Desjani sah ihn entsetzt an. »Natürlich nicht, Sir.«
Einen Moment lang spielte Geary mit dem Gedanken, jetzt und hier über Tanya Desjani herzufallen, nur um ihr zu beweisen, dass er ein Mensch wie jeder andere war. Immerhin war es mehr als ein Jahrhundert her, seit er zum letzten Mal einen körperlichen Kontakt mit einer Frau gehabt hatte. Und das war eine verdammt lange Durststrecke, egal wie man es zu drehen und wenden versuchte.
Der Gedanke erheiterte ihn wenigstens so sehr, dass sich seine Laune ein wenig besserte. »Aber er hätte mich damit meinen können. Es gab da eine schwarzhaarige Frau, ein Lieutenant, die war heißer als ein Plasmafeld. Zum Glück für die Disziplin an Bord hielt sie mich für einen kauzigen jungen Ensign ohne nennenswerte Eigenschaften.«
Desjani lächelte höflich und glaubte ihm erkennbar kein Wort.
»Colonel Carabali bittet Sie, mit ihr Kontakt aufzunehmen, bevor ihre Marines sich auf den Weg machen.«
»Freut mich, dass mein Timing genau richtig ist.« Geary rief den Colonel an und war sekundenlang überrascht, dass Carabali nicht ihren Kampfanzug trug. Aber das geht ja auch gar nicht. Ihre Verantwortung liegt darin, alle Teams zu befehligen, die sich auf die Handelsschiffe begeben. Da kann sie nicht eines der Teams begleiten. »Ja, Colonel?«
»Captain Geary, ich wollte fragen, ob Sie noch irgendwelche Anweisungen für meine Marines haben, bevor die Shuttles ablegen.«
»Nicht dass ich wüsste, Colonel. Nach meiner Erfahrung kennen sich Marines mit ihrer Arbeit besser aus als ich. Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass ich den Syndiks nicht über den Weg traue.«
Carabali grinste. »Meine Leute gehen in voller Kampfmontur rüber. Selbst wenn es auf den Handelsschiffen von Syndik-Truppen wimmeln sollte, werden sich meine Marines den Weg nach draußen freikämpfen können.«
»Wenn es dazu kommen sollte, Colonel, dann versichere ich Ihnen, dass meine Kriegsschiffe keines dieser Handelsschiffe überleben lassen werden. Ich will nur hoffen, es kommt gar nicht erst dazu. Mir sind die Vorräte lieber, die sie transportieren.«
»Verstanden, Sir.« Carabali schaute zur Seite. »Zehn Minuten bis zum Start der Shuttles. Ich werde Sie über die Entwicklungen auf dem Laufenden halten.«
»Vielen Dank.« Geary entspannte sich wieder, da Carabalis kühle, zuversichtliche Art ihm Mut machte. Ist schon verdammt gut, die Marines im Rücken zu haben. Er schaute auf das Flottendisplay und überlegte, welche Kriegsschiffe in der besten Position waren, um notfalls die Syndik-Handelsschiffe anzugreifen. Sieht aus, als wären wir auf alles vorbereitet. Die Überlegung weckte eine Erinnerung an seinen alten XO, der schon lange tot war, obwohl Geary das ganz anders empfand. Geary hatte zu ihm mal das Gleiche gesagt und daraufhin seinem XO einen besorgten Blick entlockt, zusammen mit dem Kommentar, dass er sich frage, was sie übersehen haben könnten. Tja, Patros, du bist jetzt bei deinen Vorfahren sicher aufgehoben, während ich immer noch überlege, was ich vielleicht übersehen habe.
Geary verbrachte die nächsten Minuten damit, gegen die düstere Stimmung anzukämpfen, die sich seit dem Gedanken an seinen Kameraden auf ihn gelegt hatte. Patros hatte auf der Brücke der Dauntless nichts zu suchen, aber das Gleiche galt auch für Geary. Zwei Geister. Das sind Patros und ich. Was zum Teufel mache ich eigentlich, dass ich noch lebe und in einem Krieg mitkämpfe, der eigentlich die Sache unserer Nachfahren ist?
Schließlich war der Zeitpunkt für die Marines gekommen, um mit ihren Shuttles abzulegen, und gab Geary die Gelegenheit, sich auf etwas anderes konzentrieren zu können. Auf dem Display war zu sehen, wie jedes dieser Raumfahrzeuge sich in einer lang gestreck-ten Kurve dem jeweiligen Handelsschiff näherte. Er spürte, wie er sich anspannte, als sich die kleinen, schnellen Shuttles auf die großen, plumpen Syndik-Schiffe zubewegten.
Der Anblick erinnerte an eine Salve aus Phantomen, die ihren Zielen entgegenflogen, bis die Shuttles drehten und abzubremsen begannen, anstatt zu beschleunigen und so wie Raketen beim Aufprall zu detonieren. Erst mit Verspätung dachte der nach ersten Meldungen fiebernde Geary an die ihm zur Verfügung stehende Video-wand und drückte auf die entsprechenden Kontrollen, um sie anzeigen zu lassen. Zwanzig Bildschirme leuchteten nahe dem Display auf und erwachten zum Leben, indem sie das Bild anzeigten, das vom jeweiligen Geschwaderführer gesendet wurde.
Diesmal gab es nichts anderes, um das er sich hätte kümmern können, also sah Geary fasziniert zu, wie die Marines an Bord der Handelsschiffe gingen, wie sie mit ihrer Durchsuchung begannen und in wichtigen Bereichen wie dem Maschinenraum und der Brücke Posten aufstellten. Alles verlief reibungslos, die Syndiks leisteten keinen Widerstand und gaben sich steif und förmlich, aber nicht offen feindselig. Im Gegensatz zu der hohen Zahl an Besatzungsmitgliedern eines Kriegsschiffs, die nötig waren, um den besonderen Anforderungen gerecht zu werden, die mit Gefechten und den damit verbundenen Schäden einhergingen, belief sich die Crew eines Handelsschiffs auf gut ein Dutzend Leute. Für die Marines war es daher kein Problem, sie jeweils alle im Auge zu behalten.
Geary kannte das Innere von Syndik-Handelsschiffen aus der Zeit vor dem Krieg, als seiner Crew die Aufgabe zufiel, Schiffe zu durchsuchen, die auf dem Weg durch Allianz-Territorium waren. Beim Blick auf die Monitore erkannte er das eine oder andere wieder, was ihn vor die Frage stellte, ob die Schiffe wohl so alt waren oder ob man seit damals das Design praktisch nicht mehr verändert hatte. In einem System, das wegen des Hypernets auf der Strecke geblieben war, konnte beides möglich sein.
Einer nach dem anderen meldeten sich die Staffelführer und er-klärten, das von ihnen auf den Kopf gestellte Schiff sei nach bestem Wissen und Gewissen frei von Waffen, sodass man wie geplant zum Rendezvouspunkt weiterfliegen könne. Es entging Geary nicht, dass die Marines dabei in ihrer Wachsamkeit jedoch kein bisschen nachließen. Wieder überkam ihn eine Art Mitgefühl, da er sich fragte, wie sich wohl die Besatzungen der Handelsschiffe fühlen mochten, die mit schwer bewaffneten Marines konfrontiert und auf ihren eigenen Schiffen von Wildfremden genauestens beobachtet wurden.
Solange sie keine Dummheiten machen, wird ihnen nichts geschehen. Das sollten sie eigentlich wissen, nachdem sie mitbekommen haben, wie wir mit den Gefangenen auf der Basis verfahren sind. Es sollte sie von allen Dummheiten abhalten.
Die Handelsschiffe krochen näher und näher an die Allianz-Flotte heran, und Geary beobachtete weiter die Bilder, die von den Marines übertragen wurden, während auf dem anderen Display die zwanzig Schiffe zu sehen waren, die fast gemächlich auf den Rendezvouspunkt mit der Allianz zusteuerten.
Alles schien in bester Ordnung zu sein. Absolut alles. Was übersehe ich bloß? Geary ging jeden Aspekt durch, aber ihm wollte nichts in den Sinn kommen. Vielleicht haben wir dieses eine Mal an wirklich alles gedacht.
»Captain Geary, hier ist Colonel Carabali.«
Ein neues Fenster hatte sich geöffnet, das Carabalis Gesicht zeigte.
Sie machte keinen glücklichen Eindruck. »Sir, es gibt da etwas, das mir gar nicht gefällt.«
Aber vielleicht haben wir ja doch etwas übersehen. Geary sah zu Captain Desjani und machte sie auf sich aufmerksam. »Dem Colonel ge-fällt etwas nicht.«
Desjani stutzte und schaltete sich in die Unterhaltung ein.
»Reden Sie weiter, Colonel«, wies Geary sie an.
Carabali zeigte auf etwas, das Geary nicht sehen konnte. »Verfolgen Sie die Videobilder von den Syndik-Schiffen mit, Sir?«
»Ja.«
»Kommt Ihnen an den Besatzungen etwas eigenartig vor, Sir? Aus Ihrer Sicht als Flottenoffizier?«