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Aber die Göttin würde doch gewiss dem Volk, das sie selbst geschaffen hatte, keinen Schaden zufügen?

Sonnenlicht sickerte durch die Bäume. Emerahls Beutel war voll und schwer, und sie kämpfte gegen die Versuchung, einen Teil ihrer Bürde abzulegen, indem sie einige Heilmittel zurückließ. Sie war jedoch noch nie in Südithania gewesen und daher nicht vertraut mit den dort einheimischen natürlichen Drogen. Wenn sie Geld für ihre Reise auftreiben wollte, musste sie ihre eigenen Vorräte mitnehmen.

Die Entfernung bis zu ihrem Bestimmungsort erschien ihr ungeheuer. Sie würde einen Monat brauchen, um die Berge hinter sich zu lassen, und dann würde sie die Goldebenen bis zu einem weiteren Gebirgszug durchqueren müssen. Sobald sie den Pass hinter sich hatte, musste sie durch die nördlichen Randgebiete der sennonischen Wüste wandern. An der Küste würde sie eine Überfahrt auf einem Schiff in die murianische Hauptstadt, Hannaya, kaufen. Es würde eine lange Reise werden.

Den Zwillingen zufolge hatten die Denker, die auf der Suche nach der Schriftrolle der Götter waren, dort ihren Stützpunkt. Ihr blieben zwei Möglichkeiten: Sie konnte versuchen, die Schriftrolle allein zu finden, oder sich den Denkern anschließen. Beide Möglichkeiten stellten sie vor erhebliche Schwierigkeiten.

Wenn sie sich dafür entschied, selbst nach der Schriftrolle zu suchen, würden die Zwillinge die Gedanken der Denker abschöpfen und alles an sie weitergeben, was sie erfuhren. Die Zwillinge konnten jedoch nicht nur die Denker beobachten. Sie hielten auch ein Auge auf die Menschen in Mirars Nähe, und außerdem schöpften sie wie üblich in ganz Ithania Gedanken ab. Hinzu kam, dass Emerahl nicht in einer dauerhaften Trance verweilen konnte, um sich mit den Zwillingen zu vernetzen. Sie würde nur dann Neuigkeiten von ihnen erfahren, wenn sie Zeit fand, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, daher war es möglich, dass sie wichtige Informationen erst mit einem Tag Verzögerung erhielt.

Wenn sie sich mit den Denkern zusammentat, würde sie an deren Entdeckungen teilhaben. Das einzige Problem war, dass sie dazu neigten, ihr Wissen mit notorischer Eifersucht zu hüten. Außerdem begegneten sie Frauen mit Verachtung.

Die Zwillinge bezweifelten, dass sie jemals ihr Vertrauen gewinnen könne. Stattdessen würde sie ihnen ihren Nutzen beweisen müssen. Sie konnte die meisten der alten Schriften lesen. Sie verfügte über große historische Kenntnisse, und sie sprach alte Sprachen.

Als sie um eine Biegung des steilen Berghangs kam, auf dem sie gerade unterwegs war, blieb sie stehen und fluchte. Der schmale Felssims, dem sie gefolgt war, fand einige Schritte vor ihr ein jähes Ende unter einer lockeren Masse von Felsbrocken und Steinen. Weiter oben am Berg hatte es einen Erdrutsch gegeben.

Darüber zu steigen, wäre töricht, dachte sie. Ich würde wahrscheinlich mit all den Steinen abrutschen und in die Tiefe stürzen. Sie würde umkehren und einen neuen Weg finden müssen.

Leise verfluchte sie Auraya und Mirar. Ich hätte die Schriftrolle inzwischen vielleicht bereits gefunden, wenn Mirar nicht darauf bestanden hätte, dass ich hierherkam, um Auraya zu unterrichten.

Aber er schuldete Emerahl jetzt eine große Gefälligkeit. Dieser Gedanke entlockte ihr ein Lächeln. Außerdem war es gar nicht so schlimm, Auraya zu unterrichten. Das Mädchen ist durchaus liebenswert - wenn man ihre Ergebenheit den Göttern gegenüber ignoriert. Es wäre ein Jammer, sollte sich diese Ergebenheit als ihr Untergang erweisen.

Sie musste zugeben, dass die Zwillinge recht hatten. Wenn Auraya sich den übrigen Unsterblichen anschloss, würde sie eine mächtige Verbündete sein. Mit ihrer Fähigkeit, die Götter zu spüren und zu hören und die Gedanken Sterblicher zu lesen, konnte sie ihnen allen helfen zu überleben.

Es schadet auch nichts, eine Gefälligkeit bei jemandem gutzuhaben, der so mächtig ist.

Sie blickte noch einmal auf die vergangene Zeit zurück und dachte darüber nach, wie Aurayas Verhalten sich verändert hatte, sobald sie die Höhle verlassen konnte. Die junge Frau hatte es offenkundig genossen, draußen im Wald zu sein. Sie war auf eine Art und Weise entspannt, wie Menschen es sind, wenn sie sich zu Hause fühlen, ging es Emerahl durch den Sinn.

Wie konnte eine ehemalige Weiße sich in den Bergen von Si zu Hause fühlen, ohne Luxus, ohne Diener, ohne etwas, über das sie herrschen konnte?

Plötzlich sah sie Auraya in einem anderen Licht. Sie liebt die ungezähmte Natur, überlegte Emerahl. Orte, die von Menschen unberührt sind. Oh, sie fühlt sich durchaus wohl in der Gesellschaft von Menschen, und die Siyee haben offenkundig einen Platz in ihrem Herzen, aber ich glaube, mehr als allein die Siyee zieht sie in die Berge. Emerahl lachte leise vor sich hin. Allerdings würde sie sich dort vielleicht nicht ganz so wohlfühlen, wenn sie die Felsen hinauf- und hinabklettern, durch Schlamm waten und sich mit dem Messer einen Weg durch dichtes Unterholz bahnen müsste.

War Mirar sich dessen bewusst? Er hatte sich immer zu Städten hingezogen gefühlt - zum Getriebe großer Menschenmengen. Die Erinnerung an ein Gespräch, das sie mit Auraya geführt hatte, stieg in ihr auf.

»Ich dachte, du magst ihn nicht.«

Auraya hatte gelächelt. »Ich habe nie gesagt, dass ich ihn nicht mag.«

Emerahl seufzte. Sie wusste, dass immer eine Chance bestand, dass sich aus Zuneigung Liebe entwickelte. Sie hatte es oft genug mitangesehen. Das hieß nicht, dass es so kommen würde, aber Emerahl würde sich immer fragen, ob sie Mirar diese Chance genommen hatte, indem sie ihm von Aurayas Affäre mit Chaia erzählt hatte. Und jetzt, da ich Auraya kennengelernt habe, widerstrebt mir der Gedanke nicht länger, sie und Mirar könnten ein Paar werden.

Was geschehen war, war geschehen. Mirar war zäh. Es war besser für ihn, den kurzen Schmerz der Wahrheit zu erleben als den dauerhaften Schmerz falscher Hoffnungen. Schließlich machte Emerahl kehrt, ging in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war, und versuchte einen sichereren Weg zu finden.

Teil 2

16

Als der Horizont am vergangenen Tag die Form eines sich wiegenden Schattens angenommen hatte, hatte Auraya vermutet, dass sie und die Siyee auf niedrige Hügel zusteuerten. Jetzt schien es, als seien die glatten, sanften Linien dieser Landschaft viel größer, als sie zuerst angenommen hatte. An die zerklüfteten Gipfel von Si gewöhnt, war ihr nicht klar, dass dies die Berge des westlichen Sennon waren, bis ihre wahren Ausmaße offenbar wurden.

Sie konnte die Erregung der Siyee spüren. Sie freuten sich darauf, die Wüste hinter sich lassen zu können, und genau wie ihr Wasserträger eine schwere Last transportierte, tat sie es auch. Sie hatte sich zusätzliche Wasserschläuche auf den Rücken gebunden, und Unfug lag sicher zusammengerollt in ihrem Bündel, so dass sie das Gefühl hatte, von einer schweren, klumpigen Decke umhüllt zu sein.

Die Wüste hatte ihnen mehr Schwierigkeiten bereitet, als sie es für möglich gehalten hatten. Zuerst waren sie direkt darüber hinweggeflogen, aber ein Sandsturm hatte sie zur Küste zurückgeweht. Da die Siyee nicht viel tragen konnten, waren sie davon abhängig, entlang des Weges Wasser zu finden. Unfug hatte ihnen einige Male gezeigt, wo sie nach Wasser graben mussten, und einmal waren sie auf einen einsamen Brunnen gestoßen, aber das war nicht annähernd genug gewesen.

Sie wagten es nicht, in Landgehersiedlungen zu landen. Der sennonische Kaiser gestattete die Ausübung jedweder Religion in seinem Land, was bedeutete, dass in den Wüstendörfern möglicherweise Pentadrianer lebten. Wenn es sich so verhielt, würde eine Gruppe von Siyee-Kriegern, die nach Süden flog, gewiss bemerkt werden, und die Information würde zu den pentadrianischen Anführern gelangen. Selbst wenn es keine Pentadrianer in den Dörfern gab, war es durchaus möglich, dass ein gewöhnlicher sennonischer Dörfler auf die Idee kam, es ließe sich Gewinn daraus schlagen, wenn er die Neuigkeit an die Pentadrianer weitergab.