Aber wenn ich die Dauntless schütze, könnte ich die Titan verlieren.
Doch Bloch und Desjani erklärten beide, der Hypernet-Schlüssel auf der Dauntless sei wichtiger als alles andere in dieser Flotte.
Plötzlich erinnerte er sich an einen sehr alten Mythos von einem Helden, der nach einem langen Krieg nach Hause zurückkehren will und unterwegs ein Schiff nach dem anderen und einen Gefolgs-mann nach dem anderen verliert, bis er am Ende der einzige Heimkehrer ist. Und vor seinem geistigen Auge sah er die Dauntless, wie sie sich zurück ins Territorium der Allianz schleppte, während der Weg nach Hause von den Wracks und Trümmern seiner Flotte ge-säumt wurde.
In seinen Augen würde das in keiner Hinsicht ein Triumph sein.
Und selbst wenn, wäre es ein zu hoher Preis.
Und wie lange werden diese Leute meinen Anweisungen folgen, wenn ich mich zurückhalte und sie einen nach dem anderen sterben lasse?
Geary konzentrierte sich wieder auf die Crew um ihn herum, die ihn beobachtete, und erkannte erst dann, dass nur ein paar Sekunden vergangen waren, während er mit sich selbst gerungen hatte.
»Captain Desjani, die Dauntless soll diesen Syndik-Kreuzer unschädlich machen, bevor er in die Nähe der Titan gelangen kann.«
Desjani grinste, während die anderen Matrosen auf der Brücke Freudenschreie ausstießen. »Das wird uns ein Vergnügen sein.«
»Er ist sehr schnell, und er ist gut, Captain Desjani. Gehen Sie keine Risiken ein. Wir müssen sicher sein, dass wir ihn erwischen, und wir werden nur eine Gelegenheit dazu bekommen.«
»Ja, Sir.«
Die Dauntless machte unter Desjanis Anweisungen förmlich einen Satz nach vorn, als sie auf maximale Leistung ging. Sogar Geary verspürte eine gewisse Begeisterung, als sich das Schiff auf seine Beute zubewegte. Er beobachtete das Geschehen, aber er wollte nicht über Desjanis Kopf hinweg Befehle an ihre Crew geben, obwohl er fürchtete, sie könnte den Kurs des Kreuzers falsch einschätzen. Wenn sie über ihr Ziel hinausschossen, würde die für ein Wendemanöver erforderliche Zeit für die Titan den Untergang bedeuten.
Doch Desjani ging das Manöver geschickt an, wie Geary feststellen konnte, als er den von ihr angeordneten Kurs betrachtete und erkannte, dass sie die Schätzungen des Gefechtssystems ignorierte.
Stattdessen brachte sie die Dauntless auf einen Abfangkurs, der sie weit vor den Kreuzer auf jenen Kurs führte, den er einschlagen musste, wenn er in Feuerreichweite zur Titan gelangen wollte. Bei der Geschwindigkeit, mit der er unterwegs war, würde er das Ma-növer der Dauntless vermutlich erst wahrnehmen können, wenn es für eine Reaktion längst zu spät war. Es sei denn, der Syndik-Commander rechnet damit, dass die Dauntless sich ihm in den Weg stellen will.
Aber was soll er schon machen? Wenn er den Kurs ändert, passiert er die Titan nicht nahe genug, um das Feuer zu eröffnen. Wenn er Fahrt zurück-nimmt, damit die Kursberechnung hinfällig wird, dann können meine anderen Schiffe nahe genug an ihn herankommen, um ihm genug Müll in die Flugbahn zu werfen, dass er mit irgendetwas davon garantiert zusammen-stoßen wird. Beschleunigen kann er ebenfalls nicht, weil er dann nicht mehr rechtzeitig abbremsen kann, um auf die Titan zu feuern und mit einem Treffer zu rechnen.
Jedenfalls hoffe ich das.
Geary beobachtete sein Display, als die Dauntless eine Kurve hin-unter zu dem Punkt beschrieb, wo sie die wahrscheinliche Flugbahn des Syndik-Schiffs kreuzen würde. Dabei verspürte er eine seltsame Seelenverwandtschaft mit demjenigen, der das Kommando über diesen Kreuzer hatte. Derjenige wusste, wie er das Schiff zu handha-ben hatte, und er verfügte über eine gut ausgebildete Crew. Wie lange hatte sie hier in ihrem Quasi-Exil im Corvus-System verharren und darauf warten müssen, dass der sehr unwahrscheinliche Fall eintrat und sich eine Allianz-Streitkraft hierher verirrte? Wie leicht es doch war, unter diesen Umständen nachlässig zu werden und zu der Einstellung zu gelangen, dass es hier ohnehin nie zu einem Gefecht kommen würde. Doch wer immer diese Crew führte, hatte nichts schleifen lassen und dafür gesorgt, dass das Schiff in der gleichen exzellenten Verfassung war wie seine Mannschaft. Die Anstrengungen hatten sich fast bezahlt gemacht. Und vielleicht würden sie sich ja doch noch bezahlt machen.
Die geschätzte Position des Syndik-Kreuzers machte wieder einen Satz. »Er wird bald abbremsen müssen«, meinte Desjani.
Geary nickte. »Glauben Sie, er hat uns schon gesehen?«
»Unwahrscheinlich, Sir. Der Kreuzer verfügt über alte Gefechtssysteme, die von all den Schiffen in diesem System extrem bean-sprucht werden und dabei auch noch versuchen müssen, die relativistische Störung der eigenen Fluggeschwindigkeit auszugleichen.
Aber selbst wenn er uns sieht, kommt er nicht an uns vorbei«, versprach sie mit sanfter Stimme.
»Ich weiß.«
Desjani reagierte auf Gearys schlichte Vertrauensbekundung mit einem energischen Grinsen, ohne dabei den Blick vom Gefechtsdis-play abzuwenden, während sie die Dauntless auf die Flughöhe des gegnerischen Kreuzers herabsinken ließ. Geary stutzte. Die Dauntless musste in der Lage sein, das Schiff zu treffen, aber bei den kombinierten Geschwindigkeiten der Dauntless und des Syndik-Kreuzers würden sie in einem winzigen Augenblick aneinander vorbeijagen, ohne überhaupt die Zielerfassung aktivieren zu können. War sich Desjani dessen bewusst? Oder konzentrierte sie sich so sehr darauf, den Feind zu erreichen, dass ihr gar nicht klar war, was passieren würde? Sollte er sie darauf ansprechen? Sollte er sie vor ihrer versammelten Crew übergehen und einen anderslautenden Befehl erteilen?
Die Flugbahnen beider Schiffe liefen weiter aufeinander zu, die noch verbleibende Entfernung bis zum Syndik-Kreuzer schrumpfte in atemberaubendem Tempo. Schließlich räusperte sich Geary.
»Captain…«
Aber Desjani hob eine Hand, den Blick nach wie vor auf das Ge-fechtsdisplay gerichtet. »Ich habe ihn, Captain Geary.«
Dessen war er sich nicht annähernd so sicher wie sie, dennoch schwieg er. Dies war einer von den Momenten, in denen man entweder einem anderen Menschen vertraute oder aber erkannte, dass man keinen Funken Vertrauen in ihn hatte. Bislang war ihm Desjani als ein sehr fähiger Captain vorgekommen.
Also versuchte Geary so dreinzuschauen, als vertraue er ihr bedingungslos, während er insgeheim zu seinen Vorfahren betete, dass sie wusste, was sie tat.
»Er müsste jetzt abbremsen.« Captain Desjani rasselte eine Reihe von Befehlen herunter, um die Dauntless zu drehen, damit das Hauptantriebssystem nach vorne gerichtet war. »Volle Kraft voraus.« Die Dauntless begann zu erzittern, als der eigene Antrieb ihre Geschwindigkeit drosselte und das Schiff wegen der einwirkenden Kräfte zu ächzen begann. Geary spürte, wie er in seinen Sessel gepresst wurde. Ein hohes Heulen erfüllte die Luft, da die Trägheitsdämpfer bis an ihre Belastungsgrenze getrieben wurden, um den Druck auf Schiff und Crew in einem erträglichen Rahmen zu halten.
Der vorausberechnete Kurs der Dauntless änderte sich schnell und beschrieb einen Knick hin zur Flugbahn des Syndik-Kreuzers, auf der dieser zur Titan unterwegs sein musste.
Näher. Geary versuchte unbemerkt zu schlucken.
Desjanis Blick war auf das Display fixiert. »Er müsste sich jetzt bei unter 0,2 Licht befinden, wenn er abbremst, um auf die Titan feuern zu können.« Das Bild des Syndik-Kreuzers, der jetzt nur noch Lichtsekunden entfernt war und damit einer Echtzeitdarstellung so nahe-kam, wie es bei Raumschlachten oft der Fall war, schien sich dicht an der von Desjani vorausgesagten Flugbahn zu bewegen. »Kartätschen vorbereiten und in Sequenz abfeuern, während wir den geschätzten Kurs des Kreuzers passieren. Null-Feld laden und in Bereitschaft halten.«