Выбрать главу

Eine weitere verbreitete Art heimischer Pflanzen waren diejenigen mit scharfen Stacheln. Sie wuchsen in allen möglichen knollenartigen Gestalten, angefangen von winzigen, steinähnlichen Gewächsen, die jedem Reisenden die Lust verleideten, barfuß zu gehen oder sich niederzusetzen, ohne zuerst den Boden abzusuchen. Die beeindruckendsten Gewächse waren riesige Kugeln von doppelter Mannsgröße, mit Stacheln so lang wie ihr Arm. Die meisten Arten waren anscheinend essbar, was Kori einmal demonstriert hatte, indem er eine kopfgroße Pflanze mit einem Schwert gespalten, den überraschend süßen, wässrigen Inhalt herausgelöffelt und ihnen zu kosten gegeben hatte.

Der Plattan schwenkte zur Seite, und Emerahl stellte fest, dass der Weg, dem sie seit Verlassen der Küste gefolgt waren, auf eine breitere Durchgangsstraße gestoßen war. Auf dieser neuen Straße waren Menschen, Tiere und Wagen unterwegs. Als sie den Blick hob, stockte ihr der Atem.

Deshalb war Kori also so aufgeregt, dachte sie.

Der Felsgrat war jetzt zur Gänze zu sehen, und der Anblick übertraf alles, was Emerahl je begegnet war. Die Felswand war übersät mit Fenstern und Balkonen, die in Etagen übereinander aus dem Stein gehauen worden waren. Etwa in der Mitte ließen gewaltige, überwölbte Fenster auf prächtige Hallen dahinter schließen. Hinter kleineren Fenstern weiter am Rand vermutete sie bescheidenere Quartiere. Aus Schornsteinen, die horizontal angelegt zu sein schienen, stieg Rauch auf, und aus den Mündern in den Fels gehauener Gesichter und Fratzen ergoss sich Wasser.

»Der Palast!«, sagte Kori mit einer großartigen Geste, während er an ihr vorüberritt.

Der Palast war gleichzeitig phantastisch und lächerlich. An einer Stelle war die Felswand eingestürzt und gab den Blick auf verlassene Räume preis. Emerahl fragte sich, wie tief die Tunnel in den Fels hineinführten und ob im Inneren weitere Bereiche des Palastes eingestürzt waren. Sie wusste, dass sie sich in dieser Stadt nicht wirklich wohlfühlen würde; sie würde immer damit rechnen, dass die Decke über ihr einbrach oder dass der Boden unter ihren Füßen nachgab.

Als die Karawane sich der Felswand näherte, sah Emerahl zu ihrer Erleichterung viele Gebäude vor den Grundmauern des Palastes. Die Bürger Hannayas lebten nicht ausschließlich in der Felswand. Die Lücke zwischen Fels und Fluss wurde von weiteren Gebäuden ausgefüllt.

Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Boote auf dem Fluss; sie hatte eine Überfahrt auf einem solchen Boot kaufen wollen, aber der Preis war zu hoch gewesen. Kori ließ die Karawane am Fluss anhalten, an einer Stelle, an der sich bereits mehrere andere Gruppen von Karren und Plattans zusammendrängten. Sie zahlte ihm das letzte Viertel seines Honorars und fragte, wo sie ein Quartier finden könne. Er zeichnete ein Symbol in den Staub, einen Stern innerhalb eines Kreises, dann beschrieb er ihr den Weg. Als sie davon überzeugt war, dass sie sich seine Anweisungen genau eingeprägt hatte, sagte sie ihm Lebewohl und machte sich auf den Weg in die Richtung, in die er gewiesen hatte.

Sie hatte keine Schwierigkeiten, das Quartier zu finden, und stellte zu ihrer Erheiterung fest, dass es ein Haus für weibliche Reisende war, das von pentadrianischen Götterdienern betrieben wurde. Man gab ihr ein Bett in einem Zimmer mit drei weiteren Frauen mittleren Alters, die anscheinend gemeinsam unterwegs waren. Die Frauen versuchten, sie in ein Gespräch zu verwickeln, aber Emerahl tat so, als beherrsche sie die Sprache der Einheimischen nicht gut genug, um sich unterhalten zu können. Was zum Teil der Wahrheit entsprach. Obwohl die Zwillinge sie während ihrer langen Reise die murianische Sprache gelehrt hatten, erschwerte ihr die Schnelligkeit, mit der die Einheimischen redeten, häufig das Verstehen.

Sie umgab ihren Beutel mit einem magischen Schild und legte sich auf ihr Bett. Es dauerte nicht lange, bis sie schlief - sie hatte mehr damit zu kämpfen, nicht in einen Zustand gänzlicher Bewusstlosigkeit zu versinken. Sie war monatelang unablässig von einem Ort zum anderen gereist und sehnte sich nach einer schönen, langen Ruhepause.

Dafür ist noch keine Zeit, dachte sie. Aber ich glaube nicht, dass ich mir die Mühe machen werde, Gedanken abzuschöpfen. Die Zwillinge sollten mir sagen können, was ich wissen muss.

Surim. Tamun.

Emerahl, antworteten sie.

Ich habe mein Ziel erreicht. Ich bin in Hannaya. Sind die Denker noch hier?

Ja. Sie sind in der Bibliothek, tief im Palast, erwiderte Surim. Willst du als Nächstes dorthin gehen?

Nein. Ich bin müde. Ich werde einen ausgeruhten Geist benötigen, wenn ich sie davon überzeugen soll, mich in ihre Reihen aufzunehmen. Ich hoffe, sie werden nicht bemerken, dass das Pergament eine Fälschung ist.

Mit der Hilfe der Zwillinge hatte sie ein altes Pergament aufgespürt und es so gestaltet, dass es jetzt aussah wie das Bruchstück einer Schriftrolle. Darauf stand in zwei Sprachen geschrieben dieselbe Erklärung, eine in der Schrift, die die Denker zu enträtseln versuchten, und eine weitere in einer etwas jüngeren Sprache, die sie verstanden. Das Dokument reichte jedoch nicht, um ihnen einen vollkommenen Zugang zu der unbekannten Sprache zu verschaffen.

Sobald die Denker von ihrer Fähigkeit wussten, die ältere Schrift zu lesen, würden sie wollen, dass sie die Artefakte übersetzte, die sie studiert hatten. Zuerst hatte sie sich gefragt, warum die Zwillinge sie die Schriftstücke übersetzen lassen wollten.

Wir können nur sehen, was wir in den Gedanken der Menschen lesen, hatten sie gesagt. Da die Denker den Text nicht verstehen, verstehen wir ihn ebenfalls nicht. Nur wenn sie die Buchstaben des Schriftstücks studieren, werden wir sie identifizieren können. Aber das tun sie nur selten, daher kommen wir langsam voran. Es wird viel schneller gehen, wenn du die Schriften für uns liest.

Warum können wir ihnen kein gefälschtes Pergament mit dem vollständigen Schlüssel für die Sprache schicken und abwarten, bis sie den Text selbst entziffert haben? Wir können aus ihren Gedanken lesen, wo sich die Schriftrolle der Götter befindet, und ich kann sie dann holen gehen.

Wenn die Götter zusehen und durch die Denker erfahren, wo die Schriftrolle sich befindet, schicken sie vielleicht jemanden aus, der sie zerstört.

Weder die zirklischen noch die pentadrianischen Götter würden wollen, dass man eine Schriftrolle fand, die ihre Geheimnisse barg.

Du hast unsere Anweisungen befolgt, um das Pergament echt erscheinen zu lassen, bemerkte Surim jetzt. Ohne es selbst gesehen zu haben, können wir dir nicht sagen, wie überzeugend es ist, aber wir vertrauen darauf, dass du deine Sache gut gemacht hast. Trotzdem wäre es klug, wenn du es vermeiden könntest, ihnen das Pergament zu überlassen.

Wir haben noch andere Neuigkeiten, warf Tamun ein. Einem der Denker ist eine große Summe Geldes für die Schriftrolle angeboten worden. Die anderen Denker wollen sie nicht verkaufen, daher weiß er, dass er sie würde verraten müssen. Er ist nicht sicher, ob er das tun will.

Welcher der Denker ist es?

Raynora. Du wirst ihn mögen, glaube ich. Er ist gutaussehend und verschlagen.

Ich bin mir nicht sicher, was mich mehr beunruhigt - dass du glaubst, ich würde ihn mögen, weil er gutaussehend ist oder weil er verschlagen ist. Denkst du, er wird das Angebot annehmen?

Vielleicht, wenn der Preis erhöht wird. Wir werden ihn genau beobachten.

Gut. Ich habe zu viel zu tun gehabt, um Gedanken abzuschöpfen, und ich bezweifle, dass sich daran etwas ändern wird. Für den Augenblick können die Schriftrolle und die Denker bis morgen warten, fügte sie hinzu. Ich muss mich einmal gründlich ausschlafen.