Desjani verzog die Mundwinkel zu einem sehr knappen Lächeln.
»Das sind die Früchte der diplomatischen Bemühungen unserer Co-Präsidentin. Zwanzig Handelsschiffe, allem Anschein nach mit Le-bensmitteln und anderen angeforderten Materialien beladen.«
»Zwanzig Schiffe?«, meinte Geary beeindruckt. »Das dürfte einen anständigen Vorrat ergeben.«
»Ja«, pflichtete Desjani ihm mit unüberhörbarem Widerwillen bei, da ihr der Gedanke nicht gefiel, Co-Präsidentin Rione etwas schuldig zu sein.
»Wie sind wir auf das Rendezvous mit diesen Schiffen vorbereitet?«
»Das sind Handelsschiffe, deren Beschleunigung so gut wie nichts taugt. Aber sie wurden angewiesen, das Äußerste aus ihrem Antrieb herauszuholen, und das scheinen sie auch zu befolgen. Wenn wir sie erreichen, sollten sie in der Lage sein, mit unserer Geschwindigkeit weitestgehend mitzuhalten. Falls wir abbremsen müssen, wird es nur minimal sein.« Desjanis Finger huschten über das Display und zeigten auf verschiedene Anzeigen. »Deren Schiffe befinden sich auf Kurs, um mit uns nahe der Position unserer großen Hilfsschiffe zu-sammenzutreffen. Das bedeutet, dass wir nicht länger als unbedingt nötig brauchen werden, um die Waren umzuladen.« Sie hielt kurz inne. »Wir haben ihre Identität als Handelsschiffe sowohl visuell als auch mit Scans auf ganzem Spektrum bestätigt. Es sind keine Waffen zu erkennen.«
Geary nickte und verspürte deutliche Erleichterung darüber, dass trotz seiner Abwesenheit alles Notwendige in die Wege geleitet worden war. »Wie sieht es mit der Sicherheit aus?«
»Ich habe mir erlaubt, mit Colonel Carabali Kontakt aufzunehmen.
Abordnungen der Marines werden mit Shuttles zu jedem der Handelsschiffe fliegen, sie auf verborgene Waffen durchsuchen und für die Dauer des Umladens die Crews im Auge behalten.«
»Sehr gut. Genau das Gleiche hätte ich dem Colonel auch gesagt.«
Desjani strahlte auf eine Weise über sein Lob, die für eine Frau in ihrem Alter unpassend erschien. »Wo ist die Co-Präsidentin Rione jetzt?«
»Ich glaube, sie ruht sich aus.« Desjani ließ das Ausruhen wie eine gänzlich unmilitärische Aktivität klingen, da ihr offenbar entfallen war, dass Geary die letzten Stunden mit exakt der gleichen Tätigkeit verbracht hatte. »Sie hat für Sie eine Nachricht aufgezeichnet.«
»Danke.« Geary rief die Aufnahme ab.
Das Bild zeigte eine sichtlich erschöpfte Rione. »Captain Geary.
Nach umfangreichen Verhandlungen, die durch unsere Entfernung zu dem bewohnten Planeten entsprechend lange in Anspruch nahmen, konnte ich die Behörden der Syndikatwelten davon überzeugen, dass wir bereit sind, von einer vollständigen Auslöschung ab-zusehen, wenn sie uns mit geeigneten Vorräten beliefern. Captain Desjanis Crew konnte mir eine Schätzung zur Zahl der großen Frachtschiffe in diesem System liefern, außerdem eine genaue An-zahl der Schiffe, die in den zeitverzögerten Bildern aus der Umgebung der bewohnten Welt zu sehen sind. Durch diese Information war ich in der Lage, auf insgesamt zwanzig Schiffen zu bestehen, die uns die tatsächlich und die angeblich erforderlichen Materialien liefern sollen. Die Syndikatwelten leisteten eine Fernunterschrift unter eine Erklärung, dass sie nicht versuchen werden, die Frachtschiffe gegen die Allianz-Flotte einzusetzen. Wir haben unsererseits versprochen, bis zu unserer Abreise aus dem System keine weiteren Angriffe zu unternehmen. Den Text dieser Vereinbarung habe ich angehängt. Wenn sich Fragen ergeben sollten, können Sie jederzeit Kontakt mit mir aufnehmen.«
Geary las die Vereinbarung durch, konnte aber nichts Bedenkliches oder gar Beunruhigendes finden. Rione schien an alles gedacht zu haben. Dann kommt es jetzt nur noch darauf an, den Syndiks zu vertrauen. Ich müsste ja verrückt sein, denen über den Weg zu trauen. Aber was sollen die schon anstellen, wenn Carabalis Marines ihnen die ganze Zeit über die Schulter schauen?
Er sah wieder zu Captain Desjani. »Diese Handelsschiffe sind etwas weiter vom Sprungpunkt entfernt als wir, aber sie müssen inzwischen auch unsere Verfolger bemerkt haben.«
»Trotzdem sind sie weiter auf ihrem Kurs«, erwiderte Desjani und antwortete damit auf seine unausgesprochene Frage. »Vielleicht haben sie Angst, wir könnten sie überrennen, wenn sie etwas versuchen. Sie sind nah und träge genug, dass unsere Zerstörer sie längst eingeholt haben werden, falls sie ein Wende-und Fluchtmanöver einleiten sollten. Vielleicht fürchten sie auch, wir könnten daraufhin einen Angriff auf die bewohnte Welt starten.«
»Gut möglich.« Trotz der Syndik-Verfolgerflotte, die ihnen im Nacken saß, schien alles gut zu laufen. Nur laufen die Dinge leider meistens gerade dann erst recht aus dem Ruder, wenn alles unter Kontrolle zu sein scheint. Was kann aber jetzt schiefgehen? Die Titan ? Die sieht ausnahmsweise mal so aus, als stecke sie nicht in Schwierigkeiten.
»Sir.« Geary und Desjani drehten sich gleichzeitig um, als sie hörten, wie sich der Ablauf-Wachhabende zu Wort meldete. »Die Titan meldet, dass eine weitere Primärantriebseinheit wieder arbeitet.«
»Gelobt seien die Vorfahren.« Geary hatte bereits das Schlimmste befürchtet, als er die Worte »Die Titan…« hörte. Tatsächlich benötigte er ein paar Sekunden, bis ihm deutlich wurde, dass es keine schlechten Neuigkeiten waren. Als er einen Blick auf die statistischen Werte des Schiffs warf, stellte er fest, wie deutlich es beschleunigt hatte. Aber sie ist immer noch zu langsam! Welcher Idiot hat diesem Schiffstyp nur den Namen Schnelle Hilfsschiffe gegeben? Die sind nur schnell darin, sich in Schwierigkeiten zu bringen. »Wie stehen die Chancen, die Titan mit ein paar zusätzlichen Primärantriebseinheiten auszurüsten?«
Der Ablauf-Wachhabende machte eine verdutzte Miene und sah den Maschinen-Wachhabenden an, den die Frage ebenfalls überrascht hatte, der dann aber nachdenklich wurde. »Das sollte machbar sein, Sir.« Sein Gesicht begann zu strahlen, da er vor ein komplexes Problem gestellt worden war, das er womöglich würde lösen können.
Geary widmete sich wieder dem Display, um sicherzustellen, dass ihm nicht irgendein Detail durchgegangen war. Doch abgesehen von der Allianz-Flotte, von den Syndik-Verfolgern und den zwanzig Handelsschiffen auf dem Weg zum Rendezvouspunkt schien sich im Corvus-System weiter nichts zu bewegen. Alle übrigen Syndik-Schiffe waren auf dem Weg zum nächsten Dock und hofften darauf, von der Allianz in Ruhe gelassen zu werden. Die Gefechtssysteme der Dauntless schätzten, dass die Verfolger ihre Durchschnittsge-schwindigkeit auf etwas mehr als 30 000 Kilometer pro Sekunde er-höht hatten, aber mit Blick auf die Entfernungen im All krochen die Schiffe mit kaum mehr als einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit voran. »Die versuchen nicht uns einzuholen«, stellte er fest.
»Tatsächlich nicht?«, wunderte sich Desjani und studierte die Darstellung der Syndik-Kriegsschiffe.
»Nein. Jedenfalls nicht, wenn diese Anzeigen stimmen. Sie beschleunigen nicht weiter. Sie könnten uns zwar nicht mal einholen, wenn sie auf 0,2 Licht gehen würden. Aber sie versuchen es auch gar nicht.«
»Dann… jagen sie uns nur?«
»Nein, sie treiben uns vor sich her«, berichtigte Geary sie. »Die wollen, dass wir weiterfliegen.«
»Zum Sprungpunkt?«
»Nach Yuon. Darauf würde ich mein Leben verwetten.« Genau genommen mache ich das ja auch. Schlimmer noch: Ich verwette das Leben aller Männer und Frauen auf den Allianz-Schiffen darauf. Was ist, wenn die Syndiks bereits ahnen, dass ich nicht den direkten Heimweg antreten werde? Was, wenn sie wissen, dass Kaliban die beste Alternative ist? Nein, sie können nicht riskieren, dass diese Flotte unbehelligt Yuon passiert, also werden sie dort ihre Streitkräfte konzentriert haben. Ihnen bleibt gar keine andere Wahl.