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»Das ist alles?« fragte ich ungläubig.

Seine Stimme klang zweifelnd. »Das Schreiben lautet, so wie es aus dem Fernschreiber kam: Randall Drew informieren, Juri Iwanowitsch Chulitskij; und dann noch ein paar Zahlen. Das ist alles.« »Zahlen?«

»Könnten eventuell eine Telefonnummer sein. Jedenfalls hier sind sie: 180-19-16. Haben Sie das?«

Ich las zur Sicherheit noch mal vor.

»Richtig, lieber Freund. Und wie geht es sonst?«

»Es geht«, sagte ich. »Könnten Sie ein Fernschreiben für mich absenden, wenn ich Ihnen den Text gebe?«

»Ah«, machte er. »Ich glaube, ich sollte Sie warnen. Im Augenblick scheinen sich da einige internationale Verwicklungen zusammenzubrauen, und der Fernschreiber ist ziemlich besetzt. Sie haben uns ziemlich unverblümt gesagt, wir sollten sie nicht mit Nebensächlichkeiten in Anspruch nehmen. Nebensächlichkeiten, ich bitte Sie. Wenn Sie also Wert darauf legen, daß Ihre Nachricht wegkommt, sollten Sie selbst hingehen, lieber Freund.«

»Wo soll ich hingehen?« fragte ich.

»Ach, das können Sie ja nicht wissen. Der Fernschreiber ist nicht hier in der Botschaft, sondern in der Handelsabteilung auf dem Kutusowskiy-Prospekt. Das ist die Verlängerung des Kalinin-Prospekt. Haben Sie einen Stadtplan?«

»Ich werde es schon finden«, versicherte ich.

»Sagen Sie, ich hätte Sie geschickt. Und ich würde dabeibleiben, lieber Freund. Fallen Sie ihnen auf die Nerven, dann haben Sie vielleicht Erfolg.«

»Ich werde Ihren Rat befolgen«, versprach ich.

»Der britische Klub ist auch auf dem Kutusowskiy-Prospekt«, sagte er träge. »Voll von zeitweilig Verbannten, die in Heimweh schwelgen. Trauriger kleiner Ort. Ich gehe nicht oft hin.«

»Wenn noch mehr Fernschreiben für mich kommen, würden Sie mich im Hotel anrufen?«

»Natürlich«, sagte er höflich. »Geben Sie mir Ihre Nummer.«

Ich unterdrückte das Verlangen, ihm zu sagen, daß ich das bereits zweimal getan hatte, sondern wiederholte sie und stellte mir vor, wie bei meiner Abreise sein Büro von kleinen Zetteln, auf denen immer die gleiche Nummer stand, überschwemmt war, die er mit sanfter Verwirrung betrachtete, wobei er sein graues Haar zurückstrich.

Nachdem das Gespräch beendet war, überlegte ich, ob ich Frank versetzen und gleich zum Fernschreiber eilen sollte, aber die Nachricht hatte noch ein, zwei Stunden Zeit, und es lohnte nicht, ihn deswegen kopfscheu zu machen. Ich ging ins Intourist zurück, fuhr nach oben, fuhr wieder nach unten und fand, als ich aus dem Fahrstuhl schlenderte, den wartenden Frank vor.

»Da sind Sie ja«, sagte er. »Ich dachte schon, ich hätte Sie verpaßt.«

»Na denn, auf geht’s«, sagte ich aufgeräumt, und wir verließen das Hotel und stiegen in den langen Fußgängertunnel hinunter, der unter dem Platz des Fünfzigsten Jahrestages der Oktoberrevolution hindurch auf eine gepflasterte Straße führte. Rechts von uns zogen sich die roten Mauern des Kreml hin.

Auf dem Weg durch die Passage teilte mir Frank seine Ansichten zum Genossen Lenin mit, der ihm zufolge das einzige Genie des 20. Jahrhunderts war.

»Geboren ist er allerdings im neunzehnten«, sagte ich.

»Er hat den Massen die Freiheit gebracht«, verkündete Frank ehrfürchtig.

»So? Welche denn?« fragte ich.

Frank ignorierte die Frage. Irgendwo unter dem dämlichen, wirren Soziologengewäsch, mit dem er die

Wilkinsons und mich so reichlich überhäufte, mußte ein hartgesottener, überzeugter, fanatischer Kommunist stecken. Ich betrachtete sein in einen langen, gestreiften Schal gehülltes, eckiges, narbiges Gesicht und fand ihn einfach herrlich: er lieferte eine perfekte Darstellung des halbgebildeten linken Anhängers der Lehrergewerkschaft, und das so überzeugend, daß es schwer zu glauben war, daß er schauspielerte.

Mir kam der Gedanke, daß Ian Young vielleicht unrecht hatte und Frank gar nicht vom KGB war. Aber wenn Ian das war, wofür ich ihn hielt, irrte er sich bestimmt nicht. Wenn Frank nicht vom KGB war, warum sollte mir Ian das dann erzählen?

Ich fragte mich, wie viele Lügen ich seit meiner Ankunft in Moskau schon gehört hatte und wie viele man mir noch auftischen würde.

Auf der Schwelle des Lenin-Museums fiel Frank praktisch auf die Knie. Drinnen mußten wir uns endlose Vorträge über die Kleidung, den Schreibtisch, das Auto etc. des Befreiers der Massen anhören. Und so sah er aus, dachte ich, während ich das pedantische kleine, bärtige Gesicht betrachtete, das einem unzählige Male von Bildern, Plakaten, Broschüren und Postkarten entgegenstarrte: der Mann, der eine Million Morde veranlaßt und überall auf der Welt seine Jünger zurückgelassen hatte, damit sie sein blutiges Reich errichteten. Das war der Visionär, der die Massenvernichtungen in Gang gesetzt, der Mann, der nur das Beste im Sinn gehabt hatte.

Ich sah auf meine Uhr und sagte Frank, daß es mir reichte; ich brauchte frische Luft. Er ignorierte die implizite Kränkung und folgte mir nach draußen. Dort sagte er einfach nur, er besuche das Museum jedesmal, wenn er in Moskau sei, und finde es immer wieder faszinierend. Das immerhin nahm ich ihm ohne weiteres ab.

Stephen, zurück vom Mittagessen und einer wichtigen Vorlesung, wartete wie verabredet vor dem Hotel. Natürlich nur auf mich, deshalb war er überrascht, als ich mit Frank auftauchte.

Ich stellte sie einander vor, ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben; sie waren sich sofort unsympathisch.

Wären sie Hunde gewesen, hätten sie sich feindselig beschnüffelt und die Zähne gefletscht: So kräuselten sie nur die Nase. Ich fragte mich, ob Stephens instinktive Ablehnung dem eigentlichen oder dem getarnten Frank galt, dem Individuum oder dem Typus. Frank konnte wohl erwarten, daß ein Freund von mir nicht sein Freund sein konnte; und wenn Ian recht damit hatte, daß er mir folgte, dann mußte er Stephen schon gesehen haben.

»Tja, Frank«, sagte ich, meine Erheiterung verbergend, »danke für Ihre Begleitung. Den Rest des Tages kümmert sich Stephen um mich. Wir sehen uns dann beim Frühstück.«

»Ja, natürlich.«

Wir gingen los, aber nach ein, zwei Schritten drehte Stephen sich stirnrunzelnd um. Ich schaute in die gleiche Richtung wie er: Franks sich entfernende Rückenansicht.

»Habe ich den nicht schon mal gesehen?« sagte Stephen.

»Wo denn?«

»Keine Ahnung. Gestern morgen hier auf dem Platz, vielleicht.«

Wir gingen am Rande des Roten Platzes auf das Kaufhaus GUM zu.

»Er wohnt im Intourist«, sagte ich.

Stephen nickte. Es beschäftigte ihn schon nicht mehr. »Wo soll’s denn hingehen?«

»Zu einer Telefonzelle.«

Wir fanden eine, warfen die zwei Kopeken ein, aber unter der Nummer, die Mischa uns gegeben hatte, meldete sich niemand. Dasselbe Ergebnis bei Juri Iwanowitsch Chuhtskij.

»Dann also zum Fernschreiber auf dem Kutusowskiy-Prospekt«, sagte ich. »Wo kriegen wir hier ein Taxi?«

»Die Metro ist billig. Nur fünf Kopeken, egal wie weit man fährt.«

Er verstand einfach nicht, warum ich Geld ausgab, wenn es nicht nötig war. In seinem Blick und seiner Stimme lag eine fast schon zornige Fassungslosigkeit. Ich gab achselzuckend nach, und wir nahmen die Metro, wo ich wie immer gegen die klaustrophobischen Gefühle ankämpfen mußte, die mich jedesmal befielen, wenn ich durch Maulwurfsgänge tief unter der Erde sauste. Die kathedralenähnlichen Stationen der Untergrundbahn schienen zur höheren Ehre der Technologie erbaut worden zu sein (nieder mit den Kirchen), aber auf den schrecklich langen, langweiligen Rolltreppen begann ich mich nach der lauten, vulgären Büstenhalterreklame der Londoner Untergrundbahn zu sehnen. Singendes, Swingendes, lärmendes, dreckiges, hemmungsloses London, gierig, gefräßig und lebenshungrig. Goldene Kutschen und weiße Pferde auf der Mall - anstelle von Panzern - und streikende Müllabfuhr.

»Streikt die Müllabfuhr hier auch?« fragte ich Stephen.