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Bei stehendem Start kann ein trainiertes Pferd die meisten Autos über eine Strecke von hundert Metern schlagen, aber der Transporter stand keineswegs. Der Blitzstart des Braunen brachte uns nur einen Vorsprung von wenigen Metern vor dem zermalmenden grünen Ungeheuer, das uns brüllend auf den Fersen war.

Wäre das Pferd gescheit gewesen, wäre es rechts oder links in eine schmale Gasse gebogen, in die der Transporter uns nicht folgen konnte. Statt dessen raste es schnurstracks geradeaus, und das Unglück kam unausweichlich näher.

Es half nur wenig, daß ich noch immer ein Stück Zügel hielt. Da Mischa dem Pferd die Zügel über den Kopf gestreift hatte, um es zu führen, waren sie jetzt nicht zur Hand, jeder Zügel ordentlich auf seiner Seite des Gebisses, sondern befanden sich beide auf der linken Seite unter dem Pferdemaul. Da Pferde normalerweise so gelenkt werden, daß das Gebiß nach oben gegen die empfindlichen Mundwinkel gezogen wird, bestand wenig Aussicht, ihm irgendwelche Hilfen zu geben. Erschwerend kam noch hinzu, daß meine Füße nicht in den Steigbügeln steckten, ich einen schweren Mantel trug und die Pelzmütze mir über die Brille rutschte. Der Braune suchte sich selbst den Weg auf die Bahn hinaus.

Instinktiv wandte er sich nach rechts, die Richtung, in der immer gearbeitet wurde. In wilder Flucht raste er dahin, und seine Hufe wirbelten Dreckklumpen hinter uns auf. Während ich mich noch fragte, wie lange er dieses Tempo wohl aushalten konnte, und hoffte, es sei für immer, kam es mir zum erstenmal so vor, als wäre das Motorengeräusch schwächer geworden.

Zu schön, um wahr zu sein. Auf gerader, ebener Strecke war ein Pferdetransporter allemal schneller als ein Pferd; vielleicht hatte er hochgeschaltet und machte einfach deshalb weniger Lärm.

Ich riskierte einen Blick über die Schulter, und sofort stiegen meine Lebensgeister wie ein Heliumballon. Der Pferdetransporter hatte die Verfolgung aufgegeben, drehte gerade um und trat den Rückzug an.

»Gott sei Lob und Dank«, dachte ich, und »Halleluja« und »Du herrliches Tier«, wirrer Dank an das Pferd und seinen mutmaßlichen Schöpfer. Blieb nur noch das Problem, das herrliche Tier zum Stehen zu bringen. Von Panik hatte es sich leicht anstecken lassen. Die Entwarnung kapierte es nicht so schnell.

Meine Mütze fiel endgültig hinunter. Unser Tempo trieb kalte Luft durch mein Haar und zwickte mich in die Ohren. Der Nieselregen trübte meine Brillengläser. Schwere Mäntel eignen sich schlecht für Ritte auf durchgehenden Pferden. Flatternde Hosenbeine wirken kaum beruhigend auf sie. Wenn mir nicht bald etwas zu den Bremsen und der Steuerung einfiel, konnte ich auch ebensogut unrühmlich hinunterfallen; und was würde Mr. Kropotkin sagen, wenn ich sein Olympiapferd durchgehen ließ?

Nach und nach gewann ich etwas Kontrolle über die Vorgänge. Schließlich handelte es sich um einen sechzehnhundert Meter langen Linkskurs, und links war die einzige Richtung, in die ich das Pferd steuern konnte. Dauernder Zug am Zügel richtete den Kopf des Braunen auf die Innenrails, und nachdem es mir gelungen war, die Füße in die Steigbügel zu stecken, bewirkte der Druck meines rechten Knies dasselbe. Einige beruhigende Ermahnungen, wie »Ho, ho, Junge, nur ruhig, mein Alter«, schienen auch zu helfen. Wenn die Worte auch englisch waren, so kannte das Tier doch den Ton.

Irgendwo im Einlauf, vor den Tribünen, ging ihm die Puste aus, und bald verfiel er in Schritt. Ich klopfte ihm den Hals, machte weiter Konversation, und kurz darauf blieb er stehen.

Jetzt zeigte er alle Anzeichen großer Anstrengung. Ich wischte die Nässe von meiner Brille und knöpfte den Mantel auf.

»Na, siehst du, mein Junge«, sagte ich. »Bist ein braver Kerl«, und klopfte ihm noch ein bißchen den Hals.

Er rührte sich kaum, als ich mich vorsichtig nach vorn über seine Ohren beugte, ihm mit den Armen unters Kinn griff und die Zügel über seinen Kopf brachte. Mir kam es fast so vor, als wäre er nachgerade erleichtert, sein Kopfzeug wieder in Ordnung zu haben, denn auf mein Zeichen trottete er mit der Willigkeit des gut ausgebildeten Pferdes den Weg zurück.

Kropotkins ganze Sorge galt verständlicherweise seinem Pferd. Nachdem ich abgestiegen war und die Zügel einem wie betäubt aussehenden Mischa übergeben hatte, befühlte er ängstlich die Beine des Braunen, trat zurück, um sonstigen Schaden zu begutachten und wandte sich dann mit seinem rollenden Baß längere Zeit an Stephen. Mit dem Arm machte er eine weitausholende Geste, die weder nach Angst noch Entschuldigung aussah, sondern irgendwo in der Mitte lag.

»Mr. Kropotkin sagt«, übermittelte Stephen, »er weiß nicht, was der Pferdetransporter heute hier zu suchen hatte. Die Olympiapferde reisen darin, aber heute hatte Mr. Kropotkin ihn nicht bestellt. Die Transporter sind immer neben den Ställen geparkt, die er leitet, auf der anderen Straßenseite. Und keiner der Fahrer würde zwischen den Stallungen so schlecht fahren. Er kann nicht verstehen, wie Sie und das Pferd dem Wagen in die Quere kommen konnten, als der Transporter vom Stall wegfahren wollte.«

Stephen hob die Augenbrauen. »Ich würde ja sagen, Sie waren ihm nicht im Weg. Das verdammte Ding ist direkt auf Sie losgefahren.«

»Vergessen Sie’s«, sagte ich. »Sagen Sie Mr. Kropotkin, ich verstehe, was er sagt. Sagen Sie ihm, ich bedaure, dem Wagen in die Quere gekommen zu sein. Sagen sie ihm, ich bin froh, daß dem Pferd nichts passiert ist, und deshalb sehe ich auch keinen Grund, die Ereignisse des heutigen Morgens irgend jemand gegenüber zu erwähnen.«

Stephen starrte mich an. »Sie lernen aber schnell ...«

»Sagen Sie ihm, was ich gesagt habe!«

Kropotkins ganze Art wurde nach meinen Worten so viel gelöster, daß ich erst da das ganze Ausmaß seiner Befürchtungen erkannte. Er brachte tatsächlich beinahe ein Lächeln zustande und sagte etwas zu Stephen, was diesem anscheinend weniger zweifelhaft vorkam.

»Sie reiten wie ein Kosak, meint er. Ist das ein Kompliment?«

»Dicht dran.«

»Außerdem sagt Mr. Kropotkin, er wird Ihnen jede Unterstützung geben, die Sie haben wollen«, übersetzte Stephen.

»Vielen Dank«, sagte ich.

»Freund«, sagte die tiefe Stimme in schlechtem Englisch, »du reiten gutt.«

Heftig rückte ich meine Brille gerade und dachte in mörderischer Wut an die Leute, die mir das Rennreiten verboten.

Stephen und ich schleppten uns mühsam eine halbe Meile bis zu der Stelle, wo, wie Kropotkin gesagt hatte, ein Taxistand sein sollte.

»Ich dachte, Sie wären so einer, der gleich zur Polizei rennt«, sagte Stephen.

»Nicht auf dieser Reise«, erwiderte ich und klaubte Dreck aus meiner Pelzmütze, die jemand zurückgebracht hatte.

»Nicht in diesem Land«, verbesserte er. »Wenn man sich hier bei den Bullen beschwert, endet man sehr wahr-scheinlich im Knast.«

Ich gab die Reinlichkeit zu Gunsten eines warmen Kopfes auf.

»Hughes-Beckett würde einen Anfall kriegen.«

»Wie dem auch sei, und Kropotkin kann sagen, was er will, der Pferdetransporter hat versucht, Sie umzubringen«, sagte Stephen.

»Oder Mischa. Oder das Pferd.«

»Glauben Sie das wirklich?«

»Haben Sie den Fahrer gesehen?«

»Ja und nein. Er trug eine von diesen Balaclavas unter der Pelzmütze, und die Ohrenklappen waren unten. Nur die Augen waren zu sehen.«

»Er ist ein verdammt hohes Risiko eingegangen«, sagte ich nachdenklich. »Trotzdem ist es ihm beinahe gelungen.«

»Sie nehmen das alles sehr gelassen hin«, wunderte sich Stephen.

»Wäre Ihnen ein hysterischer Anfall lieber? Da ist ein Taxi.«

Ich winkte, der Wagen hielt, und wir kletterten hinein.

»Ich habe noch nie jemand so auf ein Pferd springen sehen«, sagte Stephen unterwegs. »Eben noch auf dem Boden, gleich darauf in vollem Galopp. Dabei sehen Sie wie einer dieser nutzlosen Fatzkes in der Fernsehreklame aus ...« Ihm fehlten die Worte.