>Wie soll er einen Wagen und Bediente in Livree besitzen?< fragte ich. >Sie werden sich getäuscht haben, sicherlich war es gar nicht Gabriel.<
>Ich sage dir, ich habe ihn gesehen, wie ich dich sehe, und ich weiß sicher, daß er es war; ich muß ihn doch wohl kennen, da ich ihn drei Jahre als Schreiber in meiner Bürgermeisterei gehabt habe.< >Haben Sie das außer mir noch anderen erzählt?< >Bei Gott, ich habe es jedem gesagt, der es hören wollte. Er hat mich nicht um Geheimhaltung gebeten, er hat mir ja nicht einmal die Ehre erwiesen, mich zu erkennen.< >Aber sein Vater?< sagte ich mit halber Stimme. >Sein Vater kann nur entzückt sein, denn was beweist das anderes, als daß sein Sohn sein Glück gemacht hat?< Ich seufzte und ging zu Thomas Lambert. Ich fand ihn, den Kopf in die Hände gestützt, an seinem Tisch sitzend, er hörte mich nicht die Tür öffnen, er hörte nicht, wie ich mich ihm näherte. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter; er erschauerte und wandte sich um. >Du weißt alles?<
>Der Herr Bürgermeister erzählte mir soeben, er sei Gabriel zu Pferd und in der Oper begegnet; doch er kann sich getäuscht ha-ben.<
>Wie soll er sich getäuscht haben? Kennt er ihn nicht so gut wie wir? O nein, das alles ist die reine Wahrheit.<
>Wenn er sein Glück gemacht hat<, erwiderte ich schüchtern, >müs-sen wir uns darüber freuen, wenigstens wird er glücklich sein.<
>Glück gemacht!< rief Vater Thomas. >Und auf welche Weise soll er sein Glück gemacht haben? Ist das ehrenhaft, ist das mit rechten Dingen zugegangen, wie so viele Leute in dieser Zeit zu Reichtum und Ansehen, zu Wagen und Pferden, zu einem vornehmen Namen gekommen sind, die noch vor kurzer Zeit nichts waren und nichts hatten. Gabriel war nicht schlecht, das weißt du, mein Kind, aber er hat gesehen, was andere gemacht haben, und er hat es ihnen nachgemacht. Oder nennst du das ehrenhaft, wenn sich der Sohn vor seinem Vater versteckt und das Versprechen vergißt, das er seiner Braut gegeben hat, die ihm nun nicht mehr gut genug ist?< >Sie begreifen wohl, daß ich seiner nicht mehr würdig bin, wenn er so reich ist.<
>Marie, Marie<, sprach der Vater, den Kopf schüttelnd, >ich befürchte vielmehr, daß er deiner nicht mehr würdig ist.< Und er ging auf den kleinen Rahmen zu, der die Federzeichnung enthielt, die Gabriel einst angefertigt hatte, zerbrach ihn in Stücke, zerriß die Zeichnung und warf sie ins Feuer.
Ich ließ ihn gewähren, ohne ihn zurückzuhalten, denn ich dachte an das Bruchstück einer Banknote, das am Morgen seiner Abreise die kleine Schäferin aufgehoben hatte, ein Bruchstück, das ich aufbewahrt hatte und auf dem die Worte standen: >Das Gesetz bestraft den Fälscher mit dem Tode.<
>Was sollen wir tun?< fragte ich.
>Wir müssen ihn in sein Verderben rennen lassen, wenn er es nicht schon getan hat.<
>Bitte<, sprach ich, >versucht von meinem Vater die Erlaubnis zu erhalten, daß ich noch einmal vierzehn Tage bei Eurer Schwester zubringen darf.<
>Warum?<
>Ich werde nach Paris fahren.<
Er schüttelte den Kopf und murmelte: >Ein unnötiger Gang, glaube mir, ein unnötiger Gang.<
>Vielleicht.<
>Denkst du, wenn ich noch Hoffnung hätte, ich ginge nicht selbst? Übrigens wissen wir seine Adresse nicht; wie sollen wir ihn finden, ohne uns bei der Polizei zu erkundigen, und wer weiß, was geschehen wird, wenn wir uns bei der Polizei erkundigen?<
>Ich habe ein Mittel<, erwiderte ich.
>Ihn zu finden?<
>Ja.<
>So geh! Vielleicht richtest du wirklich etwas aus. Brauchst du etwas?<
>Nur die Erlaubnis meines Vaters.<
Ich erhielt sie noch an demselben Tag, aber mit mehr Schwierigkeit als beim erstenmal. Seit einiger Zeit war mein Vater leidend, und ich fühlte selbst, daß die Stunde, ihn zu verlassen, schlecht gewählt war; doch etwas Stärkeres als mein Wille trieb mich fort.«
13. Kapitel
Das Blumenmädchen
»Drei Tage später reiste ich ab; mein Vater glaubte, ich führe nach Caen, und Thomas Lambert und der Pfarrer wußten allein, daß ich mich nach Paris begab.
Ich kam durch das Dorf, wo mein Kind lebte, und nahm es zu mir.
Ich arme Närrin bedachte nicht, daß ich mit mir schon genug zu tun hatte.
Nach drei Tagen war ich in Paris.
Ich stieg in der Rue des Vieux-Augustins im Hotel de Venise ab: Es war das einzige Hotel, dessen Namen ich kannte, es war dasjenige, wo er abgestiegen und wohin ich ihm geschrieben hatte.
Hier zog ich Erkundigungen über ihn ein; man erinnerte sich seiner sehr gut: Er hatte stets in seinem Zimmer eingeschlossen gelebt und unablässig mit einem Kupferstecher gearbeitet, ohne daß man wußte, woran.
Man erinnerte sich auch, daß einige Zeit, nachdem er das Hotel verlassen hatte, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, mit dem Aussehen eines Bauern, im Hotel erschienen war und dieselben Fragen gestellt hatte.
Ich erkundigte mich, wo die Oper wäre. Man erklärte mir den Weg, und ich wagte mich zum erstenmal in die Straßen von Paris.
Ich hatte folgenden Plan: Gabriel kommt in die Oper, ich erwarte vor dem Opernhaus alle Wagen, die anhalten. Steigt Gabriel aus einem der Wagen aus, frage ich den Bedienten nach seiner Adresse und schreibe ihm am anderen Tag, ich sei in Paris und wünsche ihn zu sehen.
Schon am Abend meiner Ankunft führte ich meinen Plan aus. Das war Dienstag vor acht Tagen. Ich wußte nicht, daß nur montags, donnerstags und sonnabends Vorstellungen in der Oper sind. Vergebens wartete ich auf die Öffnung. Ich erkundigte mich nach der Ursache dieser Stille und Dunkelheit. Man sagte mir, eine Vorstellung finde erst am nächsten Tag wieder statt. Den ganzen anderen Tag blieb ich mit meinem armen Kind im Hotel.
Der Abend kam, und ich ging abermals aus.
Ich glaubte, ich könnte unter der Säulenhalle warten, doch die Polizisten erlaubten es mir nicht.
Ich sah einige Frauen ungehindert umhergehen und fragte, warum man ihnen gestattete, was mir nicht erlaubt wäre; man antwortete mir, es wären Blumenmädchen.
Während ich in der größten Unruhe wartete, kamen viele Wagen; aber ich konnte die Leute, die ausstiegen, nicht recht erkennen; vielleicht war Gabriel schon unter ihnen.
Es war ein verlorener Abend, und ich mußte wieder zwei Tage warten; doch ich fügte mich darein und kehrte mit einem neuen Plan in mein Hotel zurück.
Dieser Plan bestand darin, daß ich in jede Hand einen Strauß nehmen und mich für ein Blumenmädchen ausgeben wollte.
Ich kaufte Blumen, machte zwei Sträuße und begab mich auf meinen Posten; diesmal ließ man mich frei umhergehen.
Ich näherte mich allen haltenden Wagen und prüfte aufmerksam die aussteigenden Personen.
Es war ungefähr neun Uhr, und alles schien schon angekommen zu sein, als noch ein Wagen anführ, der sich verspätet haben mußte. Als der Schlag geöffnet wurde, glaubte ich Gabriel zu erkennen.
Ich wurde von einem solchen Zittern befallen, daß ich mich auf einen Prellstein stützte, um nicht niederzusinken. Ein junger Mann, der Gabriel glich, sprang heraus; ich tat einen Schritt, um auf ihn zuzugehen, doch ich fühlte, daß ich auf das Pflaster stürzen würde.
>Um wieviel Uhr?< fragte der Kutscher.
>Um halb zwölf<, antwortete er, die Treppe hinaufsteigend.