Er hörte auf zu atmen wie Alice selbst. Dann murmelte er: »Ich kann sie umbringen. Sie sind sterblich.« Sein Gesicht entspannte sich, seine Lippen öffneten sich leicht, und er schlief wieder tief.
Nach einer Weile kuschelte Alice sich an ihn.
31. Höchste Geheimhaltungsstufe
Wer bereit ist, um einer geringen vorläufigen Sicherheit willen wesentliche Freiheiten aufzugeben, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.
Der Hubschrauber ging auf dem Parkplatz hinter einem merkwürdigen alten Gebäude nieder. Die Fundamente bestanden aus Granit, an jeder Ecke erhoben sich Backsteintürme. Ein älterer Mann wartete mit zwei weiteren auf sie. Sie trugen braune Uniformen und schützten sich mit Schirmen vor dem Nieselregen. Jenny und Jack folgten ihnen ins Innere des Gebäudes.
»Ich bin der Polizeichef, Ben Lafferty, und das sind zwei meiner Männer, Young und Hargman. Fragen Sie, was Sie wollen.«
»Eigentlich hatten wir mit Leuten von der militärischen Abwehr gerechnet«, sagte Jenny.
Lafferty verzog das Gesicht und beäugte Jennys frisch glänzendes silbernes Eichenblatt mit übertrieben zusammengekniffenen Augen. »Nun, Lieutenant Colonel, ich bin selbst Oberst der militärischen Abwehr. Offen gesagt bin ich hier der Ranghöchste.« Er hörte auf zu grinsen, und aus seinem Gesicht schwand schlagartig jegliche Jovialität. »Ich stamme von hier, meine Dame. Der Staat Washington hat die Hauptstadt Washington eigentlich nie so recht gebraucht, und Bellingham hat nie viel vom Staat bekommen. Es war ein hübsches Universitätsstädtchen, bis ihr Bundesleute gekommen seid.«
Jack Clybourne griff in die Tasche. Jenny legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich verstehe Sie«, sagte sie. »Wir tun nur unsere Pflicht.«
»Und worin besteht die? Was, zum Teufel, baut ihr da unten am Hafen? Erzählen Sie mir bloß nicht wieder den Quatsch mit dem Gewächshaus. Für so was braucht man keine riesigen Eisendinger, die unter Schleppkähnen hängend rangeschafft werden.«
»Wir sind im Krieg«, sagte Jack Clybourne.
»Davon haben wir gehört.«
»Gehört! Sie hätten das zerstörte Raumschiff sehen sollen!« Doch Jack Clybourne hatte sich gleich wieder gefangen. Lafferty war einen Schritt von ihm weggetreten. »Ich habe einige Filme mitgebracht und ich denke, ich kann Sie davon überzeugen, daß wirklich Krieg ist. Wir sind im Begriff, ihn zu verlieren und auf jede Hilfe und Zusammenarbeit angewiesen, die wir bekommen können.«
»Das kenne ich schon.« Der Polizeichef sah auf die Uhr. »Schön. Hargman und Young können sich um Sie kümmern. Ich habe einen Termin.« Er verließ das Büro, ohne sich noch einmal umzuwenden.
»Was hat er eigentlich?« wollte Jack Clybourne wissen.
Young überlegte einen Augenblick lang und sagte dann leise: »In gewisser Hinsicht hat er recht. Es lief alles prima, bis mit einem Schlag dieses große Gewächshausprojekt angekündigt wurde. Nur ist es kein Gewächshaus, nicht wahr? Sonst müßte der Bau ja nicht von einem Astronauten im Generalsrang überwacht werden.«
»Zufällig ist General Gillespie mein Schwager. Er gehört zu den Luftstreitkräften«, sagte Jenny.
»Ach ja? Und was haben die mit Grünkram zu tun? Wozu all diese Sicherheitsvorkehrungen, wenn es doch nur ein Gewächshaus ist?«
»Es gibt Gründe.«
Hargman schnaubte verächtlich. »Sicher. Und die sorgen dafür, daß eines schönen Tages ein Meteor auf unsere Stadt abgeworfen wird und alle umkommen.«
»Nicht wenn die Außerirdischen an das Gewächshaus glauben «, sagte Jenny. »Sie haben noch nie ein Lebensmittellager bombardiert.«
»Und woher sollen die wissen, daß es eines ist?«
»Vielleicht lassen Sie es einfach mal darauf ankommen«, sagte Jack. »Wenn die Rüßler erst mal erfahren, daß in Bellingham etwas vor sich geht, dann…« Er spreizte die Hände.
»… gibt es kein Bellingham mehr«, sagte Young. »Und wie könnten sie dahinterkommen?«
»Durch das Fernsehen. Oder einfach über das Radio, den Polizeifunk – sogar CBFunk.«
»Großer Gott«, sagte Hargman. »Und was für ein Geheimnis beschützen wir da?«
»Glauben Sie mir, es ist besser, wenn Sie es nicht wissen«, versicherte ihm Jack.
Jenny dachte an das graue Gesicht des Präsidenten. »Hört mal, wir sitzen doch alle im selben Boot, nicht wahr? Wichtig ist, daß niemand auf den Gedanken kommt, in Bellingham könnte es Geheimnisse geben. Auf dieser Grundlage sollten wir vorgehen.«
»Alle CBGeräte einsammeln«, knurrte Hargman. »Das wird bestimmt nicht einfach sein. Und werden Rüßler nicht erst recht mißtrauisch werden, wenn es hier kein CBGeplapper mehr gibt?«
Jack erwiderte: »Wir sorgen für Anlagen, über die viel geplauscht wird. Aber das machen unsere Leute. Vielen Dank.«
»Wird gemacht«, sagte Young. »Aber so richtig schmeckt mir das nicht.«
»Es ist im Interesse aller«, beruhigte ihn Jenny.
General Edmund Gillespie schloß die Tür. Jenny konnte den Lärm vom Hämmern und Nieten immer noch hören, aber er war schwächer, riß nicht mehr an ihren Trommelfellen. Im Büro bedeckten Pläne und Bauzeichnungen Stühle und Tische, hingen von sämtlichen Wänden.
Jack Clybourne nahm mit erleichtertem Gesichtsausdruck seine Ohrenschützer ab.
»Max«, sagte General Gillespie, »Sie erinnern sich bestimmt noch an die kleine Schwester meiner Frau. Sie ist inzwischen Lieutenant Colonel.«
Ein breites Grinsen trat auf Max Rohrs’ Gesicht. »He, Jenny. Schön, dich zu sehen. Ist ja toll.«
»Und das ist Jack Clybourne«, stellte Gillespie vor. »Max ist sozusagen der Bauleiter unseres Projekts. Max, Jenny und Jack sind hier als – ich möchte, daß das richtig verstanden wird – als persönliche Beauftragte des Präsidenten. Sie werden ihm nach ihrer Rückkehr berichten.«
»In Ordnung«, sagte Rohrs. »Ich wußte ja, daß wir wichtig sind.«
»Max, Ihr hier seid unsere letzte Hoffnung«, platzte Jenny heraus.
»Ist mir bekannt.«
Gillespie wies auf die Stühle. »Was zu trinken? Ich kann das Bier hier nur empfehlen.« Er öffnete einen Kühlschrank und holte mehrere Flaschen ohne Etiketten heraus.
»Gern«, sagte Jenny.
Mit gerunzelter Stirn nahm Jack eine Flasche entgegen.
»Und wie geht es voran?« fragte Jenny.
»Nicht schlecht«, sagte Max Rohrs. »Wir sind sogar dem Terminplan voraus.«
»Wieso das?«
»Nun, ein AtomU Boot am Boden des Hafenbeckens liefert reichlich Strom, und wir haben sämtliche ComputerZeichensysteme entlang der Westküste konfisziert. All das hilft. Am besten ist aber, daß es praktisch keinen Papierkram zu erledigen gibt«, sagte Max. »Keine Telefonate mit Washington, die Ingenieure entwerfen, die Computerleute prüfen es durch, Ed und ich entscheiden, und dann geht es gleich an die Ausführung, ohne langatmige Konferenzen und PlanungsausschußSitzungen. Wir machen es einfach.«
»Zum Erfolg trägt außerdem bei, daß jeder sein Bestes gibt«, sagte Gillespie.
»Stimmt. Wir sind hier, um das Ding fertig zu kriegen, nicht um Geld zu verdienen und Kaffeepausen zu machen.«
Das sieht man aber auch, dachte Jenny. Max sieht aus, als hätte er im letzten Monat keine einzige Nacht geschlafen, und Ed sogar noch schlimmer. »Und wann kann das Ding startbereit sein?«
Max machte ein nachdenkliches Gesicht. »Es heißt, noch ein Jahr, aber es würde mich nicht überraschen, wenn wir es in neun Monaten fertig bekämen. Vielleicht sogar noch eher.« Er entrollte einige Konstruktionszeichnungen. »Das schwierigste ist die Grundplatte. Die Lastkähne bringen sie stückweise rein, und wir müssen sie hier an Ort und Stelle zusammensetzen. Es ist Knochenarbeit, und es genügt nicht, daß man nur schweißt und nietet. Dann brauchen wir noch die Kanone, die die Bomben hinter die Prallplatte drückt. Wenn das nicht klappt… nun, wir haben jedenfalls zwei getrennte SBK vorgesehen.«