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Gute Nacht, antworteten beide wie aus einem Mund, dann verblasste ihre Gegenwart in Emerahls Sinnen.

Zur Linken lagen die Berge des südwestlichen Sennon, über das die Siyee am vergangenen Tag hinweggeflogen waren. Auf der anderen Seite erstreckte sich ein schmaler Meeresarm, und jenseits des Wassers konnte man den staubigen Schatten des südlichen Kontinents ausmachen. Ein Nebel verhüllte das Land und machte es unmöglich festzustellen, ob die fernen Umrisse Hügel oder Berge waren.

Vor ihnen lag ein dünner Streifen Landes, der die beiden Kontinente miteinander verband.

Die Landenge von Grya, erinnerte sich Auraya. Sie sieht so zerbrechlich aus, als hätte das Meer sie eigentlich schon vor Jahrhunderten wegspülen sollen. Vielleicht war sie früher einmal breiter, und die See hat sie bereits weitgehend abgetragen.

Unmittelbar vor dem Krieg hatte Danjin ihr einmal erklärt, die Landenge wäre die ideale Verteidigungsposition gegen die pentadrianischen Eindringlinge gewesen, wenn sich die Sennoner nicht bereitgefunden hätten, den Feind zu unterstützen. Auraya war sich angesichts dessen, was sie jetzt vor sich sah, allerdings nicht sicher, ob sie ihm recht geben würde. Der Mangel an Wasser und Nahrung in der sennonischen Wüste würde es sehr schwierig machen, hier eine Position auf Dauer zu halten. Natürlich konnte man Nachschub herbringen, aber nur unter größten Anstrengungen.

Für die Pentadrianer sähe die Sache allerdings deutlich günstiger aus, falls sie auf der anderen Seite der Landenge über Wasser und Nahrungsmittelreserven verfügten. Auraya wusste, dass ihre Hauptstadt, Glymma, nicht weit von der Landenge entfernt lag, so dass es wohl möglich sein musste, sowohl Wasser als auch Proviant in ausreichender Menge bereitzustellen, um eine solch große Stadt am Leben zu erhalten.

Sreil nahm Kurs auf den südlichen Kontinent, und die übrigen Siyee folgten ihm. Sie flogen heute hoch am Himmel in der Hoffnung, dass jeder Mensch, der zufällig hinaufschaute, sie für einen Schwarm Vögel halten würde. Der Staubschleier, der vor ihnen lag, würde ein zusätzlicher Schutz sein.

Langsam blieb Sennon hinter ihnen zurück, und Auraya konnte Einzelheiten des Landes erkennen, das vor ihnen lag. Eine von der Landenge kommende Straße verlor sich in dem allgegenwärtigen Staubschleier. Dunklere Formen in größerer Entfernung erwiesen sich, nachdem die Siyee sich ihnen genähert hatten, als niedrige Hügel. Auf den Windungen eines breiten Flusses spiegelte sich die Sonne.

Dann begannen sich langsam die Linien und Strukturen einer Stadt abzuzeichnen. Die Straße beschrieb einen Bogen genau in diese Stadt hinein und setzte sich dort als gepflasterte Straße fort, die breiter war als jede andere, die Auraya jemals gesehen hatte. Zu beiden Seiten zweigten schmalere Straßen in einem rechteckigen Gitter ab. Die Häuser der Stadt waren solide Bauten aus Ziegeln und bedeckt von Dachpfannen aus Ton. Das Häusermeer reichte von den Kais am Ufer bis dorthin, wo grüne Äcker begannen. Hier und dort nahmen Gärten voller üppiger Pflanzen und mit Teichen, die den Himmel reflektierten, das Auge gefangen wie Juwelen in einem phantastischen Diadem.

Die Stadt musste so groß sein wie Yarime, vielleicht noch größer. Aber ihr fehlte gänzlich das labyrinthische Durcheinander der Hauptstadt von Hania. Die Zeichen für eine wohldurchdachte und geplante Anlage der Stadt waren bis in deren Randgebiete und darüber hinaus erkennbar. Beeindruckend große Aquädukte führten Wasser von den weit entfernten Bergen heran, und die vom Fluss abzweigenden Kanäle wurden von in eleganten Formen gebauten Brücken überspannt. Im Zentrum der Stadt, wo die breite Hauptstraße endete, wurde die planmäßige Ordnung der Stadt durch einen Hügel unterbrochen. Auf diesem sahen sie eine komplizierte Anordnung von Bauten, die von oben wie ein einziges Durcheinander von Dächern und Innenhöfen wirkten. Auraya überlegte, warum hier solches Chaos herrschte, das im Rest der Stadt nirgends zu finden war.

Wenn dies Glymma war, handelte es sich dann um den Tempel der Pentadrianer?

Es gab in der ganzen Stadt kein anderes Bauwerk und auch keine Ansammlung von Bauwerken, die ähnliche Größe erreicht hätten. Es konnte also gar nichts anderes sein als der Tempel. Während Auraya die Stadt absuchte, fragte sie sich, wie es wohl sein würde, dort zu leben. Zu ihrer Überraschung musste sie bei dieser Frage an Mirar denken. War er in Glymma gewesen? Er hätte auf dem Weg in die Stadt, in der er sich, wie Jade ihr erklärt hatte, jetzt aufhielt, durch die Hauptstadt von Avven kommen können. Er musste, falls Jade nicht gelogen hatte, um ihn zu schützen, in einer Stadt in Mur im Norden sein. Aber in Wahrheit könnte sich Mirar ebenso gut direkt unter ihr befinden.

Ein Pfiff von Sreil unterbrach ihre Überlegungen. Er änderte abermals die Richtung und flog von der Stadt weg.

Auraya spürte, wie die Stimmung der Siyee umschlug. Glymma hatte sie noch mehr beeindruckt als sie selbst, da die meisten von ihnen noch nie eine Landgeherstadt gesehen hatten. Jetzt, da ihre Faszination gebrochen war, breitete sich Niedergeschlagenheit bei ihnen aus. Wenn der Feind so mächtig war, wie konnten die Siyee dann hoffen, gegen ihn zu bestehen?

Sie wünschte, sie hätte sie beruhigen können. Keiner ihrer Pfiffe könnte den Siyee Aurayas Vertrauen in sie übermitteln, und wenn sie zu sprechen versuchte, würde man sie im Lärmen des Windes kaum hören können. Und ich habe keine Ahnung, ob der Ort, den sie angreifen werden, über eine gute Verteidigung verfügt, überlegte sie. Ich kann ihnen nicht versprechen, dass sie Erfolg haben werden. Manchmal war es besser zu schweigen.

Die Aquädukte und die Felder reichten bis weit über die Stadtgrenzen hinaus. Ihre Erschöpfung machte den Siyee zu schaffen. Sreil führte sie auf die niedrigen Hügel zu, wo er hoffte, einen sicheren Rastplatz für die Nacht zu finden. Die Sonne versank am Himmel, bis alles um sie herum einen goldenen Glanz annahm.

Gerade als die Sonne den Horizont berührte, erreichten sie die Hügel. Alle waren erleichtert festzustellen, dass die trockenen Täler und Hügelkämme unbewohnt waren. Sreil gab das Signal zur Landung und ließ sich kreisend zu Boden sinken.

Als sie landeten, spendete die Sonne noch ein schwaches Licht, das jedoch binnen weniger Augenblicke erstarb und nur undurchdringliche Finsternis zurückließ. Auraya spürte, dass die Siyee um sie herumstanden, unsicher und ein wenig verängstigt.

»Soll ich ein Licht schaffen?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete Sreil leise. »Ich denke, es ist das Risiko wert. Die Hügel um uns herum sollten uns als Versteck genügen.«

Sie zog Magie in sich hinein und leitete sie in einen winzigen Funken, der die Gesichter um sie herum schwach beleuchtete. Die Siyee scharten sich ängstlich zusammen.

»Imbiss?«, kam eine hoffnungsvolle, leise Stimme von Aurayas Schulter.

Die Siyee brachen in Gekicher aus, und Auraya lächelte, als sie spürte, dass sie sich ein wenig entspannten. Sie streckte die Hand aus, um Unfug am Kopf zu kraulen.

»Ja, ich denke, es ist Zeit für einen Imbiss.«

Die Siyee machten ein Lager für die Nacht bereit. Essen wurde ausgepackt, und Aurayas Last als Wasserträgerin wurde erleichtert. Sie wählten Wachen aus und fegten an einigen Stellen die Steine auf dem Boden beiseite. Obwohl die Siyee es gewohnt waren, in Hängematten zu schlafen und nicht auf hartem Boden, würde ihre Erschöpfung dafür sorgen, dass sie dennoch zur Ruhe kamen.

Schließlich kehrte Stille im Lager ein, doch dann krampfte Aurayas Magen sich zusammen, als sie spürte, wie sich eine vertraute Präsenz rasch näherte. Die Tatsache, dass sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten, sagte ihr, dass es Huan war.

Huan bewegte sich auf Priester Teel zu und sprach in seine Gedanken. Zuerst fragte sie, wie es den Siyee ergangen sei, dann erkundigte sie sich wie immer, was Auraya getan habe. Teel erstattete ihr getreulich Bericht über jeden einzelnen von Aurayas Schritten.