Wir sahen von unserem Baum aus, wie die Tante und Kleiner Löwe sofort umkehrten und über den Deich zum Fluss zurückrannten. Wang Leber machte nun ebenfalls einen Hechtsprung ins Wasser, elegant wie ein Fisch.
Wir waren am Fluss großgeworden und hatten schwimmen und laufen gleichzeitig gelernt. Der knorrige Weidenbaum hatte uns immer als Sprungbrett gedient, als wäre er nur zu diesem Zwecke gewachsen.
Ich hoffte so sehr, dass Kleiner Löwe Lebers eleganten Kopfsprung gesehen hatte. Ich sprang gleich nach ihm ins Wasser. Li Hand folgte vom Ufer aus. Wir wollten erst einmal die Schwangere retten, aber sie war nirgends zu sehen. Qin Strom, der arme Wurm, wippte vor mir im Fluss auf und ab, wie ein Schmalzkuchen im siedenden Öl. Koch Wang schrie aus Leibeskräften: »Ihr müsst ihn am Schopf zu fassen kriegen! Lasst ihn nicht mit den Händen an euch ran!«
Wang Leber schwamm hinter ihn, streckte die Hand aus und packte seinen Schopf.
»Was für Haar! Superhaare! Wie eine Pferdemähne!«, schwärmte er uns später vor, nachdem alles vorüber war.
Leber konnte von uns Jungen am besten schwimmen. Er schaffte es, von einem zum anderen Ufer zu schwimmen, ohne dass die Klamotten, die er über den Kopf hielt, auch nur einen Tropfen Wasser abbekamen. Und nun hatte er die Chance bekommen, seiner angebeteten Traumfrau seine Schwimmkünste zu zeigen! Li Hand und ich eskortierten ihn, einer zu seiner Linken, der andere zu seiner Rechten, bis er Qin Strom glücklich aus dem Wasser ans Ufer gezogen hatte.
Schon waren Tante und Kleiner Löwe herbeigerannt. Meine Tante grollte: »Wie kommt der Blödkopf dazu, in den Fluss zu springen?«
Qin Strom krümmte sich bäuchlings am Ufer und erbrach sich in den Fluss.
Huang Qiuya weinte: »Als Fausts Frau sich in den Fluss warf, sprang er hinterher, um sie zu retten.«
Gugu wurde nun richtig böse, ihr Blick schweifte suchend über den Fluss: »Wo ist sie?«
»Sie hat sich ins Wasser gestürzt und war nicht mehr zu sehen.«
»Habe ich dir nicht befohlen, dass du sie gut bewachen sollst? Ich kann dir eins sagen«, Gugu sprang wütend an Bord, »du bist so gut wie tot. Denn du wirst es zu verantworten haben! Wir legen ab! Starte sofort den Motor!«
Kleiner Löwe mühte sich mit Händen und Füßen ab, kriegte den Motor aber nicht ans Laufen.
Gugu brüllte: »Qin Strom! Du sollst sofort den Motor starten!«
Schwankend und zitternd erhob er sich, beugte sich aber gleich wieder vornüber, um Wasser zu erbrechen, und ging in die Knie.
»Renner! Leber! Kommt schnell! Helft mir Menschenleben retten!« Die Tante schrie aus Leibeskräften: »Ich belohne euch reichlich!«
Wir ließen den Blick übers Wasser schweifen und suchten mit den Augen gründlich die Oberfläche ab. Endlose Weiten schmutzig brodelnden Wassers, auf dem Schaumhaufen, Schilf und Wasserpflanzen trieben. Da zeigte Li Hand auf das stille Wasser am Uferrand. Dort schaukelte eine Melonenschale langsam vorwärts: »Schau, dort!«
Die Melonenschale trieb mit der Strömung und hob sich ab und zu über die Wasseroberfläche, wobei sie den Blick auf den Hals und das wirre Haar einer Frau freigab.
Gugu, die es sich an der Bordwand bequem gemacht hatte, pfiff durch die Zähne und begann zu lachen.
»Die, die wir vor dem Ertrinken retten wollten, haben wir gefunden! Keine Eile!«
»Kleiner Löwe, kannst du dich über Wasser halten?«
Die schüttelte den Kopf.
»Um berufsmäßig für die Geburtenplanung im Dienst zu sein, genügt es nicht, dass man Prügel einstecken kann, man muss auch noch schwimmen können«, lachte die Tante und zeigte mit dem Finger auf die im Wasser schaukelnde Wassermelonenschale. »Sie hat sich die Tricks gemerkt, mit denen unsere Guerilla damals die Japsen überwältigt hat!«
Qin Strom machte den Rücken krumm und kletterte nun an Bord. Er triefte, sein in der Mitte gescheiteltes Haar klebte am Kopf, seine Lippen waren dunkelblau, und er war kreidebleich.
»Fahr los!«, wies ihn meine Tante an.
Qin Strom betätigte die Starterkurbel und legte sie dann wieder zur Seite. Ihm war wohl schwindlig geworden. Er schwankte, würgte und erbrach Schaum.
Wir machten für ihn das Tau am Steg los. Tante rief uns zu: »Kommt an Bord!«
Ich konnte Leber die Ergriffenheit nachfühlen, mit der er an Bord auf Tuchfühlung mit Shizi saß. Ich beobachtete, wie seine Hände, die er auf den Knien abgelegt hatte, nervös zitterten. Weil sein Hemd ihm nass auf der Haut klebte, sah ich deutlich sein aufgeregt pochendes Herz, wie das eines Wildkaninchens, das man in einen Käfig gesperrt hat und das sich gegen die Gitterstäbe drückt. Er saß stocksteif und wagte nicht, sich zu rühren. Die füllige Shizi hatte keinen Schimmer. Sie hatte nur Augen für die auf dem Wasser schaukelnde Melonenschale.
Qin Strom lenkte den Bug des Bootes vom Ufer weg und fuhr im ruhigen Wasser parallel zur Uferböschung weiter. Der Außenborder tuckerte gemütlich. Li Hand stand neben ihm und schaute ihm zu. Wie sein Lehrjunge sah er aus.
»Fahr langsam, noch langsamer! Ja!«, wies Gugu ihn an, als uns nur noch fünf Meter von der Wassermelonenschale trennten. Er drosselte den Motor so weit, dass er kurz vor dem Absaufen war. Ich sah den unter der Wassermelonenschale versteckten Schädel der Schwangeren deutlich.
»Wahrlich eine gute Schwimmerin, dass sie das im fünften Monat noch so vortrefflich kann.«
Meine Tante befahl, die Lautsprecherdurchsage in der Kajüte anzustellen. Kleiner Löwe erhob sich sofort und verschwand unter Deck. Der Platz neben Leber wurde frei. Gähnend leer war es neben ihm geworden. Sein Gesicht wirkte bekümmert und verloren. Woran er wohl gerade dachte? Ob Kleiner Löwe seinen überschwänglichen Liebesbrief wohl schon bekommen hatte?
Meine Gedanken schweiften noch ab, als die Lautsprecher losdröhnten. Obwohl ich wusste, dass die Ansage jeden Augenblick losgehen würde, blieb mir fast das Herz stehen.
Unser großartiger Führer, der Vorsitzende Mao heißt uns zu beherzigen, dass das Bevölkerungswachstum in jedem Fall kontrolliert und beschränkt werden muss.
Als die Lautsprecher zu dröhnen begannen, hatte die Schwangere die Melonenschale über ihrem Kopf gelüftet und lugte aus dem trüben Wasser heraus. Sie schaute panisch nach links und rechts, um dann mit einer vehementen Bewegung unterzutauchen.
Gugu wies Qin Strom an, den Motor noch weiter zu drosseln, und grinste: »Wollen mal sehen, wie gut diese Frau aus Dongfeng schwimmen kann!«
Kleiner Löwe krabbelte aus der Kajüte, drängte sich vorn an den Bug und hielt besorgt Ausschau. Ihr pummeliges Figürchen und Leber lehnten nun wieder aneinander. Ich spürte, wie ich neidisch wurde. Wie eng presste sich dieser dürre Spargel da an die dralle, mollige Shizi! Ich stellte mir vor, wie Leber ihr warmes, weiches Fleisch spürte, wie er mit ihr ... Mein Herz klopfte wie wild, als ich mir das vorstellte. Wie ich mich für meine schmutzigen Phantasien schämte! Pfui! Ich blickte schnell woanders hin und ließ meine Augen keine Sekunde mehr auf ihren Körpern verweilen. Die Hände vergrub ich in meinen Hosentaschen und ich kniff mir in die Oberschenkel, dass es wehtat.
»Sie ist aufgetaucht! Sie streckt den Kopf aus dem Wasser!«, schrie Kleiner Löwe aufgeregt.
Die Schwangere war in ungefähr fünfzig Metern Entfernung vor unserem Boot aufgetaucht. Noch während ihr Körper aus dem Wasser hochkam, blickte sie um sich. Dann schwamm sie in Windeseile mit ausladenden Bewegungen flussabwärts.
Gugu gab Qin Strom einen Wink. Der Dieselmotor heulte auf, mit erhöhter Geschwindigkeit fuhr das Boot zügig auf die Schwangere zu.
Meine Tante kramte ein zerknautschtes Päckchen Zigaretten aus der Hosentasche, öffnete die Packung, holte sich eine Zigarette heraus und steckte sie in den Mund. Dann fischte sie ein Feuerzeug hervor, drehte am Reibrad, bis die Flamme brannte, und steckte sie sich mit blinzelnden Augen an, um dann geräuschvoll weißen Qualm zu paffen. Es kam Wind über dem Fluss auf, schmutzige Wellen wogten.