»Dann installieren Sie einen Widerruf!«
Rione schüttelte beharrlich den Kopf. »Jede KI, die ein Kriegsschiff lenken kann, wäre auch in der Lage, einen Widerruf zu umgehen.
Und was, wenn unsere Feinde durch Experimente oder Spionage Zugriff auf diesen Widerruf erhielten? Ich habe kein Verlangen danach, dass die Syndiks die Kontrolle über die Kriegsschiffe erlangen, die wir gebaut haben. Nein, Captain, wir glauben nicht, dass wir KIs weit genug vertrauen können, um sie so eigenständig arbeiten zu lassen. Ich versichere Ihnen, die Versammlung ist nicht in der Stimmung, in diesem Punkt nachzugeben. Weder jetzt noch irgendwann in absehbarer Zukunft.«
Mit finsterer Miene deutete Desjani ein fast nicht wahrnehmbares Nicken an, dann wandte sie sich wieder ihrem Display zu.
»Nun«, fuhr Geary fort, als hätte das Wortgefecht gar nicht stattge-funden, »wir haben die Streitkräfte der Syndik-Navy in diesem System ausgeschaltet, und nun werde ich der bewohnten Welt eine Drohung senden, damit sie uns einige Schiffsladungen mit allem schicken, was wir gebrauchen können. Vor allem Lebensmittel, vielleicht auch ein paar Energiezellen, falls wir diese Syndik-Geräte an unsere Maschinen anschließen können.«
Ein Offizier mit grau meliertem Haar rechts von Geary schüttelte den Kopf. »Geht nicht, Sir. Die haben alles vorsätzlich so entworfen, dass es mit unserer Technologie nicht kompatibel ist. Genauso wie bei ihren Waffen. Aber wenn wir an die richtigen Rohstoffe gelangen, dann können die Titan und die Jinn neue Waffen herstellen. Außerdem kann die Titan auch Energiezellen liefern, was ebenfalls für die Witch gilt.«
»Danke.« Geary versuchte, diese schnelle und präzise Auskunft mit einem anerkennenden Blick zu würdigen. »Können diese Schiffe mir mitteilen, was sie benötigen?«
»Wir haben alle Informationen an Bord der Dauntless, Sir. Vorausgesetzt, die zuletzt mitgeteilten Angaben sind zutreffend.«
»Sind Sie für die Versorgung zuständig?«
Der grauhaarige Mann salutierte unbeholfen, als habe er die Geste schon lange Zeit nicht mehr gemacht. »Für die Maschinen, Sir.«
»Sorgen Sie dafür, dass wir genau wissen, was auf jedem Schiff am dringendsten benötigt wird.«
»Jawohl, Sir!« Der Mann strahlte, da es für ihn offenbar eine Ehre war, von Geary persönlich eine Aufgabe zugewiesen zu bekommen.
Geary wandte sich an Desjani. »Auf die Weise kann ich mir wenigstens sicher sein, dass ich an die Syndiks in diesem System die richtigen Forderungen stelle.«
Co-Präsidentin Rione stand auf, kam nach vorn und beugte sich zu Geary vor, um gerade laut genug etwas zu sagen, damit Geary und Desjani sie hören konnten. »Wenn Sie exakt diese Forderungen stellen, Captain Geary, verraten Sie den Syndiks automatisch, was wir am dringendsten nötig haben.«
Desjani verzog das Gesicht. Geary fand, dass sie recht unglücklich dreinschaute, doch er musste zugeben, dass Rione recht hatte. »Was schlagen Sie vor?«, fragte er genauso leise.
»Dass Sie zusätzlich ein paar irreführende Forderungen stellen.
Dann werden die Syndiks nicht wissen, was wir wirklich benötigen und was wir uns sozusagen als Luxus gönnen wollen.«
»Gute Idee.« Geary grinste sie schief an. »Hätten Sie zufälligerwei-se auch einen Vorschlag, wer unsere Forderungen den hiesigen Be-hörden nennen soll?«
»Wollen Sie mich rekrutieren, Captain Geary?«
»So würde ich das nicht formulieren wollen, Madam Co-Präsidentin. Aber Sie besitzen die notwendigen Fähigkeiten, und es wäre schön, wenn Sie sich freiwillig melden, bevor ich Ihnen den Auftrag dazu gebe.«
»Ich werde darüber nachdenken.« Rione deutete mit einer Kopfbewegung auf Gearys Display. »Mir ist das meiste klar, was im Moment passiert. Aber ich weiß nicht, was es mit den Aktivitäten rund um die Korvette auf sich hat, deren Crew kapituliert hat.«
»Aus der Korvette nehmen wir alles mit, was wir gebrauchen können«, erklärte Geary ihr, dann sah er sich die angezeigten Informationen genauer an und warf Desjani einen fragenden Blick zu. Dass sie nichts Ungewöhnliches feststellen konnte, störte ihn umso mehr.
Er betätigte seine Kommunikationskonsole. » Audacious, warum sind alle Rettungskapseln der Syndik-Korvette auf dem Weg zu Ihnen?«
Das andere Schiff lag nicht weit entfernt, sodass die Antwort fast in Echtzeit einging. »An Bord der Rettungskapseln befinden sich Materialien, die wir ausschlachten können. Vor allem Lebenserhal-tungssysteme und Notrationen.«
»Wollen Sie die Korvette intakt lassen?« Nicht, dass dies eine Bedrohung dargestellt hätte, aber es entsprach nicht Gearys Absicht, irgendein feindliches Kriegsschiff unversehrt zurückzulassen, ganz gleich ob die Gefechtssysteme unbrauchbar gemacht worden waren oder nicht.
»Nein, Sir«, kam die Antwort von der Audacious. »Die Korvette wird durch eine Überladung des Antriebs zerstört werden, sobald wir das Schiff ausgeschlachtet haben.«
Geary wartete, doch da von der Audacious kein weiterer Kommentar kam, tippte er abermals auf die Kommunikationstaste. » Audacious, was haben Sie mit der Besatzung der Korvette vor?«
»Die ist auf der Korvette, Sir.« Die Stimme hatte einen verwunder-ten Tonfall angenommen.
Wieder wartete Geary einen Moment lang darauf, dass die Audacious seine Frage vollständig beantwortete. Eben wollte er sie wieder rufen, da wurde ihm mit Entsetzen bewusst, dass er eine vollständige Antwort erhalten hatte. » Was beabsichtigen Sie mit der Besatzung der Korvette zu machen? «
» Die ist auf der Korvette, Sir. « Auf jener Korvette, die durch eine Überladung des Antriebs gesprengt werden sollte!
Geary sah auf seine Hand, die er noch immer über der Kommunikationstaste hielt und bemerkte, wie sehr sein Unterarm zitterte. Er fragte sich, wie der Rest von ihm auf den Schock dessen reagierte, was ihm soeben klar geworden war. Die wollen die Gefangenen mit deren eigenem Schiff in die Luft jagen! Bei den Vorfahren, was ist nur aus meinem Volk geworden? Er schaute zu Captain Desjani, die sich mit einem der Wachhabenden der Dauntless unterhielt und sich zu dem Gespräch mit der Audacious nicht äußerte. Rione hatte offenbar wieder Platz genommen, da er sie nicht mehr sehen konnte.
Einen Moment lang schloss er die Augen, um seine Gedanken zu ordnen, dann öffnete er sie langsam wieder und betätigte schließlich die Kommunikationstaste. » Audacious, hier spricht Captain Geary.«
Ihr wollt gerade einen Massenmord begehen, ihr Bastarde! »Lassen Sie die Rettungskapseln zur Syndik-Korvette zurückkehren.«
Einige Sekunden verstrichen, dann kam die Reaktion der Audacious: »Sir? Sie wollen die Rettungskapseln auch zerstören? Aber da ist einiges, was wir gebrauchen könnten.«
Geary starrte stur geradeaus und sprach mit tonloser Stimme.
»Was ich will, Audacious, ist Folgendes: Der Crew dieser Korvette soll erlaubt werden, das Schiff vor dessen Zerstörung mit den Rettungskapseln zu verlassen, damit diese Leute sich in Sicherheit bringen können. Haben Sie das verstanden?«
Es schloss sich eine längere Pause an. »Wir sollen sie entkommen lassen?« Für den Captain der Audacious musste das ein unvorstellba-rer Gedanke sein.
Geary bemerkte, wie Captain Desjani ihn anstarrte, doch er ignorierte sie und redete langsam weiter, wobei er jedes Wort so betonte wie einen Hammerschlag. »Das ist korrekt. Die Allianz-Flotte ermordet keine Gefangenen, und sie verstößt nicht gegen Kriegsrecht.«
»Aber… aber… wir…«