostigen Tag wie heute wäre ich jetzt, wenn nicht tot, zumindest schwerbehindert. Aber Onkel Hao hält mich hier fest und behauptet, ich hätte seinen Karren angefahren und über die Brücke hinab in den Fluss gestoßen.«
Hao Große Hand widersprach nicht, aber er ließ Backes Handgelenk auch nicht los.
Ich sprang mit meiner Tochter im Arm vom Trecker. Kaum dass meine Füße den Boden berührten, fror ich bis auf die Knochen. An jenem Morgen war es wirklich klirrend kalt. Steif stakste ich die Brücke hoch. In deren Mitte lag ein ganzer Haufen Tonglückskinder, in Scherben zerbrochene und unversehrte durcheinander. Rechts von der Brücke lagen unten auf dem zugefrorenen Fluss das kaputte Fahrrad und eine kleine gelbe Fahne. Ich wusste, dass sie mit den drei Schriftzeichen 小半仙 für »Kleiner Heiler« bestickt war. Von klein auf hatte Yuan Backe sich mit dem I Ging, mit dem Fluss des Qi, mit Geistern, Taoismus und Göttern befasst. Nun war er erwachsen und kannte sich in der Tat gut aus. Er holte mit einem Magneten der Kuh den Nagel aus dem Magen heraus, wenn sie einen verschluckt hatte. Er konnte das Vieh kastrieren, kannte sich in Astrologie aus, mit dem Gesichtlesen, der Lehre des Li He, wahrsagte nach dem I Ging und den acht Triagrammen und verstand die Prinzipien des Fengshui. Die Leute neckten ihn, indem sie ihn den »Kleinen Heiler« nannten. Backe machte das Spiel mit – er machte es immer den anderen recht, wenn er dadurch einen Vorteil hatte. Also schnitt er eine gelbe Fahne zurecht und ließ sie mit »Kleiner Heiler« besticken. Die fertige Fahne wurde am Gepäckträger befestigt und flatterte beim Fahren laut im Wind. Auf dem Markt rammte er sie in die Erde und bot seine Dienste an. Er hatte großen Zulauf, sein Stand florierte.
Ich blickte auf der linken Seite von der Brücke, dort lag unten auf dem Eis ein Schubkarren auf der Seite. Einer der beiden Griffe war abgebrochen. Die Weidenkörbe links und rechts der Radumkleidung waren zerrissen, zig Tonpüppchen lagen verstreut auf dem Eis, die meisten in Scherben. Es sah aus, als hätten nur wenige den Sturz überstanden.
Große Hand war für seine seltsamen Launen bekannt, zugleich war er als Künstler eine von allen hochgeachtete Respektsperson. Denn in seinen geschickten, großen Händen entstanden aus einem Klumpen Lehm im Nu, während er sein Gegenüber genau betrachtete, scheinbar beseelte, genaueste Abbilder des Porträtierten. Selbst in den Jahren der Kulturrevolution hatte er nie aufgehört, Tonkinder zu formen. Wie sein Großvater, der ebenfalls Glückskinder aus Ton und Lehm knetete, und wie sein Vater, der dessen Werk fortführte, trug er die Familientradition weiter, und er knetete noch besser als sein Vater und Großvater. Er lebte seit jeher vom Erlös seiner verkauften Tonkinder. Bis heute. Genauer gesagt: Er ist kein Künstler, der Nippes produziert, um ihn gut zu verkaufen. Denn er hätte auch Tonhündchen, Tonäffchen, Tontiger modellieren können, Kunstgewerbe, das sich leicht herstellen und leicht verkaufen lässt. Etwas, das sich alle Kinder zum Spielen wünschen. Lehm- und Tonskulpturenkünstler machen doch gute Geschäfte mit den Kindern. Wenn diese die Figuren mögen, sind die Erwachsenen immer bereit, Geld dafür auszugeben. Aber Hao Große Hand modellierte nur Tonglückskinder. Das Anwesen seiner Familie hatte fünf Zimmer im Haupthaus und vier im Seitenhaus, auf dem Hof gab es noch einen geräumigen Schuppen, den er angebaut hatte. Alle Zimmer und der Schuppen waren mit Tonkindern vollgestellt, fertige, die schon bemalte Gesichter mit Augenbrauen und Augen hatten, und Rohlinge, die noch bemalt werden mussten. Sogar auf seinem Kang standen Tonkinder dicht an dicht, und er hatte gerade so viel Platz gelassen, wie er brauchte, um sich lang auszustrecken.
Damals war er Anfang vierzig, ein großes, rotes Gesicht hatte er, und er band sein grau meliertes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sein Backenbart war auch grau meliert.
Im Nachbarkreis gab es auch Tonkinderkünstler, aber deren Tonfiguren wurden in Förmchen gedrückt und gestürzt. Sie sahen alle gleich aus, nicht wie die von seiner Hand modellierten, die einzigartig sind. Wiederholungen sind bei ihm ausgeschlossen. Die Leute sagten immer, die gesamten Tonglückskinder aus Nordost-Gaomiland entstammen seiner Hand. Und jeder finde unter den Niwawa-Püppchen »sich selbst« wieder und es zeige ihn, wie er als Baby ausgesehen habe. Alle sagten, dass Große Hand jedes Mal so lange mit dem Verkauf auf dem Markt warte, bis er kein einziges Korn Reis mehr im Tontopf habe. Dann erst verkaufe er mit tränenfeuchten Augen seine Tonkinder, als verkaufte er sein eigen Fleisch und Blut.