Dawson wartete, daß noch mehr kam, aber es blieb dabei. Er rollte sich zur Seite und stöhnte laut auf vor Schmerzen.
»Jetzt gehörst du zur Ziehenden Herde«, sagte Takpassih in seiner eigenen Sprache. Er sah, daß Dawson verstand und sich ein wenig zu entspannen schien. Er robbte zu den anderen Gefangenen hinüber. »Ist der Schwarze tot?« fragte Takpassih. »Was hat ihn umgebracht?«
Dmitri antwortete auf fithpisch: »Furcht vor dir. Furcht Fuß bringt Tod.«
Takpassih rief die Krieger herbei. Zwei kamen herunter und trugen den Schwarzen auf die Plattform. Sie schwebte nach oben, senkte sich dann wieder, um die Fithp einen nach dem anderen hinaufzubringen. Takpassih verließ sie als letzter.
17. Bauerngehöfte
Im allgemeinen ist es im Krieg am besten, ein Land zu besetzen, ohne ihm zu schaden; es zu zerstören, ist weniger günstig. Hundert Siege in hundert Schlachten erringen ist nicht der Gipfel der Kriegskunst. Er besteht darin, den Feind kampflos zu unterjochen.
Carlotta lag auf dem großen Himmelbett und versuchte, die Flecken an der Decke zu zählen. Ungebetene Vorstellungen bedrängten sie.
Vor ihrem inneren Auge sah sie erst eine aufgeblähte und zerfetzte Leiche vertrocknet und brüchig durch die leere schwarze Weite des Weltraums treiben, dann einen von Ungeheuern umstandenen Seziertisch.
Nein, ich will das nicht! Sie sprang aus dem Bett. Die Bodendielen knarrten unter ihren Füßen, als sie zur Tür stürmte. Das Haus war alt, als einfacher Viehzüchterhof in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut und entsprechend dem jeweiligen Familienzuwachs sowie den finanziellen Möglichkeiten erweitert worden. Von Carlottas Großmutter war es an ihre Schwester Juana gefallen, die einen inzwischen emeritierten Professor namens David Morgan geheiratet hatte. Gegenwärtig wurde es lediglich von vier Personen bewohnt: Carlotta, David, Juana und Lucy. Letztere war eine uralte Haushälterin aus Xuahaca. Juanas Kinder waren längst fortgezogen.
Sharon ist in New Hampshire. Ob ich sie je wiedersehe? Wenigstens hat das Telefon so lange funktioniert, daß ich ihr sagen konnte, sie solle dort bleiben, Gott sei Dank. Wie könnte sie jetzt reisen?
Helles Sonnenlicht erfüllte die Diele vor ihrem Schlafzimmer, und als sie die Küche betrat, sah sie auf der Wanduhr, daß es schon Nachmittag war. Hat Lucy die GinFlasche weggeräumt, oder sollte ich sie ausgetrunken haben, damit ich einschlafen konnte? Etwas müßte doch noch da sein. Sie trat an den Schrank, spürte aber dabei Lucys mißbilligenden Blick.
»Desayuno, Señora?«
»Gracias, no. Por favor, solamente café.« Ich setze mich im Morgenmantel nach draußen. Wer soll mich schon sehen, und wen könnte es stören?
Die Terrasse war viel zu groß. In Carlottas Kindertagen war dort ein Melonenfeld gewesen. Damals hatte man ihren Garten weithin im Land gerühmt. Mit Kürbissen, Melonen und anderen Erzeugnissen hatten die Trujillos auf landwirtschaftlichen Ausstellungen Preise eingeheimst. Einhübscher Sitzplatz. Sie setzte sich an den großen, schmiedeeisernen Tisch. In dem Augenblick, da Lucy den Kaffee vor sich hinstellte, begann es zu donnern.
Donner aus heiterem Himmel war in Kansas nichts Ungewöhnliches, aber dieser hier kam nicht in einzelnen, grollenden Schlägen, sondern dauerte an, nahm an Lautstärke zu, wurde schwächer und dann wieder lauter.
Schließlich zogen glänzende Pünktchen gerade, weiße Linien über den Himmel und säten ganze Wolken von weiteren Punkten aus, die west- und südwärts davontrieben. Lucy schrie vor Schreck laut auf, und da Carlotta die Alte beruhigen mußte, blieb sie selbst ruhig. Fallschirme. Eroberer. Jetzt ereilt mich das gleiche Schicksal wie Wes. Doch nichts zeigte sich unmittelbar über ihren Köpfen. Nicht hier. Jedenfalls noch nicht.
»Carla«, sagte eine Stimme hinter ihr.
»Ja, Juana?«
»Was ist das?« Der Lärm hatte ihre Schwester herausgelockt. Juana Morgan hielt ein kleines Transistorradio in der Hand, aus dem nichts als Rauschen drang, während sie fieberhaft den Tunerknopf hin- und herdrehte.
»Kondensstreifen. Vielleicht weiß es der Professor.«
»Er ist in die Stadt gefahren, um Zeitungen zu kaufen.« Juana machte eine Pause. »Und Gin.«
»Ah.« Carlotta warf Lucy einen vielsagenden Blick zu. »Sie kommen nicht zu uns«, sagte sie. »Das ist weit weg. Sie kommen wohl auch nicht nach Dighton.«
»Bist du sicher?« wollte Juana wissen.
»Ja.« Wie, zum Teufel, kann ich sicher sein? Und was könnten wir tun, wenn sie hierher oder nach Dighton kämen? Es sind fünfzehn Kilometer bis dorthin, und David hat das einzige Auto …
»David hat auch gemeint, daß sie nicht kommen«, sagte Juana. »Aber die Nationalgarde hat mobil machen lassen. Vielleicht ist David schon bei der Garde!«
»Möglich.« Wozu soll das gut sein? Lauter Tattergreise mit veralteter Ausrüstung… Wes hat sich immer für einen besseren Etat der Nationalgarde eingesetzt, aber niemand wollte etwas davon wissen.
»Lucy, vielleicht sollten Sie Kerzen und Sturmlaternen herrichten «, sagte Juana.
»Sí.« Lucy schlurfte davon, den Blick furchtsam zum Himmel gerichtet.
»So hat sie etwas zu tun. Das bringt sie vielleicht auf andere Gedanken«, sagte Carlotta. »Ich wollte, ich hätte auch was zu tun.«
»Ich auch.«
Carlotta nickte. »Mir gefällt die Rolle des Übernachtungsbesuchs nicht besonders.«
»Es ist ebenso dein Haus wie meins«, sagte Juana. »Ich habe keineswegs vergessen, wieviel du und Wes uns geliehen habt.« Sie saß Carlotta gegenüber. »Laß dich doch einfach jeden Abend vollaufen, wenn es dir hilft. Du hast den Mann wirklich geliebt, was?«
»Ich liebe ihn immer noch.«
»Entschuldige…«
»Man weiß ja nicht einmal genau, ob er tot ist.«
»Nein.« Ein erneutes Donnergrollen. Juana erschauerte. »Wäre ich doch an deiner Stelle.«
Carlotta runzelte die Stirn.
»Nun, dann wäre David da oben, und nicht Wes. Verdammt. Das klingt entsetzlich. Ich meine… nun, du liebst deinen Wes wirklich. Man sieht, wie es dich mitnimmt. Mir würde David auch fehlen, wir haben uns immer gut verstanden, aber… nun, ich wäre anders als du. Ich seh dich ungern in diesem Zustand, Carla. Du warst immer die Stärkere.«
»So? Dann sieh mich doch mal jetzt an! O verdammt, Juana, verdammt, verdammt, was soll ich nur tun?«
Juana sah zu dem mit Pünktchen übersäten Himmel empor und erschauderte.
Das Motorrad war intakt geblieben. Harry sah sich verstohlen um. Vom Feind war nichts zu sehen. Er hob die Maschine auf und stellte sie auf den Ständer.
Die Satteltaschen waren mit allen Habseligkeiten darin verschwunden. Die Angreifer hatten sie zusammen mit Jeri und Melissa mitgenommen.
Gottverdammte Mistkerle! Harry fluchte ausgiebig, dann riß er sich zusammen. Mit Flüchen änderte er auch nichts. Ihm war nicht gelungen, was man eigentlich von ihm hätte erwarten dürfen: die Frau und ihr Kind zu beschützen. Daß er ohnehin nichts hätte tun können, war nur ein schwacher Trost.
Er spürte etwas Schweres in seiner Tasche. Die kleine Beretta. Sie hatten sich also nicht die Mühe gemacht, ihn zu filzen. Einen Augenblick lang überlegte er, dann begann er im Weizenfeld herumzustöbern, und fand auch prompt die blaugraue Automatik 11,43. Einer der Eindringlinge mußte sie beiseite geworfen haben. Im Lauf war Erde.