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Der erste Tag

Henry wachte mit einem ungewöhnlichen Gefühl auf. Ihm war warm, aber das war es nicht. Das Ungewöhnliche war, dass er sich glücklich fühlte. Gemütlich. Sicher. Nicht, als hätte er schlecht geträumt, und sei nun froh, wach zu sein. Henry fühlte sich so, als hätte er nie im Leben schlechte Träume gehabt.

Andererseits war sein Bett so hart, es war ungewöhnlich hart. Langsam begriff er, dass es überhaupt kein Bett war. Er lag mit seiner Decke auf dem Fußboden … und dann fiel ihm alles ein. Er hatte seinen Eltern versprochen, Fleck nicht in seinem Bett schlafen zu lassen, und er hatte sein Versprechen gehalten. Aber er konnte Fleck an seinem ersten Tag in seinem neuen Zuhause auch nicht allein lassen.

In diesem Moment presste sich eine kalte Nase in seine hohle Hand und Fleck begrüßte freudig den neuen Tag. Wie sein Besitzer. Fleck war ebenfalls in Geborgenheit, Wärme und Glück aufgewacht. Er sprang Henry auf die Brust, er leckte sein Ohr, sprang wieder runter und rollte sich auf den Rücken, sodass Henry seinen Bauch rubbeln konnte.

Doch Henry fiel ein, was seine Mutter am Abend zu ihm gesagt hatte.

»Wenn er eine Pfütze auf den Teppich macht, kommt er in die Garage und bleibt da auch.«

Es war höchste Zeit, mit Fleck Gassi zu gehen.

Sich anzuziehen war gar nicht so einfach, denn Fleck hatte seine eigenen Vorstellungen davon, wie er Henry dabei »helfen« konnte. Er schleppte seine Socken an interessante Orte und trieb seine Schuhe zusammen, aber als Henry endlich fertig war, ließ Fleck sich Halsband und Leine anlegen und folgte seinem neuen Herrn die Treppe hinunter. Stolz wie ein Model auf dem Laufsteg.

Henry ging mit ihm aus der Tür und durch den Vorgarten, der gar kein Garten war, sondern eine geharkte Kiesfläche. Hier durfte Fleck auf keinen Fall sein Bein heben.

Gegenüber von Henrys Haus war ein Privatgarten, der den Bewohnern der Straße zugänglich war, aber nicht allen. Auf einem Schild am Tor stand Für Hunde und unbegleitete Kinder verboten. Doch am Ende der Straße, wo die Häuser kleiner und nicht mehr so vornehm waren, gab es einen öffentlichen Park. Seine Mutter ging mit Henry nie dorthin, weil sie Angst hatte, die Kinder dort könnten grob zu ihm sein. Fleck schien der Park zu gefallen, er konnte gar nicht schnell genug hinkommen.

Es war ein ganz gewöhnlicher Stadtpark, aber Fleck benahm sich, als wäre er im Paradies. Er schnüffelte an jedem Baum, um zu riechen, welcher Hund als Letztes da gewesen war, er versuchte ein Büschel Gras zu essen und musste niesen. Er entdeckte einen spannenden Laubhaufen. Und die ganze Zeit über zuckten seine Ohren vor Eifer und immer wieder drehte er sich nach Henry um, als ob er sehen wollte, ob der auch all das roch und fühlte und mit ihm teilte.

Henry ließ es zu, dass Fleck ihn führte, und stand plötzlich einem Mädchen mit blonden Locken gegenüber. Sie saß auf einer Bank und las und war genau die Sorte von hübschem, selbstbewusstem Mädchen, die Henry normalerweise Angst einflößte, aber Fleck schloss sie augenblicklich ins Herz.

»In dem stecken ja eine Menge Rassen«, sagte das Mädchen und streichelte Flecks Rücken.

Henry schüttelte den Kopf.

»Das ist ein Tottenham-Terrier«, sagte er.

»Noch nie gehört, das muss eine neue Züchtung sein. Er sieht richtig klug aus. Warum lässt du ihn nicht von der Leine?«

»Ich habe ihn erst seit gestern und weiß noch nicht, ob er zurückkommt. Nächste Woche will ich mit ihm in die Hundeschule.«

»Natürlich kommt er zurück. Er liebt dich.«

Henry sah das Mädchen an. Ihre Worte machten ihn überglücklich. Er beugte sich vor und löste die Leine. Fleck schüttelte sich kurz, dann sauste er los wie ein Windhund nach dem Startschuss und verschwand hinter ein paar Bäumen.

Einen kurzen Moment lang überfiel Henry Panik, als er und das Mädchen sich ansahen. Und wenn er nun für immer verschwand? Doch dann tauchte der kleine Hund wieder auf und sauste wie ein weißer Pfeil auf Henry zu.

»Hab ich’s doch gewusst«, sagte das Mädchen.

Zwei Jungen, die die ganze Zeit Fußball gespielt hatten, kamen herüber. Henry dachte an seine Klassenkameraden, die an seinem Geburtstag die Geschenke zerstört hatten, und war auf der Hut. Doch die Jungs hatten nichts Böses im Sinn. Sie ließen Fleck hinter dem Ball herjagen, bevor sie weiterzogen.

»Ich geh mal besser wieder«, sagte Henry zu dem Mädchen. »Ich hab noch nicht gefrühstückt und meine Eltern fragen sich bestimmt, wo ich bin.«

Das Mädchen nickte. »Ich begleite dich zum Tor.«

Dummerweise führte sie der Weg an einem Teich vorbei und auf dem Teich schwammen Enten.

Fleck blieb einen Moment stehen und schaute sich alles an. Das Fell auf seinem Rücken sträubte sich und ein Grollen wie das eines Wolfs drang aus seiner Kehle. Und bevor Henry begriff, was geschah, gab es einen lauten Platsch und Fleck schwamm auf die Enten zu.

Die quakten entrüstet, dann schlugen sie mit den Flügeln und flogen hoch. Fleck schwamm ein paarmal hin und her und tat so, als hätte er keine Enten jagen, sondern nur ein wenig planschen wollen. Als Henry ihn rief, paddelte er zum Ufer zurück und wühlte sich durch das Schilf.

»Weg!«, rief das Mädchen und lief los. »Pass auf, dass er dir nicht zu nahe kommt.«

Aber Henry war erst seit Kurzem Hundebesitzer. Er blieb stehen und Fleck kam ihm so nahe wie möglich, um sich dann mit aller Kraft zu schütteln.

»Du hast ja einen mutigen kleinen Hund«, sagte ein Mann, der eine Dänische Dogge an der Leine führte. »Mischlinge sind oft gute Schwimmer.«

Henry wollte ihm gerade erklären, dass Fleck ein Tottenham-Terrier war, aber er war inzwischen fast genauso nass wie sein Hund. Er nahm Fleck an die Leine und machte sich auf den Weg nach Hause.

Als er die Auffahrt hochging, fing er an, sich Sorgen zu machen. Er hatte seiner Mutter versprochen, dass Fleck keine Pfützen machen würde, aber nun war der Hund selbst eine einzige wandelnde Pfütze. Sicherheitshalber betrat er das Haus durch den Hintereingang.

Olga, das neue Dienstmädchen, war ein richtiger Trauerkloß. Sie kam aus Kasachstan und sprach kaum ein Wort Englisch. Henry fürchtete sich vor ihren Schluchzern und Tränen. Doch als sie ihn mit dem durchweichten kleinen Hund sah, zog sie ihn schnell in die Küche und rubbelte Fleck mit einem Handtuch trocken, bis er aussah wie frisch gebadet. Dann holte sie flink für Henry neue Sachen zum Anziehen und schob ihn vor sich her zum Esszimmer.

»Mutter schon warten … schnell!«, sagte sie. Aber sie sagt es mit einem Lächeln.

»Wenn ich nicht wüsste, dass es übermorgen wieder vorbei ist, würde ich es nicht aushalten«, sagte Albina. »Ich habe ein weißes Haar auf dem Teppich gefunden und eins auf der Fußbank. Außerdem wäre ich fast über den Trinknapf gestolpert. Wie ich Unordnung hasse!«

Albinas Freundinnen tranken gerade ihren Morgenkaffee bei ihr und waren sehr mitfühlend.

»Ich hatte eine Freundin, deren Mann einen Irischen Wolfshund mit nach Hause gebracht hat«, sagte Glenda. »Stell dir vor, mit einem einzigen Schwanzwedeln hat der einen ganzen Tisch mit kostbarem Kristall abgeräumt. Und alles, was dem Mann einfiel, war: ›Der Hund will doch nur Hallo sagen.‹ Natürlich hat sie sich von ihm scheiden lassen, was sonst.«

Henry kam herein, um Tante Gloria, Tante Glenda und Tante Geraldine zu begrüßen. Sicherheitshalber trug er Fleck auf dem Arm.

»Ich dachte, ihr möchtet ihn vielleicht sehen«, sagte er.

Fleck wollte runter und die Damen richtig begrüßen mit An-den-Beinen-Schnüffeln und Herumrollen und allem Drum und Dran, doch Henry hielt ihn fest.

»Er ist noch nicht richtig erzogen, aber er kann schon eine Weile still sitzen, wenn man es ihm sagt«, erzählte er stolz.

Henry trug den Hund von einer zur anderen, als präsentiere er ihnen ein großartiges Geschenk.