»Ist ja auch egal, wie du’s machst. Jedenfalls hast du es drauf und bist ein echter Könner!«, sagte mein kleiner Cousin mit Inbrunst. »Mein Vater sagt, ich soll dich bitten, bei dir in die Lehre gehen zu dürfen. Damit du mein Meister wirst.«
»Kleiner, der wirkliche Könner steht hier.« Chen Nase zeigte mit dem Finger auf Yuan Backe. »Er versteht sein Handwerk. Er beherrscht es, in den Sternen und Erdadern zu lesen, er kennt die Geschichte der letzten fünfhundert Jahre, und alle Ereignisse der kommenden fünfhundert Jahre kennt er auch, zumindest zur Hälfte. Ihn solltest du dir zum Meister wählen!«
»Der große Bruder Backe ist auch ein Könner«, sagte mein kleiner Cousin. »Er hat bei uns in Xiazhuang auf dem Markt einen Stand, wo er den Leuten nach dem I Ging wahrsagt, er wird dort ›Kleiner Heiler‹ genannt. Als die alte Henne meiner Tante weggelaufen war, zählte er an seinen zehn Fingern etwas ab und sagte dann den Lehrsatz her:
›Die Ente längs des Wassers läuft, das Huhn längs der Wiese läuft. Schaut im Nest nach.‹
Und tatsächlich fanden wir unsere Henne im Nest wieder.«
Nase warf ein: »Als ob er nur wahrsagen würde! Er hat noch viel mehr Kenntnisse und Fähigkeiten. Wenn er dich nur eine davon lehrt, hast du in diesem Leben ausgesorgt und kannst davon locker deinen Lebensunterhalt bestreiten.«
Jinxiu sagte: »Ich bitte dich: Sei mein Meister!«, und machte einen Kotau.
»Aber nicht doch. So viel Ehre gebührt mir nicht. Mit diesen Kenntnissen kann ich mich doch draußen gar nicht sehen lassen! Ich gehöre zu den Quacksalbern, die irgendwie ihr Geld verdienen müssen. Ich bin kein Fachmann. Du solltest dich an deinem großen Bruder orientieren. Du solltest in die Armee eintreten und Offizier werden, oder du machst die Aufnahmeprüfungen und gehst zur Uni. Nur wenn du dem breiten, strahlenden Weg folgst, wirst du wirklich Großes erreichen und kannst erstklassig werden.«
Yuan Backe zeigte auf sich und auf Chen Nase: »Wir beide gehen keiner würdigen, gut angesehenen Arbeit nach. Wir hatten keine Wahl, deswegen tun wir, was wir tun. Du dagegen bist ein junger Spund. Mach was anderes aus deinem Leben als wir!«
Mein kleiner Cousin aber beharrte: »Ihr seid die wahren Könner! Denn ihr habt richtig was drauf! In die Armee eintreten, auf die Universität gehen ist kein richtiges Können.«
»Ist gut, Kleiner! Ich merk schon, du hast was Konkretes vor und lässt dir nicht reinreden. Ist gut so. Wenn die Zeit reif ist, arbeiten wir zusammen!«
Ich fragte Wuguan: »Wo ist Wang Leber? Warum ist der nicht mitgekommen?«
Wuguan sagte: »Ach der, der ist bestimmt zur Krankenstation und steht dort Spalier.«
»Der ist wie vom Teufel besessen! Den bringen keine zehn Pferde davon ab«, meinte Nase.
Backe erzählte geheimnisvolclass="underline" »Bei ihm zu Haus stimmt das Fengshui nicht. Das Haupttor befindet sich an der falschen Stelle, der Abort ist auch falsch gelegen. Ich habe schon vor vielen Jahren zu deinem Schwiegervater gesagt, er soll dringend seinen Hauseingang verlegen, und der Abort muss woanders hin. Und dass bei ihm zu Haus eine Geisteskrankheit auftreten wird, wenn er es nicht ernst nimmt. Dein Schwiegervater meinte, ich spräche einen Fluch über ihn aus, ergriff die Peitsche und wollte mir ein paar Hiebe überziehen. Und nun? Jetzt bewahrheitet sich, was ich damals gesagt habe! Schaut ihn an, wie er alle naselang, gebückt und am Stock, zur Krankenstation geht, dort stänkert und dickfellig allen im Weg ist. Wenn das keine Geisteskrankheit ist, was dann? Und erst Wang Leber! Ein Bauer durch und durch! Aber leistet sich bourgeoise Gedanken. Bildet sich ein, einer wie er könne sich in die mitesserübersäte Shizi verlieben. Und geht so darin auf, dass er wie ein Gespenst durch die Gegend huscht und völlig geistesabwesend ist. Das ist doch verrückt!«
Ich sagte nur: »Nun los, meine treuen Freunde! Wir wollen zu Tisch! Dem frechen Backe hören wir nicht mehr zu.«
Backe redete weiter: »Der Hof unseres Kommunebüros ist wegen seines schlechten Fengshuis genauso gefährdet. Seit Urzeiten sind bei uns in China die Haupttore der Amtssitze in den Präfekturen so gelegen, dass sie sich in Richtung Süden öffnen. Aber das Haupttor unserer Kommuneverwaltung geht nach Norden auf. Und dem Tor gegenüber befindet sich unser Schlachthof. Den ganzen Tag geht dort der Stahl blinkend hinein und kommt rot triefend wieder heraus. Bei diesem Gemetzel und Blutvergießen wird der Hauch des Todes auch bei uns Kommunegenossen Einzug halten. Ich bin hin zu unserer Amtsstube und habe mich erkundigt. Die hätten mich um ein Haar eingelocht, weil ich angeblich feudalistischen Aberglauben verbreiten würde. Und nun? Unser Parteisekretär Qin Tai Shan hat eine halbseitige Lähmung, sein kleiner Bruder Qin Shom ist unser Dorftrottel. Der neue Parteisekretär Qiu mit seinen zehn Mann hatte auf seiner Inspektionsreise in den Süden von Gaomi einen Verkehrsunfall. Mehrere Tote und Schwerverletzte gab es dabei zu beklagen. Es hat sie alle hinweggerafft, wie das Auslöschen einer Armee ... Das Fengshui lenkt die großen Zusammenhänge. Mit Härte ist ihm nicht beizukommen. Denn würden wir mit Härte reagieren, wenn wir es mit dem Kaiser zu tun bekämen? Bestimmt nicht! Und nebenbei, auch der Kaiser braucht ein gutes Fengshui.«
»Zu Tisch«, sagte ich wieder und knuffte Backe in die Seite. »Magister, das Fengshui ist wichtig, aber Essen und Schnaps sind genauso wichtig!«
Yuan Backe erwiderte nur: »Wenn die Kommuneverwaltung ihr Eingangstor nicht umbaut, wird es weiter zu Geisteskrankheiten kommen, und es wird ein Unglück geben. Wer’s nicht glaubt, kann abwarten und zusehen, was kommt.«
5
Wang Leber war in unerwiderter Liebe für Shizi entbrannt und stellte die verrücktesten Dinge an, die ihn im ganzen Dorf zum Gespött machten. Er war Thema Nummer Eins unseres Dorftratsches. Ich verspottete ihn nicht, denn ich konnte es ihm nachfühlen. Ich achtete ihn hoch, denn ich fand, dass diesem Genie in Sachen Liebe das gute Schicksal bisher verwehrt geblieben war. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Er war streng monogam, denn er liebte nur die eine, wahre ..., ein gefühlsstarker Romantiker, der, wäre das Glück ihm hold gewesen, ewig gültige Liebeslieder geschrieben und gesungen hätte.
Als wir noch Kinder waren, noch nichts von der Liebe zwischen Mann und Frau wussten, keimte seine erste Liebe auf. Damals verliebte er sich in Shizi. Ich erinnere mich wie heute an seinen vor vielen Jahren ausgesprochenen Stoßseufzer: »Kleiner Löwe ist aber hübsch!« Objektiv betrachtet ist Kleiner Löwe überhaupt nicht hübsch, man könnte sogar sagen, sie sieht nicht mal annehmbar aus. Meine Tante hat sie mir antragen wollen. Ich habe sie ausgeschlagen, mit der Ausrede, dass sie doch Wang Lebers Traumfrau sei und ich sie deswegen nicht wolle. Um ehrlich zu sein: Ich fand sie nicht hübsch genug. Für Leber jedoch war sie die schönste Frau auf Erden. Es gibt einen Ausdruck, der es genau trifft: Vor Liebe blind.
Nachdem er den ersten Liebesbrief an sie in den Kasten geworfen hatte, war er so ergriffen, dass er mich zum Flussufer schleifte und mich den ganzen Weg über mit seinen Gefühlen vollquatschte. Es war der Sommer 1970, wir hatten gerade unseren Abschluss an der Landwirtschaftlichen Mittelschule gemacht. Es gab Hochwasser, das Wasser brodelte, Getreidestroh, Tierkadaver trieben flussabwärts, darüber flog eine einsame Möwe dahin. Am Ufer, wo das Wasser ruhiger floss, saß Renmeis Vater beim Angeln. Unser Mitschüler Li Hand, der Sohn unserer Lehrerin, hockte neben ihm und sah ihm zu.
»Soll ich es Li Hand auch sagen?«
»Der ist doch noch klein. Er versteht das nicht.«