Aber sie könnten in Kaliban genügend Minen ausgesetzt haben, um diese Flotte in Stücke zu reißen. Hatten sie dafür genug Zeit? Und verfügen sie über genügend Minen in der Nähe von Kaliban, um sie dort hinzuschaffen, bevor wir da eintreffen? Haben sie überhaupt diese Möglichkeit in Erwägung gezogen?
Das lässt sich unmöglich sagen. Ich kann es mir nicht leisten, meine Entscheidung anzuzweifeln. Ich darf nicht zulassen, dass mich die Möglichkeit einer Katastrophe davon abhält, Entscheidungen zu treffen und sie auch auszuführen. Ganz egal was ich mache, es ist immer möglich, dass etwas schiefgeht.
Er atmete tief durch und ignorierte für einen Moment seine Umgebung. Als Geary die Augen wieder öffnete, bemerkte er Desjanis zu-stimmenden Blick.
»Ich weiß nicht, wie Sie es schaffen, in solchen Augenblicken so entspannt zu sein«, gestand sie, »aber ich weiß, meine Crew ist davon sehr beeindruckt.«
»Das ist… ähm… eine Sache, an der ich arbeite.«
Allmählich wurde offensichtlich, dass vorläufig nichts geschehen würde. Geary überprüfte die zeitliche Planung für das Rendezvous mit den Syndik-Handelsschiffen und stellte fest, dass die Shuttles mit den Marines erst in zwei Stunden starten würden. Die Angst, die Situation könnte aus den Fugen geraten, sobald er sie auch nur einen Moment lang aus den Augen ließ, wurde nahezu übermächtig, sodass er sich zwingen musste, von seinem Platz aufzustehen.
»Ich gehe jetzt etwas essen«, sagte er zu Captain Desjani, die nur kurz nickte. Als er sich zum Gehen wandte, bemerkte Geary die be-wundernden Blicke der Wachhabenden auf der Brücke der Dauntless. Die Vorfahren mögen mir beistehen, dass ich niemals auf die Idee komme, so wie diese Leute zu glauben, ich könne einfach nichts verkehrt machen. Wenn ich stolpere und auf meinem Hintern lande, werden sie vermutlich glauben, dass sich Black Jack Geary auf diese Weise bereit macht, um zur Tat zu schreiten, und dann werden sie es mir nachmachen.
Doch der Umgang mit der Brückenmannschaft hatte Geary vor Augen geführt, wie wichtig es war, dass die Crew ihn zu sehen bekam. Sehnsüchtig hatte er daran gedacht, sich wieder in seine Kabine zu verkriechen und an einem Verpflegungsriegel zu knabbern, wo er sich den Blicken all jener Menschen entziehen konnte, die den Boden verehrten, über den Black Jack Geary ging. Und auch den Blicken derjenigen, die ihn für ein hoffnungslos überfordertes Relikt aus einer fernen Vergangenheit hielten. Stattdessen jedoch begab er sich in eine der Messen, stellte sich in die Schlange, um eine Mahlzeit zu holen, dann setzte er sich zu einer Gruppe Matrosen an den Tisch.
Erstaunt sahen die anderen ihn an, wie er auf einem Bissen von etwas völlig Geschmacklosem herumkaute. »Und wie läuft es hier unten?«, fragte er in die Runde, doch statt zu antworten sahen sich die Besatzungsmitglieder nur gegenseitig an. Geary warf dem Petty Officer gleich neben ihm einen Blick zu und stellte die eine Frage, auf die er ganz sicher eine Antwort bekommen würde. »Woher kommen Sie?«
»Von Ko-Kosatka, Sir.«
Das eine Thema, über das Matrosen immer reden wollten, war die Heimat. »Wie Captain Desjani?«
»Ja, Sir.«
»Ich war mal auf Kosatka.« Der Mann bekam vor Erstaunen den Mund fast nicht mehr zu. »Ist natürlich eine Weile her, wie Sie sich denken können. Mir hat’s da gefallen. Aus welcher Ecke des Planeten stammen Sie?«
Der Mann begann über seine Heimat zu reden. Die anderen am Tisch hörten interessiert zu, und Geary erfuhr, dass noch jemand von dieser Welt kam. So wie schon zu seiner Zeit schien es so, als würde der größte Teil der Crew von einem einzigen Planeten stammen, während der Rest aus allen Winkeln der Allianz an Bord gekommen war. Die anderen am Tisch waren auf Welten geboren, bei denen Geary gestehen musste, dass er sie noch nie besucht hatte.
Aber diese Matrosen waren bereits glücklich, dass er an ihnen Interesse zeigte.
Schließlich sprach einer von ihnen die Frage aus, mit der er die ganze Zeit über gerechnet hatte. »Sir, wir werden es doch zurück nach Hause schaffen, oder?«
Geary kaute einen Bissen zu Ende, der mit einem Mal genauso trocken wie geschmacklos war. Bevor er antwortete, trank er einen Schluck, damit nicht seine Stimme versagte. »Ich habe die Absicht, diese Flotte nach Hause zu bringen.«
Ringsum begann man zu lächeln, und ein anderer Matrose fügte rasch an: »Irgendeine Ahnung, wie lange es dauern wird, Sir? Meine Familie… na ja…«
»Ich verstehe schon. Wie lange wir brauchen werden, kann ich momentan noch nicht sagen, weil wir nicht auf direktem Weg heimkehren können.« Das allgemeine Lächeln machte betretenen Mienen Platz. »Die Syndiks werden genau das von uns erwarten, müssen Sie wissen. Also werden sie versuchen, uns auf der direkten Route in weitere Hinterhalte zu locken.« Geary hoffte, dass sein Gesichtsausdruck genügend Zuversicht ausstrahlte. »Stattdessen werden wir ihnen während jeder Lichtsekunde unseres Heimflugs die Hölle heißmachen. Wir werden Wege nehmen, mit denen sie nicht rechnen, und wir werden immer wieder für sie völlig überraschend zuschlagen.« Er hatte überlegt, wie er es am besten formulieren sollte, um diesen verzweifelten Rückzug wie einen triumphalen Feldzug gegen die Syndiks klingen zu lassen. »Wir haben im Heimatsystem der Syndiks zahlreiche Freunde verloren. Wir mussten Hals über Kopf von dort aufbrechen, wie Sie alle wissen. Aber wir werden die Syndiks nicht ungeschoren davonkommen lassen. Wir werden von System zu System springen und immer wieder zuschlagen, und wir werden sie dafür bezahlen lassen. Und wenn wir zu Hause angekommen sind, dann werden sich die Syndiks wünschen, sie hätten sich niemals mit der Allianz angelegt.«
Überall in der Messe strahlten Matrosen angesichts seiner Worte.
Geary dagegen stand auf und betete zu den Vorfahren, sie mögen verstehen, warum er Dinge gesagt hatte, von denen er wusste, dass sie die Situation in ihr Gegenteil verkehrten. Er achtete darauf, noch dann weiter zu lächeln, während er die Messe verließ.
Offenbar verbreitete sich seine kleine Ansprache schneller, als er sich auf dem Schiff voranbewegen konnte, doch das war keine Überraschung. Immerhin hatte jeder Matrose in Hörweite seine Worte mit der persönlichen Komm-Einheit aufzeichnen können, und zweifellos hatten etliche genau das getan. Er strebte seiner Kabine zu und versuchte, es nicht so aussehen zu lassen, als würde er davonlaufen und den Matrosen und Offizieren entkommen wollen, die daran glaubten, dass er irgendwie jedes seiner Worte in die Tat umsetzen werde.
Eine Stunde später zwang er sich dazu, seine Zuflucht zu verlassen und auf die Brücke zurückzukehren. Desjani war noch immer dort und beschäftigte sich mit irgendwelchen Anzeigen auf ihrem mobilen Display. Die Position der Syndik-Verfolger in Relation zur Allianz-Flotte hatte sich kaum verändert, doch falls die Syndiks innerhalb der letzten vier Stunden ihre Taktik geändert haben sollten, hatten diese Bilder die Dauntless bislang nicht erreichen können. Allerdings waren die Handelsschiffe inzwischen deutlich nähergekommen. Ihre Flugbahnen beschrieben weite Bögen, die sich dem Kurs der Allianz-Schiffe beständig annäherten.
Captain Desjani schüttelte den Kopf über das, was sie soeben las, machte ein paar Notizen und wandte sich an Geary. »Personalange-legenheiten«, ließ sie ihn wissen. »Ich wünschte, jemand wüsste eine Lösung, wie man unter den Besatzungsmitgliedern brisante persönliche Beziehungen verhindern kann.«
»Das hatte sich mein Erster Offizier auch schon gewünscht«, gab Geary ironisch zurück. »Nicht, dass er mich damit gemeint hätte.«