Выбрать главу

Tante kam plötzlich aus dem OP gelaufen und rief mir in heller Aufregung zu: »Welche Blutgruppe hast du?«

»Blutgruppe A.«

»Und sie?«

»Wie? Wen meinst du?«

»Na wen wohl?« Sie grollte. »Deine Frau!«

»Wahrscheinlich Null, aber vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht ...«

»Verdammte Scheiße!«

»Was ist mit ihr?« Ich sah das hellrote Blut an Tantes Arztkittel. Mein Hirn war wie leergefegt.

Tante verschwand wieder im OP und schloss die Tür. Ich presste mein Gesicht auf den Türspalt, konnte aber nichts erkennen. Ich hörte auch Renmeis Stimme nicht. Nur das Schreien von Shizi, die das Kreiskrankenhaus anrief und den Rettungswagen bestellte.

Ich stieß mit voller Kraft gegen die Tür, bis sie sich öffnete. Ich sah Renmei, sah Tante mit einem hochgekrempelten Ärmel und Shizi, die ihr mit einer Riesenspritze Blut aus diesem Arm abnahm, ich sah Renmeis Gesicht, weiß wie ein Blatt Papier ...

»Renmei! Renmei, halte durch!«

Eine Schwester schob mich hinaus. Ich wehrte mich: »Lass mich rein. Du verdammte Scheißkuh, lass mich rein!«

Ein paar Männer in Arztkitteln kamen den Flur entlang gerannt. Ein Arzt mittleren Alters, streng nach Zigaretten und Desinfektionsmittel riechend, drückte mich wieder auf die Holzbank. Er reichte mir eine Zigarette, gab mir Feuer.

»Nur keine Panik! Der Rettungswagen des Krankenhauses kommt sofort. Deine Tante hat ihr mehr als einen halben Liter von ihrem eigenen Blut übertragen – es sollte keine größeren Komplikationen geben.«

Der Rettungswagen kam mit heulendem Martinshorn. Wie tausend Schlangen bohrte sich die Sirene in meinen Körper. Ein Mann im Arztkittel mit Arztkoffer. Ein Mann im Arztkittel mit Brille und Stethoskop. Noch mehr Männer in weißen Kitteln. Frauen in weißen Kitteln. Männer mit einer zusammenklappbaren Tragbahre. Männer, die im OP verschwanden. Andere, die auf dem Flur stehen blieben. Sie bewegten sich schnell und behende, doch ihre Gesichter zeigten keinerlei Regung. Keiner achtete auf mich. Nicht mal ein flüchtiger Blick streifte mich. Ich fühlte einen strengen Blutgeschmack im Hals.

Die Männer im Arztkittel kamen gemächlich aus dem OP, einer nach dem anderen stiegen sie wieder in den Rettungswagen. Zuletzt packten sie auch die Tragbahre wieder ein.

Ich drückte die Tür zum OP auf und sah ein weißes Laken, das Körper und Gesicht meiner Frau bedeckte. Meine Tante saß, am ganzen Leib voll mit Blut, deprimiert auf einem Klappstuhl. Kleiner Löwe und die anderen standen da wie die Salzsäulen. Meine Ohren hörten nichts mehr. Stille. Kein Ton. Dann waren da zwei Bienen, die laut zu summen begannen.

»Tante«, sagte ich, »du hast doch behauptet, es sei alles in Ordnung.«

Mit zusammengekniffenen Augen und krauser Nase hob sie den Kopf. Was für ein grässliches, grauenvolles Gesicht! Abrupt nieste sie geräuschvoll.

12

»Schwägerin, Bruder.« Tante stand im Hof und sprach mit steifer Stimme: »Ich komme, um meine Schuld einzugestehen und bitte um Bestrafung.«

Renmeis Urne hatte man mitten im Raum auf einem eckigen Tisch aufgestellt. Vor der Urne stand eine weiße, mit Weizenkörnern gefüllte Schale. Im Weizen steckten drei Räucherstäbchen, über denen in Spiralen duftender Qualm aufstieg. Ich trug Uniform, an die Schulter hatte ich ein Stück schwarze Gaze geheftet. Ich saß mit meiner Tochter auf dem Arm neben dem Tisch. Sie trug Trauerkleidung ersten Grades und hatte einen weißen, aus Rupfen gefertigten Kapuzenumhang um. Unentwegt hob sie ihr Gesichtchen und fragte mich:

»Papa, was ist denn da in dem Krug drin?«

Ich fand keine Worte, um ihr zu antworten, die Tränen rannen mir nur immerfort herab und flossen über meine Bartstoppeln.

»Papa, wo ist meine Mama? Wo ist meine Mama hin?«

»Deine Mama ist nach Peking gefahren. In ein paar Tagen fahren wir auch nach Peking.«

»Kommen Opa und Oma auch mit?«

»Ja, alle fahren hin.«

Vater und Mutter waren im Hof und sägten. Sie sägten ein Weidenbrett. Das Brett war an einer langen Bank festgebunden. Vater stand und Mutter saß, während sie auf und ab und hin und her sägten, ritsch, ratsch, ritsch, ratsch. Das Sägemehl sah man in der Sonne in alle Richtungen wegfliegen.

Ich wusste, dass sie Weidenholz für Renmeis Sarg sägten. Obwohl in unserer Gegend bereits Feuerbestattungen9 vorgeschrieben waren, gab es keinen Ort, den man uns für die Aufbewahrung der Urne zugewiesen hätte. Also beerdigten die Leute ihre Urnen, wenn sie sie in Empfang genommen hatten, und türmten ein Grab darüber auf. Familien, die Geld hatten, ließen einen Sarg zimmern, in den sie die Asche einfüllten. Die Urne zertrümmerten sie. Familien, die arm waren, bestatteten die Urne.

Ich sah meine Tante mit hängendem Kopf dastehen. Ich sah die von Trauer gezeichneten Gesichter meiner Eltern, sah sie mechanisch sägen. Ich sah die Leute, die mit meiner Tante gekommen waren, den Kommuneparteisekretär, Kleiner Löwe, drei weitere Kommunekader, die ein paar Pakete mit bunten Naschereien neben dem Brunnen abstellten. Neben den Paketen mit Naschwerk gab es noch ein triefendes Bündel, das einen strengen, salzigen Geruch verströmte. Ich wusste, es war ein Paket Klippfisch.

Niemand hatte mit dem gerechnet, was geschehen war. Die Spezialisten vom Kreiskrankenhaus waren bereits dagewesen und hatten ein Sachverständigengutachten erstellt, aus dem hervorging, dass Leiterin Wan in allen Punkten vorschriftsmäßig vorgegangen sei. Dass auch nichts unterlassen worden sei. Dass auch alle Rettungsmaßnahmen richtig erfolgt seien. Dass Leiterin Wan noch dazu mehr als einen halben Liter ihres eigenen Blutes gespendet und Renmei übertragen habe. Das Geschehene bedauerten sie sehr. Es sei sehr schmerzlich ...

»Hast du keine Augen im Kopf?«, platzte es wütend aus meinem Vater heraus. »Da habe ich einen Strich gezogen. Den siehst du doch wohl!«, fuhr er meine Mutter an. »Jetzt ist der Sägeschnitt fast zwei Zentimeter drüber. Das siehst du doch, du Transuse!«

Mutter kam vom Boden hoch und verschwand laut weinend im Haus.

Vater schmiss die Säge hin und beugte sich über den Wasserbottich, um sich ein paar Kellen Wasser zu schöpfen, die er sich über den Nacken goss. Das kühle Wasser plätscherte über sein Kinn, über seinen Hals, über die Brust und mischte sich mit dem Sägemehl. Dann trank er und schnappte sich die Säge, um alleine weiterzusägen.

Der Kommuneparteisekretär und seine Kader verschwanden im Haus, um vor der Urne Renmeis drei tiefe Verbeugungen zu machen.

Jeder der drei Kader legte einen braunen Briefumschlag auf die Anrichte neben dem Herd.

Der Parteisekretär sprach zu meinem Vater: »Genosse Wan Fuß, wir wissen wohl, dass kein Geld der Welt diesen furchtbaren Verlust mildern kann, den deine Familie erlitten hat. Diese fünftausend Yuan sollen nur ausdrücken, dass wir Anteil an eurem Schmerz nehmen.«

Ein anderer Kader, auch so ein Parteisekretär, sagte: »Vom Staat kommen dreitausend, die übrigen zweitausend haben die Kommuneleiter selber dazugelegt.«

»Nehmt das Scheißgeld weg«, sagte ich, »wir brauchen das nicht.«

»Wir können dein Leid nachvollziehen«, sagte der Parteisekretär bitter. »Was einmal gestorben ist, wird nicht wieder lebendig! Und die Lebenden sind auch noch zur Revolution in Permanenz verpflichtet.10 Vorsitzende Yang hat aus Peking angerufen. Sie hat ihrer Trauer für die kleine Wang Ausdruck verliehen, und sie bittet mich, den Hinterbliebenen der Verstorbenen ihr Beileid auszusprechen. Und sie hat dir deinen Urlaub um zwei Wochen verlängert, damit du das Begräbnis abwickeln und Vorkehrungen zu Hause treffen kannst. Erst dann kommst du zurück zur Truppe«, so sprach der Parteisekretär zu mir.