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Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.

MATTHÄUS 10, 16
Zeit: Eine Stunde nach der Stunde Null

Die Luft wurde beständig stickiger. Wes kam sich vor wie im Bauch eines Wals gefangen. Keuchend, hustend und gegen die nachgebende Wandung tretend und stoßend, hatte Giorge schließlich das Bewußtsein verloren. Der Sauerstoffvorrat in der großen Kugel war nicht für zwei Personen berechnet.

Es war schwierig, in einer solchen Situation gelassen zu bleiben, aber Wes bemühte sich: er atmete trotz des Hustenreizes langsam und gleichmäßig, schloß die Augen und machte sie rasch wieder auf: er mußte unbedingt die waffenstrotzende Großstadt am Himmel im Auge behalten, die auf ihn zukam! Fast wie ein Fötus zusammengekrümmt, entspannte er ganz bewußt seine Muskeln.

Der Ballon wurde von den riesigen Wesen weggeschleppt.

Hilflos wie ein Säugling fiel Wes auf das Raumschiff der Außerirdischen zu, das größer war als die Zwillingstürme des World Trade Center in New York. Im Näherkommen erkannte er Einzelheiten: eine große Schutzhülle auf einem Gelenkarm; schwarze Rechtecke, ein aus vielen blauen Kegeln zusammengesetzter Flammenstrahl. Die Luft war dick wie Suppe. Trocknendes Blut verstopfte ihm die Nase. Atme flach, paß gut auf, du darfst nichts verpassen… zwecklos. Seine Brust hob sich, ein Hustenanfall schien ihn zu zerreißen, alles verschwamm ihm vor den Augen.

* * *

Manches beeindruckte Arwid Rogatschow, und nicht vieles überraschte ihn. Ein Raumschiff so groß wie eine Stadt: natürlich, wenn die Außerirdischen damit einen Planeten zu erobern gedachten! Sie wirkten äußerst fremdartig. Der Angriff: warum nicht? Was auch immer sie sich vom Zusammentreffen mit der Menschheit versprachen, so war es für sie am sichersten.

Trotzdem war er wütend.

Wie sie wohl Gefangene behandeln würden? Aus der Geschichte war eine Vielzahl von Möglichkeiten bekannt… Würden die Angreifer die Erdenmenschen näher in Augenschein nehmen wollen? Die hatten keine Zeit gehabt, Haß auf ihren Feind zu entwickeln, noch nicht. Was ihnen lebend in die Hände fiel, würden sie wohl am Leben erhalten… es sei denn, sie waren von geradezu unvernünftiger Fremdenfeindlichkeit oder fanden das Aussehen der Erdbewohner von vornherein widerwärtig…

Vielleicht war ihnen ein gesunder Sowjetfunktionär lieber als eine durch schlagartigen Druck zerplatzte Leiche, die sich nicht in idealer Weise sezieren ließ?

Arwid schob diesen Gedanken beiseite. Wer lebte noch? Natürlich Dawson und Giorge. Auch Nikolai hatte eine Rettungsblase erreicht. Aljana? Der andere Amerikaner, Greeley?

Dem ersten Horrorwesen, wahrscheinlich ein Kundschafter, waren durch die geborstene Druckhülle von Kosmograd ein Dutzend weitere gefolgt. Sie hatten einen kurzen Blick auf die Raumfahrer geworfen und waren dann in andere Teile der zerstörten Station verschwunden. Die vier, die geblieben waren, hatten mit mehreren Feuerstößen den Riß noch vergrößert und beförderten jetzt die Blasen auf etwas zu, das wie eine endlose Metallwand aussah.

Arwid hätte sich das Heck des Raumschiffs gern gründlicher angesehen, vor allem den Antrieb; aber sie kamen von der Seite. Die Seitenwand wies dunkle Öffnungen mit dicht schließenden Türen auf. Luftschleusen oder Raketenabschußöffnungen? Dienten die ovalen Fenster zum Hinaussehen, oder wurden aus ihnen Laserstrahlen abgefeuert? Mit einemmal wurde ein feiner Strich aus blitzenden Punkten vor dem schwarzen Himmel sichtbar: Staubkörnchen, die einen Laserstrahl widerspiegelten? Offenbar in großer Ferne entstand ein neuer Stern und verging. Weit unten blitzten Lichter vor dem Nachthimmel der Erde auf. Irgend etwas breitete sich mit unglaublicher Helligkeit aus, und Arwid wandte den Kopf ab.

Eine Atomwaffe. Wessen? Und wie nahe war sie? Er versuchte, die in ihm aufsteigende Panik zu unterdrücken. Wie lange habe ich noch zu leben? Ich habe den Basilisken gesehen und lebe noch…

Weitere Lichter flammten in großer Entfernung auf, wohl nahe der Erde. Lichtstrahlen stießen durch den mit Staub und Abfall gefüllten Weltraum abwärts. Bondarew greift das Raumschiff an, und vielleicht Amerika auch. Noch nie hatte sich Arwid Rogatschow so hilflos gefühlt.

Inzwischen waren sie dem Raumschiff so nah, daß er Einzelheiten erkennen konnte. Nuten liefen an seiner Flanke entlang wie Eisenbahnschienen, aber mit weit größerem Abstand. Das konnten Halterungen für kleinere Raumschiffe sein… ›Kleiner‹ war natürlich relativ, sie mußten immer noch riesig sein, vielleicht waren sie so groß wie Kreuzer. Möglicherweise diente der Rumpf demselben Zweck wie das Flugdeck eines Flugzeugträgers. Oder…

Arwid kam mit seinen Vermutungen nicht weiter. Diese Art von Ratespiel war nichts für ihn – da mußte schon jemand teils Mechaniker und teils Stratege sein: ein Mechaniker mit Phantasie. Ob Nikolai oder Mitja noch lebten?

Etwas Rechteckiges am Raumschiff sah aus wie eine Pustel. Zu klein für eine Luftschleuse… Nein, doch nicht. Es war größer, als er gedacht hatte. Groß genug für die Weltraumwesen, wie er sah, als sich eins dagegenschob. Eine Vertiefung von der Größe eines Außerirdischen in einem Raumanzug. Eins der Wesen, die ihn gefangengenommen hatten, verschwand im Innern. Die Tür schloß sich.

Sie öffnete sich wieder. Weltraumwesen Nr. 2 schob Arwids Rettungsblase in die Schleuse. Sie stieß an die Seiten, paßte aber hinein. Die Außentür wurde geschlossen, die Blase sank allmählich in sich zusammen, und Arwids gequälte Ohren schienen zu platzen. Eine innere Tür öffnete sich. Einer der Außerirdischen zog die Blase in einen breiten Gang von rechteckigem Querschnitt, der sich vor ihm krümmte und in drei verschiedenen Grüntönen gestrichen war, wie zur Tarnung. Eine Art Teppichboden bedeckte beide Wände. Arwid wußte nicht – rotierte das Schiff, um Schwerkraft zu erzeugen, oder waren sie schwerelos?

Nachdem sie an vielen geschlossenen Türen vorbeigekommen waren, erreichten sie eine, die offen war. Sie wirkte massiv… wie ein Schott auf einem Kriegsschiff.

Das vordere Weltraumwesen blieb für einen Augenblick stehen, so daß Arwid zwischen den beiden eingekeilt war.

Sie handelten gleichzeitig. Eine Art Bajonett mit langem Griff schnitt die Überlebensblase auf, ein gegabelter Tentakel faßte herein und schloß sich um ihn. Arwid konnte nicht anders: er kreischte und schlug mit der Faust gegen das Visier des Wesens. Seine Faust schmerzte. Der Tentakel hob ihn wie einen Säugling aus der zusammengesunkenen Blase und schleuderte ihn in einen großen Raum. Ob die Gift atmen? Es drang bereits in seine Lunge!

Als er gegen die Wand schlug, blieb der Anprall aus, den er erwartet hatte. Die Wand war ebenso gepolstert wie Boden, Decke und Wände. Die Luft war feucht, roch gleichzeitig erdig und eigenartig, aber nicht so, als würde sie ihn umbringen.

Eine große, glasverkleidete Röhre ragte in einer Ecke des Raumes aus dem Polstermaterial hervor. Eine Kamera.

Die Weltraumwesen folgten ihm hinein. Arwid versuchte sich zu entspannen, als sie auf ihn zukamen. Einer hielt noch immer das Bajonett im Tentakel. Wollten sie ihn sezieren? Keinesfalls würde er noch einmal schreien.

Es fiel ihm schwer, nicht um sich zu schlagen. Einer der beiden hielt ihn fest – es fühlte sich an, als quetschten ihn Pythons zu Tode –, während der andere mit dem Bajonett seine Kleidung aufschlitzte: den Rücken hinab und an Armen und Beinen entlang. Sie entkleideten ihn vollständig, nahmen die zerschnittenen Kleidungsstücke und gingen vorsichtig rückwärts hinaus, als könnte er ihnen noch immer gefährlich werden.

Er war allein.

Aus seiner Angst wurde namenlose Wut.

Solange ihr mich für gefährlich haltet, bin ich harmlos. Aber irgendwann, in diesem oder im nächsten Jahr, wird eure Wachsamkeit nachlassen. Und bis dahin weiß ich mehr.