Die Straße konnte er nicht sehen, aber er hörte das Fahrzeug auf ihr. Der Motor klang anders als alles, was er je gehört hatte.
Dann hörte er es rascheln im Weizen. Jemand – etwas – näherte sich.
Die Halme standen zu dicht, als daß er hätte hindurchsehen können. Seine Welt war auf einen Umkreis von fünf Metern oder weniger zusammengeschrumpft. Er konnte gerade noch Melissas leuchtendrotes Kopftuch sehen. Ich hätte ihr raten sollen, es abzunehmen, jetzt ist es zu spät. Wir können uns sowieso nicht verstecken.
Die Geräusche kamen näher. Sie waren überall um ihn herum.
Und was jetzt? Die Pistole verlieh ihm kein Gefühl der Sicherheit. Er war kein guter Schütze. Ihm fiel ein, was ihm ein alter AfrikaSöldner einmal über Elefanten gesagt hatte. Es sei schwer, sie im vollen Lauf zu bremsen und noch schwerer, sie zu töten. Man mußte sie genau an der richtigen Stelle treffen. Eine Kugel vom Kaliber 11,43 mm würde die wohl kaum beeindrucken, außer sie traf genau an einer entscheidenden Stelle…
Aber es sind keine richtigen Elefanten. Vielleicht sind sie gar nicht so zäh. Wahrscheinlich würde ich die richtige Stelle nicht finden.
Er hörte Jeri aufkreischen, dann zwei Schüsse aus ihrer Walther. Melissas Tuch fuhr hoch, dann bewegte sich etwas, und sie verschwand im Weizen. Es gab nichts, auf das er hätte schießen können. Harry sprang auf und lief auf das Geräusch zu.
Dabei hörte er etwas hinter sich. Er wandte sich um…
Ein Zwergelefant war hinter ihm her. Ein weiterer näherte sich von der Seite. Die haben ja Mäntel mit Kapuzen an! Harry zielte auf den einen und schoß. Der Elefant ließ sich nicht beirren. Etwas wie Peitschenschnüre schlug ihm gegen Arm und Seite, so daß er herumgerissen wurde und ihm die Pistole aus der Hand fiel.
Der andere Elefant kam auf ihn zu. In seinem Rüssel, der aussah wie eine neunschwänzige Katze, hielt er ein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett. Es zielte genau auf Harrys Kehle.
»Melissa! Lauf!« kreischte Jeri.
Harry wandte sich um, um zu ihr zu gelangen.
Etwas fuhr ihm pfeifend um die Knöchel und riß ihm die Füße unter dem Leib weg. Er fiel schwer in den Weizen. Der Elefant stand mit auf ihn gerichtetem Bajonett über ihm. Der andere stellte sich daneben.
»Pshthish ftpph.«
Harry sah verständnislos nach oben.
Die Elefanten wiederholten die Laute, diesmal lauter.
»Schon gut, verdammt noch mal, ihr habt mich!« Er blieb liegen, wo er war, wälzte sich halb herum. Bei der kleinsten Gelegenheit würde er…
Wieder zischelten die Außerirdischen. Dann fuhr mit einemmal ein Rüssel herab und drehte Harry auf den Rücken. Einer der Angreifer zog Harrys Hände über den Kopf. Der andere ragte über ihm auf.
Mein Gott, die wollen mich zertrampeln! Harry wand sich, um freizukommen. Der Fuß wurde auf seine Brust gestellt. Es geschah fast sanft. Harry zappelte, er riß eine Hand frei und kratzte mit den Nägeln an dem Fuß, versuchte, ihn nach oben zu drücken, sich seitwärts wegzurollen. Sein Kinn wurde von Krallen gehalten, und ein schweres Gewicht drückte auf seine Brust, preßte die Luft aus ihm heraus, es klang wie verzweifeltes Zischen. Er verlor das Bewußtsein.
Undeutliche Wahrnehmungen in seinem Gehirn, Erinnerungen an einen Alptraum. Er atmete schwer wie ein Blasebalg! Er rollte sich zur Seite in… Weizen? Unmenschliches Schreien und Brüllen drang an seine Ohren. Es klang, als wäre in einem Zoo Feuer ausgebrochen.
O Gott. Jeri. Harry versuchte aufzustehen und schaffte es bis auf ein Knie.
Die Zwergelefanten versammelten sich auf der Straße. Harry erhaschte einen Blick auf Melissa, die auf dem Rücken eines der Angreifer hockte und von einem sich verzweigenden Rüssel dort festgehalten wurde. Jeri bewegte sich taumelnd voran, von Angreifern umzingelt.
Auf der Straße wartete ein Fahrzeug von der Größe eines Schwerlasters. Es hatte keine Räder und sah aus wie ein riesiger Schlitten. Der Motor lief nicht.
Sie luden Melissa in das Fahrzeug und stießen Jeri hinter ihr hinein. Einige der Angreifer sprangen auf die große Ladefläche. Das Fahrzeug erhob sich lärmend auf einer Staubwolke: Aha, Luftkissengleiter. Es sauste davon.
Harry schienen die Außerirdischen ganz und gar vergessen zu haben.
Er kroch langsam davon und gab sich Mühe, die Weizenhalme so wenig wie möglich in Bewegung zu versetzen. Was blieb ihm nun? Sie hatten ihm die schwere Pistole genommen, aber vielleicht hatten sie sein Motorrad dagelassen, und Carlotta wartete immer noch. Es sei denn, sie waren auch dort gelandet.
Auf allen Wegen flohen die Beutewesen aus dem Dorf. Fahrzeuge galten als Waffen und wurden auch so behandelt, doch wer zu Fuß war, durfte sich ergeben. Man mußte es den Erdlingen beibringen: In manchen Fällen mußte man sie niederschlagen und in die richtige Stellung rollen. Wer anschließend aufstehen konnte, konnte ungehindert seiner Wege gehen.
Das Dorf war stärker in Mitleidenschaft gezogen worden als nötig. Es betrübte Tshintithpitmäng: einige Bewohner waren tot, einer war bei lebendigem Leib in Stücke gerissen worden, sein Schreien gellte ihm noch immer in den Ohren, Gebäude waren zerstört, der Geruch nach Sprengstoff und Brand hing in der Luft; der flache Trichter, wo der Fels heruntergekommen war… Wir kennen sie nicht. Lieber etwas zuviel Gewalt anwenden als zuwenig.
Durch Befragen vorüberkommender Krieger fand Tshintithpit mäng den Achtschafthoch drei Führer in einem großen, roten Gebäude mit einem Säuleneingang.
Siplisteph war von nahezu quadratischen Bündeln bedruckter Blätter umgeben, die an einer Ecke gebunden und bunt verziert waren. Er durchblätterte eines dieser Bündel, es enthielt neben dem Druck Zeichnungen. Der junge Schläfer schien entspannt, schien sich äußerst wohl zu fühlen. Er sah träumerisch auf und sagte: »Es ist so schön, wieder einmal einen Himmel zu sehen.« Seine Augen richteten sich auf Tshintithpitmäng. »Du kommst spät.«
Tshintithpitmäng sagte: »Einer hat sich nicht gemeldet. Davon abgesehen haben wir keine Verluste.«
Siplisteph hob seine Grifflinge. »Die anderen haben Krieger verloren. Du wirst befördert. Zusätzlich zum Kommando über deine Achtschaft bekommst du das stellvertretende Kommando über die Achthoch zwei Einheit, der du angehörst.«
»Hat es schwere Verluste gegeben, Achtschafthoch drei Führer?«
»Ziemlich viele in der Führerschaft. Wir haben einen Achtschaft hoch drei Führer verloren.«
»Es sind lauter Raumgeborene…«
»Diesen Gedanken solltest du besser nicht aussprechen, Tshintithpitmäng.«
Schläfer! Winterheim ist eure Heimat, aber wie können wir selbst uns inmitten dieses endlosen Horizontes finden, unter diesem unendlichen Himmel? Das konnte er nicht sagen. »Leitet mich.«
»Fahr mit deinem Bericht fort!«
»Ich gehorche. Achtschafthoch drei Führer, ich habe zwei Weibchen gefangengenommen. Das eine ist die Gefährtin eines kräftigen Mannes, das andere ihr Kind. Ich habe die Unterwerfung des Mannes angenommen und ihn zurückgelassen.«
Die Ohren Siplistephs stellten sich aufmerksam auf. »Er hat sich unterworfen?«
»Man mußte es ihm zeigen.« Aber der Zwischenfall hatte einen schlechten Nachgeschmack bei Tshintithpitmäng hinterlassen, und er fuhr fort: »Achtschafthoch drei Führer. Ich habe ihn niedergeschlagen und meinen Fuß vorsichtig auf ihn gestellt. Er hat sich gewehrt und um sich geschlagen. Ich habe kräftiger zugedrückt, bis er sich nicht mehr wehrte. Als ich den Fuß hob, bewegte er sich nicht mehr. Ich frage mich, ob ich ihn getötet habe.«