In diesem Moment beugte sich Desjani vor und flüsterte ihm zu:
»Die Syndiks…«
Das brachte das Fass zum Überlaufen. »Mir ist egal, wie was bisher gehandhabt wurde!«, brüllte er und meinte sowohl den Captain der Audacious als auch die Brückencrew der Dauntless. »Mir ist auch egal, was unsere Feinde machen! Ich werde nicht zulassen, dass unter meinem Kommando irgendein Schiff dieser Flotte ein Massaker an Gefangenen anrichtet! Ich werde nicht zulassen, dass diese Flotte, die Allianz und die Vorfahren aller Besatzungsmitglieder entehrt werden, weil unter dem allsehenden Auge der lebenden Sterne Kriegsverbrechen begangen werden. Wir sind Matrosen der Allianz, und wir werden uns an den Ehrenkodex halten, an den unsere Vorfahren glaubten. Noch irgendwelche Fragen?«
Auf der Brücke war Stille eingekehrt. Captain Desjani starrte ihn sichtlich schockiert an. Schließlich meldete der Captain der Audacious leise: »Die Rettungskapseln sind auf dem Weg zurück zur Korvette, Captain Geary.«
Es kostete ihn Mühe, ruhig zu erwidern: »Danke.«
»Wenn Sie mich meines Postens entheben möchten…«
»Nein.« Einige Tage war es bereits her, dass ihn dieses Schwäche-gefühl überkommen hatte, doch nun schien es wieder so weit zu sein. Geary versuchte, dagegen anzukämpfen, ohne auf seine Medikamente zurückzugreifen. »Ich kenne nicht alle Einzelheiten, die zu dieser Situation beigetragen haben, und ich habe allen Grund zu der Annahme, dass Sie Ihre Pflichten lediglich so ausführen wollten, wie Sie es gewohnt sind. Aber Sie sollen wissen, alle in der Vergangenheit begangenen Kriegsverbrechen haben hier und jetzt ein Ende.
Wir sind die Allianz, wir besitzen Ehre. Wenn wir diese Ehre wahren, dann werden wir siegen. Wenn wir sie nicht wahren… dann verdienen wir nicht zu siegen.«
»Ja, Sir.« Der Stimme des Captains der Audacious war nicht anzumerken, was er von Gearys Worten hielt, doch zumindest befolgte er seine Befehle.
Geary ließ sich in seinen Sessel sinken und fand, dass er in den letzten Minuten um jene hundert Jahre gealtert war, die er zuvor verschlafen hatte. Captain Desjani starrte mit nachdenklicher Miene vor sich auf das Deck. Sie ist ein guter Offizier. So wie der Captain der Audacious, aber genauso fehlgeleitet. An irgendeinem Punkt sind wichtige Dinge in Vergessenheit geraten. »Captain Desjani…«
»Sir.« Sie schluckte und schüttelte den Kopf. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Sir. Während Sie mit der Audacious sprachen, ging eine Meldung der Marines ein. Sie haben die Basis eingenommen und räumen jetzt da auf.«
»Danke, Captain Desjani. Was ich sagen wollte…«
»Sir, die Marines haben den größten Teil der Garnison auf dieser Basis gefangen genommen.«
Geary nickte, gleichzeitig versuchte er zu verstehen, warum Desjani ihn nicht ausreden ließ.
»Der Rest der Flotte hat gehört, was Sie der Audacious sagten. Aber die Marines werden nicht die Kommunikationsleitungen mitgehört haben, die Sie dafür benutzten.«
Dann begriff er. Gefangene. Etliche Gefangene. Und obwohl sie kaum seine Einstellung zu dem Thema teilen konnte, unterbrach sie ihn immer wieder, damit er verstand, was sich auf der Basis abspielen mochte. »Verbinden Sie mich mit Colonel Carabali.«
»Sie ist aus unerklärlichem Grund nicht zu erreichen, Sir, allerdings haben wir Audio-und Videoempfang aus dem Kommando-netzwerk der Bodenstreitmacht.«
»Stellen Sie das durch!« Sein Display blitzte auf, die dreidimensionale Projektion der Schiffe im Corvus-System wurde durch eine Wand aus gut dreißig in senkrechte und waagerechte Reihen aufge-teilte Einzelbilder ersetzt. Geary brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass er da zu sehen bekam, was in dieser Sekunde wohl jeder Geschwaderführer der Marines da unten mit eigenen Augen sah. Er streckte seine Hand aus, als wolle er eines der Einzelbilder berühren, das darauf größer wurde und die anderen Bilder zur Seite schob. Seine Finger kamen mit einem anderen Bild in Kontakt, das ebenfalls wuchs, während das erste Bild zu schrumpfen begann, bis beide Ansichten gleich groß waren. Die kleinen Bilder ordneten sich unterdessen ringsherum an. Wow, was für ein nettes Spielzeug. Ich würde zu gern wissen, wie viele Befehlshaber schon damit gespielt und das Gesamtbild aus den Augen verloren haben.
Er suchte die Bilder nach Hinweisen auf Gefangene oder darauf ab, dass eines davon vom Commander des Angriffstrupps übermittelt wurde. Sein Blick blieb an einem Bild hängen, auf dem zu sehen war, wie sich die Metallwand eines Korridors zu verzerren begann, da sie von großen massiven Geschossen durchschlagen wurde. Symbole liefen über das Bild, ein gestikulierender Arm kam ins Blick-feld, dann sah er Marines losstürmen, die in ihren Kampfanzügen nicht mehr wie Menschen aussahen. Zwei von ihnen feuerten eine Art Sperrfeuer in die Richtung, aus der die Geschosse gekommen waren, ein dritter richtete ein langes, großes Rohr aus und feuerte es ab.
Die Ansicht begann zu wackeln. Wieder stürmten Marines an der Kamera vorbei, das Bild schwankte heftig hin und her, als der Marine während der Übertragung hinter den anderen herrannte. Es ging um eine Ecke, dann durch einen langen Korridor, an dessen Ende eine Art Sicherheitsstation lag. Geary rechnete damit, dass die aus dem großen Rohr abgefeuerte Waffe verheerende Schäden angerich-tet hatte, stattdessen jedoch sah er nur Personen auf dem Boden liegen, die andere Uniformen trugen als die Marines. Eine Betäubungs-waffe? Ich schätze, die Marines haben sie eingesetzt, weil sie den Befehl haben, möglichst keine Schäden anzurichten. Das könnte bedeuten, dass diese Syndik-Soldaten noch leben.
Der Gedanke veranlasste ihn, sich dazu zu zwingen, die Aufmerksamkeit wieder auf sein eigentliches Anliegen zu richten. Wieder durchsuchte er die Bilder und entdeckte schließlich eines, das einen großen Raum oder einen Hangar zeigte, in dem sich zahlreiche Personen aufhielten. Er tippte auf das Bild, das daraufhin größer wurde. Das ist es. Das sind Syndiks. »Captain Desjani, wie kann ich darüber mit jemandem Kontakt aufnehmen?«
Sie zeigte auf ein Kommunikationssymbol am unteren Bildrand.
»Sie müssen nur das da berühren.«
»Haben Sie Colonel Carabali schon erreichen können?«
»Nein, Sir.«
Dann werde ich sie übergehen müssen. Geary berührte das Symbol.
»Hier spricht Captain Geary.«
Das Bild ruckelte kurz. »Ja, Sir?«
»Wer ist da?«
»Major Jalo, Sir. Zweiter Befehlshaber über den Landetrupp. Colonel Carabali befahl mir, die Aufräumarbeiten zu überwachen, um den zentralen Bereich der Anlage zu sichern, während sie in den ab-gelegeneren Teilen nach Widerstandsnestern sucht.«
»Sind das alle gefangen genommenen Syndiks?«
»Noch nicht, Sir. Bei den Aufräumarbeiten stoßen wir noch auf einige letzte Schlupfwinkel.«
»Was…« Wie soll ich das formulieren? »Wie lauten Colonel Carabalis Befehle, was diese Gefangenen angeht?«
»Ich habe noch keinen Befehl über die endgültige Übergabe erhalten, Sir. Die Standardprozedur besteht darin, die Gefangenen an die Flotte zu übergeben.«
Sehr interessant. Wissen die Marines, was mit den Gefangenen geschieht? Oder tun sie so, als sei alles in bester Ordnung, damit sie ein reines Gewissen haben können? Geary wollte eine weitere Frage stellen, als das Bild erneut ruckelte. Alle, die von der Kamera erfasst wurden, schwankten deutlich sichtbar hin und her. »Was war das?«
Major Jalos Stimme klang aufgeregt und kampfbereit. »Eine schwere Explosion, Sir. Da ist die nächste«, fügte Jalo völlig unnötig hinzu, da das Bild wieder wackelte. »Jemand feuert mit schweren Geschützen auf dieses Gebiet.«
Schwere Geschütze? Die Marines haben die Oberfläche rund um die Basis längst eingenommen und die Schiffe im Orbit sind gegen die Verteidigungsanlagen vorgegangen. Bei den Vorfahren! Die Schiffe im Orbit. »Captain Desjani! Feuert eines unserer Schiffe nahe der Syndik-Basis auf die Planetenoberfläche?«