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»Die sind hinter uns her!«, schrie Pippa. »Die jagen uns!«

In Todesangst fingen die Kinder an zu laufen und rutschten einen steilen Abhang hinunter zum Strand. Die ganze Zeit dröhnte ihnen das Bellen im Ohr, das immer lauter wurde. Sie trauten sich nicht, sich umzudrehen, und so bemerkten sie auch nicht, dass Otto nicht mehr da war.

Er war direkt an der Kante des Abhangs stehen geblieben.

Ganz still stand er da, seine Silhouette hob sich scharf gegen den blauen Frühlingshimmel ab.

Wie zwei Pfeile schossen die beiden Spürhunde auf den Bernhardiner zu, über stacheligen Ginster, Kuhfladen und Stacheldraht hinweg. Die Muskeln in ihrer Brust und an ihren Vorderbeinen traten hervor, ihre Lefzen rollten sich auf und zeigten ihre furchterregenden Zähne. Ihre Augen waren blutunterlaufen. Inzwischen bellten sie nicht mehr, denn jetzt begann das Zusammentreiben und Greifen der Beute.

Otto stand immer noch unbeweglich da.

Die Bestien waren nur noch wenige Schritte von ihm entfernt.

Sie machten sich bereit für den letzten Sprung, der Otto vernichten und ihnen erlauben würde, dem Jungen hinterherzuhechten. Doch dann hielten sie kurz inne. Der Pitbull in ihnen war bereit zu töten, doch der Bluthund wollte weiterjagen.

Und genau diesen Moment der Unentschlossenheit nutzte Otto aus, um zu »sprechen«.

Das Grollen begann irgendwo tief unten in seinem Bauch, auf dem Weg nach oben steigerte es sich mehr und mehr, und als es aus seiner Kehle drang, klang es wie ein mächtiger, von Regenmassen angeschwollener Fluss, der sich donnernd ins Tal ergießt.

Zuerst geschah nichts. Die Tiere geiferten und knurrten und zogen Furcht einflößende Grimassen. Und dann, als Ottos Grollen kein Ende nahm, änderte sich kaum merklich ihre Haltung. Ihre Lefzen bedeckten die grausigen Fangzähne, ihre Brauen zogen sich verwirrt zusammen. Sie gähnten verlegen und senkten den Blick, bevor sie sich zuerst auf ihren Hintern setzten und dann auf den Bauch legten. Sie versuchten ein letztes drohendes Knurren, aber es klang mehr wie ein Quieken.

Als ob er sagen wollte: »Schluss jetzt, kein Wort mehr«, senkte Otto schließlich seinen Kopf, machte ein paar Schritte vorwärts und öffnete sein Maul. Und nun geschah am Hinterteil der zwei Albtraumhunde etwas sehr Seltsames. Ihre Stummelschwänze schienen von einer Art Zittern befallen, konnte es ein nervöses Zucken sein? Nein. Es wiederholte sich, wurde stärker … und noch stärker.

Zum ersten Mal, seit sie als Welpen glücklich an der Seite ihrer Mutter umhergetollt waren, wedelten Darth und Terminator mit dem Schwanz.

Unten am Strand stolperten Henry und Pippa mit den anderen vier Hunden durch den Sand und auf das rettende Haus zu, sie stürzten durch die Tür und landeten als wüster Haufen in der Diele.

22. Kapitel

Am Meer! Endlich am Meer!

Henrys Großmutter weinte. Sie versuchte es zu verbergen, während sie herumwuselte, Brote schmierte und Keksdosen öffnete. Die ganze schreckliche Woche hindurch, als sie nicht wussten, was mit Henry passiert war, hatte sich Marnie zusammengerissen und war tapfer gewesen, doch nun ließ sie ihren Tränen freien Lauf.

Die Küche in dem kleinen Fischerhaus platzte vor Hunden und Kindern aus allen Nähten. Nachdem er seinen Job erledigt hatte, war Otto ebenfalls angetrabt gekommen und Meg, die alte Labradorhündin, war unter dem Sofa hervorgekrochen und tat ihr Bestes, um die Neuankömmlinge zu begrüßen.

Inmitten des Gewusels hockte Fleck und sah sehr mit sich zufrieden aus. Henrys Großvater hatte ihn gleich mit Namen begrüßt, nachdem er Henry fest umarmt hatte.

»Hallo, Fleck«, hatte er gesagt und damit gezeigt, dass er der Hund war, auf den es ankam. »Willkommen bei uns zu Hause.« Fleck hatte sich einen von Marnies Hausschuhen geschnappt und bewachte ihn.

Henry hockte auf einem Stuhl am Küchentisch und war rundum glücklich. Alles war genau so, wie er es sich erhofft hatte. Seine Großeltern so warmherzig und verständnisvoll, das knackende Kaminfeuer, der Blick aus dem Fenster hinaus aufs Meer und die vorbeiziehenden Wolken am Himmel …

Nein, es war sogar noch besser als in seiner Vorstellung, denn er hatte nicht nur Fleck gerettet, sondern auch die anderen Hunde. Und er hatte Pippa getroffen!

Doch als die Kinder anfingen, von ihren Erlebnissen zu berichten, waren die Schrecken der letzten Stunde wieder gegenwärtig.

»Wir wurden von riesigen Hunden gejagt«, berichtete Pippa. »Ehrlich. Wir wollten erst gar nicht glauben, dass sie hinter uns her waren.«

»So, als ob wir irgendwelche Kriminelle wären«, fügte Henry hinzu. »Solche Biester habt ihr noch nie gesehen. Wenn Otto nicht gewesen wäre und …«

Er brach ab, denn die Hintertür öffnete sich und auf der Schwelle stand ein großer Polizist, der aussah, als wäre er hier zu Hause.

»Tach«, sagte er und zog seine Mütze.

Die Kinder erstarrten. Würde man sie nun direkt nach London zurückschicken und die Hunde wieder einsperren? Für einen Augenblick geriet Henrys Welt ins Wanken. War es möglich, dass sein Großvater sie verraten hatte?

Doch nun begann der Polizist zu sprechen: »Ich hab nur mal fragen wollen, ob ihr Neuigkeiten wegen dem Jungen habt, aber nun seh ich ja selbst, dass alles okay ist.«

»Ja, danke, Arthur«, sagte Alec. »Henry ist gesund und munter genau wie seine Freundin Pippa. Es war so, wie wir es uns gedacht haben. Er wollte uns mit Fleck besuchen kommen. Aber die Kinder haben uns gerade erzählt, dass sie von Spürhunden verfolgt worden sind. Kannst du dir das vorstellen?«

Der Polizist nickte. »Einer der Bauern im Moor hat uns Bescheid gesagt. Hab grad ein paar Männer hochgeschickt. Ich glaube, wir wissen, wer die Typen sind. Kevin Dawks und sein Freund. Kevin ist einer von denen, die verboten Müll abladen, der andere ist auch nicht besser. Und natürlich haben sie das Gesetz gebrochen, gejagt ohne Erlaubnis.«

Er setzte sich die Mütze wieder auf, schüttelte den Kindern die Hand und ging.

»Arthur war uns ein richtiger Trost«, sagte Marnie. »Er ist jeden Tag gekommen, um zu sehen, ob du aufgetaucht bist. Die Polizei hat nämlich nie geglaubt, dass du gekidnappt worden bist. Die waren die ganze Zeit sicher, dass du auf dem Weg zu uns bist.«

Doch nun war es an der Zeit, ein paar wichtige Telefongespräche zu führen. Der Anruf im Kloster war schnell erledigt, aber der bei Pippa zu Hause war nicht so einfach.

»Wir haben dich schon vor einer Stunde aus dem Ferienlager zurückerwartet«, sagte Kayley am anderen Ende der Leitung. »Hat der Bus Verspätung?«

»Na ja, es ist nämlich so …«, begann Pippa. »Also, ich war gar nicht auf Klassenfahrt, ich bin in Northumberland.«

»Du bist wo?«, fragte Kayley entsetzt.

»Ich kann’s dir erklären, aber es ist eine lange Geschichte.«

Zuerst herrschte Schweigen. Dann sagte Kayley: »Kommen in dieser Geschichte vielleicht auch fünf Hunde vor?«

»Ja, das tun sie.« Pippa holte tief Luft. »Die Hunde sind hier bei mir, weil …« Und dann folgten weitschweifige Erklärungen.

Als Pippa den Hörer auflegte, sah sie nicht sehr glücklich aus. »Meine Schwester kommt her, um mich abzuholen. Ich hoffe, das ist in Ordnung. Sie ist ein bisschen sauer.«

Wenn man berücksichtigte, wie ausgeglichen Kayley normalerweise war, war sie nicht nur ein bisschen sauer. Sie war stinkwütend.

»Und nun bist du an der Reihe«, sagte sein Großvater zu Henry.

In London nahm Albina den Hörer ab und schrie auf.

»Dem Himmel sei Dank! Oh, Henry, wir haben uns solche Sorgen gemacht, ich wäre fast gestorben! Du musst sofort zurückkommen. Sofort! Kannst du ein Flugzeug nehmen? Oder vielleicht ist der Zug ja schneller. Ach, was red ich denn da, natürlich kommen wir und holen dich mit dem Auto. In ein paar Stunden können wir da sein.«