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»Der Vorsitzende Mao ist doch längst tot«, sagte ich.

»Du glaubst, das wüsste ich nicht? Als wenn ich das nicht wüsste! Das war doch nur ein Beispiel.«

Wir hörten das Knarren des Hoftors. Yanyan rief sofort mit hohem Stimmchen: »Mama, Mama, mein Papa ist wieder da.«

Ich sah meiner Tochter zu, wie sie auf ihren wackeligen kleinen Beinchen auf Renmei zurannte. Ich sah, dass Renmei meine graue Joppe trug, die ich immer angehabt hatte, bevor ich ins Militär eintrat, und ich sah, dass ihr Bauch sich schon wölbte. Sie hatte in der Armbeuge ein in roten Stoff eingeschlagenes Bündel, daraus lugten bunte Stoffzipfel hervor. Sie bückte sich, um unser Töchterchen auf den Arm zu nehmen, und lächelte aufgesetzt, als sie betont freundlich sagte: »Renner, welche Überraschung! Warum bist du zurück?«

»Warum hätte ich denn nicht kommen sollen? Wo du doch so was Schönes angestellt hast!«, sagte ich kühl.

Ihr von Pigmentflecken übersätes Gesicht wurde weiß, dann puterrot. Sie schrie sofort: »Was hast du denn an mir auszusetzen? Tagsüber gehe ich arbeiten, abends komme ich nach Haus und kümmere mich um das Kind. Ich habe dir keine Schande gemacht und mir nichts zu Schulden kommen lassen.«

»Du bist auch noch so verlogen und streitest es ab? Warum hast du dir hinter meinem Rücken von Backe die Spirale entfernen lassen? Warum hast du mir nichts davon gesagt?«

»Verräter! Maulwurf! Kollaborateur!« Renmei setzte das Kind ab und verschwand wutschnaubend im Haus. Sie stolperte dabei über einen kleinen Schemel, nach dem sie so heftig trat, dass er im hohen Bogen wegflog. »Welche Kanaille hat sich am Himmel versündigt und es dir gesagt?«

Unsere Tochter war laut weinend auf den Hof hinausgerannt.

Mutter saß am Herd und weinte.

»Streite nicht mit mir, beschimpf mich nicht, sondern komm einfach brav mit zur Krankenstation und lass das wegmachen. Dann passiert auch nichts weiter.«

»Davon träumst du!« Schreiend griff Renmei einen Spiegel und schmiss ihn zu Boden. »Es ist mein Kind, es ist in meinem Bauch! Wer wagt, ihm ein Haar zu krümmen, über dessen Türschwelle werde ich mich erhängen! Renner, lass uns nicht mehr Kader sein und auch nicht mehr dieser Partei angehören. Lass uns zu Hause bleiben, unser Feld bestellen. Das ist doch gut! Die Zeit der Volkskommunen ist vorüber, das Land ist in Parzellen aufgeteilt und jeder ist Privatwirtschaftler. Korn gibt es so reichlich, dass wir es gar nicht aufessen können, und frei sind wir auch. Ich finde, du solltest wieder nach Hause kommen.«

»Unmöglich, kommt nicht in Frage!«

Renmei schien aus unserem Heim Kleinholz machen zu wollen, krachend fielen Schränke und Tische um.

»Es ist nicht meine Privatsache, es verletzt die Ehre unserer gesamten Einheit.«

Renmei kam mit einem großen Bündel auf den Hof. Ich hielt sie fest: »Wo willst du hin?«

»Das geht dich einen Dreck an!«

Ich hielt ihr Bündel fest, ließ sie nicht weg, aber sie zog aus ihrer Brusttasche flink eine Schere hervor, die sie auf ihren Bauch richtete. Mit blutunterlaufenen Augen kreischte sie: »Du sollst mich loslassen!«

»Renner!« Das war der schrille Schrei meiner Mutter. Ich kannte natürlich Renmeis hitziges Temperament.

»Schon gut, dann geh meinetwegen. Wenn du mir heute entkommst, morgen wirst du mir nicht entkommen. Es wird so oder so weggemacht.«

Sie griff ihre Sachen und ging eilig davon. Unsere Tochter rannte mit weit ausgebreiteten Armen hinter ihr her, stolperte, fiel hin. Renmei kümmerte sich nicht um sie. Blickte sich nicht einmal um.

Ich rannte los, hob meine Tochter auf den Arm, aber sie bäumte sich auf, trommelte gegen meine Brust, weinte und wollte zu ihrer Mama. Widerstreitende Gefühle bestürmten mich plötzlich, so dass ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.

Mutter kam gebückt, auf den Krückstock gestützt, auf den Hof: »Lass sie das Kind bekommen, mein Junge! Sonst haben wir nichts Gutes mehr zu erwarten.«

7

Abends weinte meine Tochter, wollte ihre Mama suchen. Was wir auch unternahmen, sie ließ sich nicht beruhigen. Mutter sagte: »Du gehst jetzt zu Yanyans anderer Oma nachfragen.«

Ich ging mit Yanyan auf dem Arm zu meinen Schwiegereltern und klopfte dort an die Haustür. Mein Schwiegervater öffnete die Tür nur einen Spaltbreit: »Wan Renner, ich habe dir meine Tochter zur Frau gegeben, sie ist damit Mitglied deiner Familie geworden. Wen suchst du hier? Wenn meiner Tochter etwas geschieht, sind wir Erzfeinde bis an mein Lebensende.«

Ich ging weiter zu Chen Nase. Ein großes Schloss hing am Hoftor, im Hof herrschte pechschwarze Nacht. Dann ging ich zu Wang Bein, ich klopfte Ewigkeiten am Tor. Drinnen bellte ein kleiner Hund wie verrückt. Dann ging Licht an, das Tor wurde aufgemacht, aber Wang Bein verstellte mir mit einem Knüppel in der Hand den Weg und ranzte mich wutentbrannt an: »Zu wem willst du?«

»Onkel, ich bin’s.«

»Ich weiß schon, dass du es bist. Zu wem willst du?«

»Ist Leber da?«

»Er ist tot!« Damit warf Wang Bein das Tor ins Schloss.

Natürlich war Leber nicht tot. Mir fiel ein, dass Mutter bei meinem letzten Familienbesuch über Leber schwatzte, dass ihn sein Vater aus dem Haus gejagt habe. Und dass er sich jetzt draußen herumtrieb, man ihn zuweilen im Dorf Nudeln essen sehe, aber keiner wüsste, wo er wohnte.

Meine Tochter hatte sich müde geweint und war in meinem Arm eingeschlafen. Ich lief mit ihr unsere Dorfstraße entlang, derweil mir meine bedrückte Stimmung zu schaffen machte. Erst seit vorletztem Jahr hatten wir bei uns im Dorf Strom aus dem Netz, und jetzt hatte man neben den Hochfrequenzlautsprechern, die an dem hohen Betonmast hinter der Dorfparteizentrale befestigt waren, zusätzlich eine Straßenlaterne aufgehängt. Unter der Leuchte hatte man einen mit blauem Filz bezogenen Billardtisch aufgestellt. Ein paar Jugendliche standen darum herum und spielten, wobei sie sich gegenseitig laut anfeuerten. Ein vielleicht fünfjähriger Junge saß in der Nähe des Billardtischs auf einem Hocker. Seine Hände hantierten mit einem kleinen Spielzeugschifferklavier, dem er einfache Töne entlockte. Ich sah ihm an, dass es sich um Yuan Backes Sohn handelte.

Gegenüber blickte ich auf Backes großes erneuertes Hoftor. Ich zögerte kurz und beschloss, Backe zu besuchen. Wenn ich nur daran dachte, dass er Renmei die Spirale herausgenommen hatte! Wie unangenehm! Peinlich, eklig. Mir wurde ganz anders. Hätte das ein examinierter Mediziner gemacht, na, dann hätte ich ja nichts gesagt. Aber Backe ... dieser Affenarsch.

Mein Kommen überraschte ihn sichtlich. Erholte er sich doch gerade, allein mit sich selbst, beim Schnaps auf seinem Kang. Auf dem Nachttisch standen Tellerchen mit Erdnüssen, Dosensardellen und Rührei. Barfuß kam er vom Kang herunter und begrüßte mich, ich solle mich zu ihm gesellen und mit ihm trinken. Seiner Frau rief er zu, sie solle noch ein paar Gerichte auftragen.

Auch er hatte eine Klassenkameradin geheiratet. Wir hatten sie immer Sesamstange gerufen. Diesen Spitznamen hatte sie ihrer Weißfleckenkrankheit zu verdanken.

»Bei dir flutscht das Geschäft wohl richtig! Wie die Made im Speck«, sagte ich und setzte mich auf den Schemel vor seinen Kang. Sesamstange hatte mir gleich meine Tochter abgenommen und sie auf dem Kang schlafen gelegt. Ich hatte mich zuerst gesträubt, sie ihr aber dann doch gegeben.

Jetzt hatte sie den Wok gespült und Feuer gemacht, denn sie wollte uns frischen Degenfisch braten, der gut zum Schnaps schmeckt. Ich verbot es ihr energisch. Aber der Fisch brutzelte bereits im Wok, und es duftete köstlich.

Yuan Backe drängte mich, die Schuhe auszuziehen und richtig auf den Kang hinaufzukommen, aber ich wollte nicht, entschuldigte mich, dass ich doch nur ein Weilchen bliebe und es umständlich sei, die Schuhe auszuziehen. Er gab nicht auf und wollte mich unbedingt auf seinem Kang haben. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich setzte mich auf die Kante und ließ die Beine baumeln.