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»Hätte sie sich zuvor mit mir beraten, wäre es halb so wild. Aber so mit mir umzuspringen? Da platzt mir der Kragen.«

»Renner, aber du musst eins anerkennen«, erwiderte Backe, »das Kind, das Renmei unter ihrem Herzen trägt, ist dein Nachwuchs, von dir gezeugt! Ob du es nun wegmachen lässt oder behältst, musst allein du entscheiden.«

»Da hast du völlig recht, Kumpel. Aber ich möchte dich daran erinnern: Die Wände haben hier Ohren! Du solltest vorsichtiger sein!«

Ich ließ mir von Sesamstange meine tief schlafende Tochter reichen und spazierte zum Tor hinaus. Als ich mich umdrehte, um mich von ihr zu verabschieden, flüsterte sie mir zu: »Lass sie das Kind bekommen, Renner! Wenn’s soweit ist, dann helfe ich euch dabei, ein verschwiegenes, entferntes Plätzchen zu finden, wo sie es in Ruhe gebären kann.«

Sie stand noch am Tor, als ein Militärjeep vor Yuan Backes Haus hielt. Zwei Polizisten sprangen heraus, die sich resolut Zutritt verschaffen wollten. Sesamstange streckte die Hand vor, um ihnen diesen zu verwehren. Aber die Polizisten drückten sie zu Seite und waren auch schon im Haus verschwunden. Man hörte Krachen und harte Schläge, dazwischen Yuan Backe laut aufschreien. Minuten später wurde er, die Füße nur halb in den Schuhen und in Handschellen, zwischen zwei Polizisten aus dem Haus heraus auf den Hof abgeführt.

»Wer gibt euch das Recht, mich einfach festzunehmen? Mit welchem Recht?« Backe gab keine Ruhe, während sie ihm den Kopf aufs Kinn drückten.

»Hör auf zu plärren«, sagte der eine der beiden barsch, »du weißt doch besser als wir, warum wir dich abführen.«

Yuan Backe rief mir zu: »Renner, du musst mich auf Kaution rausholen. Ich habe nichts Illegales getan.«

Im gleichen Moment sprang aus dem Wageninneren eine riesenhafte, gewichtige Frau heraus.

»Tante?«

Meine Tante nahm den Mundschutz ab und sagte kalt: »Morgen kommst du zu mir auf die Krankenstation.«

8

»Tante, meinst du nicht, dass wir sie das Kind doch bekommen lassen sollten?«, sagte ich tieftraurig. »Ich will die Parteimitgliedschaft nicht mehr, meine Stellung will ich auch nicht mehr.«

Meine Tante schlug mit der Hand auf den Tisch, dass er zitterte und das Wasser aus dem Glas vor mir herausschwappte.

»Aus dir mit deiner Einstellung kann ja nichts werden, Renner! Überleg mal«, sagte meine Tante, »das ist nicht nur deine Privatsache! Unsere Volkskommune hatte während der letzten drei Jahre kein einziges überzähliges Kind. Das Plansoll wurde nicht überschritten. Willst du uns unsere beispielhafte Leistung kaputtmachen?«

»Aber sie will sich umbringen!« Ich begann mich zu winden. »Wenn so etwas passiert, was machen wir dann?«

Meine Tante sagte nur eiskalt: »Weißt du, wie unsere hiesigen Regeln dazu lauten? Willst du Gift trinken, nehmen wir dir die Flasche nicht weg! Willst du dich aufhängen, reichen wir dir den Strick! So ein Vorgehen wäre barbarisch!

Wollen wir die Barbarei? Bei euch in der Truppe braucht das keiner, in der Stadt auch nicht. Im Ausland noch weniger. Die ausländischen Frauen denken ohnehin nur an ihr persönliches Vergnügen und an den eigenen Genuss. Da zahlt der Staat noch, wenn sie Kinder bekommen, und sie tun’s trotzdem nicht. Bei uns auf dem Land dagegen, wo wir es mit unseren chinesischen Bauern zu tun haben, reden wir uns den Mund fusselig, erklären – noch mal und noch mal – vernünftig die Politik, laufen uns die Schuhsohlen ab. Aber auf uns hören tut keiner! Sag mir, was da zu tun ist! Wir müssen den Bevölkerungszuwachs in den Griff kriegen! Müssen uns an die staatlichen Vorschriften halten! Müssen die Anweisungen unserer Vorgesetzten durchsetzen und das von ihnen verlangte Soll erreichen. Wenn du es besser weißt, sag mir, was ich tun soll! Alle, die an der Durchsetzung der Geburtenplanung arbeiten, ertragen es, dass die Leute am Tag hinter ihrem Rücken über sie pöbeln, sie zur Rechenschaft ziehen, ihnen Schwierigkeiten bereiten und sie nachts, wenn sie im Dunkeln unterwegs sind, mit Backsteinen bewerfen. Selbst ein Fünfjähriger hat mir mit dem Hammer auf die Wade geschlagen.« Tante rollte ihr Hosenbein hoch und zeigte mir den blauen Bluterguss. »Siehst du? Das ist von einem Hieb mit dem Hammer, den mir so ein schieläugiger, kleiner Hundsfott aus Dongfeng beigebracht hat. Ich denke, du erinnerst dich gut an die Sache, die damals mit Fausts Frau passierte?«

Ich nickte, denn ich erinnerte mich gut an das Unglück auf unserem Hochwasser führenden, brodelnden Fluss. Es war jetzt zehn Jahre her.

»Sie selbst war in den Fluss gesprungen. Wir waren es, die sie aus dem Fluss herausfischten. Aber Faust und mit ihm alle Dörfler behaupten, dass wir Xiulian in den Fluss geschubst und ertränkt hätten. Sie schrieben sogar gemeinschaftlich einen Brief, setzten mit Blut gestempelte Fingerabdrücke darunter, reichten Beschwerde ein. Bis zum Staatsrat hoch ging die Sache. Und als es rauskam, sah man keine andere Möglichkeit, als Huang Qiuya zum Sündenbock zu machen.«

Tante zündete sich eine Zigarette an und tat einen tiefen Lungenzug. Der weiße Qualm verhüllte ihr bekümmertes Gesicht. Sie war alt geworden. Zwei tiefe Falten führten von beiden Mundwinkeln hinunter zum Kinn, ihre Augen waren trübe und hatten große Tränensäcke.

»Wir taten alles Menschenmögliche, um Xiulian zu retten und verausgabten uns dabei völlig. Ich nahm mir, um sie zu retten, sogar noch selbst einen halben Liter Blut ab. Sie hatte von Geburt an einen Herzfehler. Da war nichts zu machen, und wir ersetzten Faust den Verlust mit tausend Yuan. Damals war das eine Menge Geld. Faust ließ es dabei jedoch nicht bewenden. Er packte den Leichnam seiner Frau auf den Handwagen und ging damit, zusammen mit seinen drei Töchtern, in Hanftrauerkleidung zum Kreisparteikomitee und machte dort Krach. Er traf tatsächlich den verantwortlichen Kader auf Provinzebene an, der zur Inspektion unserer Geburtenplanung zu uns ins Dorf entsandt worden war. Die Kreispolizei kam mit einem Jeep bei uns vorbei und schaffte mich zusammen mit Kleiner Löwe und Huang Qiuya aufs Revier. Die Polizisten behandelten uns wie Straftäter, kommandierten uns frech mit den rüdesten Schimpfwörtern herum und stießen uns brutal vorwärts und ins Auto. Der leitende Kreiskader wollte mit mir sprechen, aber ich drehte mich weg, sagte, ich spräche nur mit dem leitenden Provinzkader, und stürmte zum Zimmer des Provinzbeamten. Der saß auf dem Sofa und las Zeitung. Ich blicke nur zu ihm hinüber. Das ist doch Yang Lin! Ach, Yang Ling war stellvertretender Provinzgouverneur geworden, machte sich ein feines Leben und pflegte sich. Ich war sofort auf hundertachtzig. Wie ein Maschinengewehr feuerte ich Schimpfsalven, ließ meiner Wut freien Lauf. ›Ihr da oben gebt eure verdammten Anordnungen, und wir an der Basis laufen uns die Füße wund und reden uns den Mund fusselig. Ihr wollt, dass wir alles leise, mit zivilisierten Methoden erklären, Politik vermitteln, Massenpropaganda machen und Überzeugungsarbeit leisten ... und ihr? Steht locker da und redet! Davon tut das Kreuz ja nicht weh, nein, nein ... und das Kinderkriegen ist auch nicht eure Sache! Dass die Möse dabei weh tut, stellt ihr euch nicht mal vor! Kommt an die Basis und tut mal unsere Arbeit! Wir machen uns körperlich kaputt, mit Todesverachtung rackern wir uns ab. Stecken Schikanen und Prügel ein. Fleischfetzen fliegen! Blut spritzt! Und passiert was, unterstützt uns dann unser vorgesetzter Kader? Hält er uns mal den Rücken frei? O nein, der ist immer auf der Seite der hinterlistigen kleinen Leute! Das ist bitter!‹«

Meine Tante war eine in jeder Hinsicht stolze Person.

»Renner, andere Leute hätten vor diesem hohen Kader nicht zu sprechen gewagt. Nicht so deine Tante! Du weißt, ich kümmere mich um solchen Dünnschiss nicht. Ich kann vor hohen Tieren sogar besser reden. Mit gut reden können hat es aber auch nichts zu tun. Der Grund für meinen Redefluss war allein, dass sich bei mir zu viel Verbitterung angestaut hatte. Ich redete und weinte durcheinander. Dazwischen zeigte ich ihm meine Narbe an der Stirn. ›Hat sich Faust, als er mir mit seinem Knüppel den Kopf blutig schlug, strafbar gemacht oder nicht? Wir sind in den Fluss gesprungen und haben sie gerettet. Ich habe einen halben Liter Blut für sie gespendet. Ist das nicht der Beweis äußerster Großmut?‹, sagte ich zu Yang Lin. ›Dann schick mich doch in ein Arbeitslager zur Umerziehung. Sperr mich in ein Gefängnis. Ich will hier sowieso nicht mehr arbeiten!‹ Yang Lin hatte bei meinem Bericht bitterlich zu weinen begonnen. Er stand auf und goss mir ein Glas Wasser ein, ging zur Toilette und brachte mir von dort einen warmen Waschlappen mit. Dann sagte er: ›Es stimmt, dass die Arbeit an der Basis unvergleichlich schwieriger ist. Nicht von ungefähr spricht der Vorsitzende Mao: Dringend erforderlich ist, den Bauern Bildung und Erziehung zu bringen. Genossin Wan, ich verstehe, du hast schwere Entwürdigungen hinnehmen müssen. Die Kreiskader können dich auch verstehen. Wir schätzen dich sehr.‹ Er setzte sich zu mir, lehnte sich an mich und fragte mich, ob ich nicht mit ihm kommen und auf Provinzebene arbeiten wolle? Ich wusste sofort, worauf er hinaus wollte. Aber vor meinen Augen erschienen die Kampf- und Kritiksitzung und seine abscheulichen Worte. Sofort erstarrte ich innerlich. Deswegen sagte ich entschieden: ›Nein, ich kann hier nicht weg. Ohne mich funktioniert die Arbeit hier nicht.‹ Bedauernd schüttelte er den Kopf: ›Na dann wechsle zum Kreiskrankenhaus!‹ Ich sagte wieder: ›Nein, ich gehe nirgendwo anders hin.‹ Aber ich hätte wohl doch mit ihm gehen sollen. Einfach alles stehen und liegen lassen und abhauen. Aus den Augen, aus dem Sinn! Sollen die ihre Kinder doch kriegen. Arsch auf und raus damit! Mir doch egal, ob’s zwei oder drei Milliarden sind. Kann mir doch sagen, wenn der Himmel einstürzt, stützen ihn lange Latten wie der Vorsitzende Mao, mich juckt’s nicht! Warum sollte es auch? Deine Tante zieht ihr ganzes Leben immer nur deswegen den Kürzeren, weil sie zu gehorsam ist, zu revolutionär, zu parteitreu, zu gründlich und zu gewissenhaft.«