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»Streiken? Seien Sie nicht albern. Streiks sind in Rußland nicht erlaubt.«

Schließlich gelangten wir wieder an die Oberfläche und erreichten die Handelsabteilung, die ebenfalls von einem Soldaten bewacht wurde. Wieder gelang es uns einzudringen, und Oliver Watermans Rat folgend, fiel ich den Telexleuten so auf die Nerven, daß sie die folgende

Anfrage für mich durchgaben: Erbitte Einzelheiten über Leben und Herkunft von Hans Kramer. Wo befindet sich die Leiche. Erbitte außerdem Namen und Telefonnummer des Pathologen, der Autopsie vornahm.

»Erwarten Sie keine Antwort«, wurde mir brüsk gesagt. »In irgendeinem afrikanischen Land, das vollgestopft ist mit sowjetischen Waffen und sogenannten Beratern, ist die Hölle los. Der Fernschreiber raucht, und die Diplomaten haben Vorrang. Sie sind ganz unten auf der Liste.«

»Vielen Dank«, sagte ich, und wir trotteten auf die

Straße zurück.

»Was jetzt?« fragte Stephen.

»Versuchen Sie noch mal die Nummern.«

Wir fanden eine verglaste Telefonzelle, steckten die Kopeken in den Schlitz, erhielten aber wieder keine Antwort.

»Wahrscheinlich noch nicht von der Arbeit zurück«, meinte Stephen.

Ich nickte. Das Tageslicht ging schon jetzt, um vier Uhr nachmittags, rasch in Dämmerung über, und die

erleuchteten Fenster strahlten mit jeder Minute heller.

»Was wollen Sie jetzt machen?«

»Ich weiß nicht«, antwortete ich.

»Wollen Sie mit mir zur Universität kommen? Wir sind schon ziemlich in der Nähe. Jedenfalls näher als zu Ihrem Hotel.«

»Was zu essen gibt es da wohl nicht?«

Er sah mich überrascht an. »Doch, wenn Sie möchten. Es gibt eine Art Supermarkt für Studenten im Erdgeschoß und Küchen auf den Etagen. Wir können was kaufen und auf meinem Zimmer essen. Aber so gut wie im Intourist ist es sicher nicht.«

»Ich werde es trotzdem wagen.«

»Dann rufe ich an und sage, daß Sie mitkommen«, sagte er und wandte sich wieder der Telefonzelle zu.

»Können wir nicht einfach hingehen?«

Er schüttelte den Kopf. »In Rußland muß alles vorher angemeldet werden. Wenn es angemeldet ist, ist es in Ordnung. Wenn nicht, ist es irregulär, verdächtig und subversiv, und außerdem kommen Sie nicht rein.« Er fischte weitere zwei Kopeken aus der Tasche und legte sie nutzbringend an.

Nachdem das erledigt war, begann er unsere Route mit der Untergrundbahn festzulegen, aber ich hörte ihm nicht zu. Zwei Männer, ganz in ein Gespräch vertieft, kamen auf uns zu. Von dem Gefühl, daß einer der beiden mir bekannt vorkam, gelangte ich über einige Gedankensprünge zu dem Schluß, daß ich beide kannte.

Es waren Ian Young und Malcolm Herrick.

Kapitel 8

Sie waren, wenn möglich, noch überraschter als ich.

»Randall!« sagte Ian. »Was tun Sie denn hier?«

»Wenn das nicht unser Schnüffler ist!« dröhnte Malcolm Herricks Stimme, unbekümmert um Diskretion, selbstbewußt über den Kutusowskiy-Prospekt. »Aljoscha schon gefunden, Sportsfreund?«

»Ich fürchte nein«, sagte ich. »Das ist Stephen Luce. Ein Freund. Engländer.«

»Malcolm Herrick«, stellte sich der MoskauKorrespondent von The Watch vor und wartete auf eine Reaktion. Es kam keine, aber daran mußte er schon gewöhnt sein. »Moskau-Korrespondent von The Watch«, setzte er hinzu.

»Großartiges Blatt«, erklärte Stephen, der offensichtlich kein Wort aus der Herrickschen Feder gelesen hatte.

»Wir sind auf dem Weg in den britischen Klub. Sie auch?« Ians aufmerksame Augen warteten auf eine Antwort. Ich wußte einige unverfängliche Antworten, und eine davon gab ich ihm.

»Ich habe ein Fernschreiben abgeschickt«, erklärte ich. »Es war Olivers Vorschlag.«

»Diese Schlange«, unterbrach Herrick unerwartet und bekam schmale Augen. »Gewöhnlich gibt er die Texte für den Fernschreiber einem Burschen in der Halle unten.«

»Und der Bursche in der Halle gibt sie an Sie weiter?« fragte ich.

»Man hat so seine Quellen.« Er strich sich über die Nase.

Ian war nicht beeindruckt. »Wenn eine Antwort kommt, sorge ich dafür, daß Sie sie kriegen«, sagte er zu mir.

»Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«

»Wo gehen Sie jetzt hin, Sportsfreund?« fragte Malcolm, laut und direkt wie immer.

»Mit Stephen zur Universität, zum Tee.«

»Tee!« Er schnitt eine Grimasse. »Hören Sie, warum treffen wir uns nicht später zu einem anständigen Abendessen? Wir alle«, fügte er hinzu, und seine großartige Geste umfaßte Ian und Stephen. »Paßt Ihnen das Aragvi, Ian?«

Ian hatte den Vorschlag zunächst ohne sichtbare Reaktion aufgenommen, doch die Wahl des Restaurants schien Gnade vor seinen Augen zu finden, und er nickte schweigend. Malcolm wollte den Weg beschreiben, aber Stephen sagte, er wüßte Bescheid.

»Na prima«, strahlte Malcolm. »Halb neun. Seien Sie pünktlich.«

Das leichte Nieseln, das schon den ganzen Tag anhielt, schien in Schneeregen auszuarten. Es dämpfte jedenfalls nachhaltig die Neigung, das Gespräch auf der Straße fortzusetzen, und so trennten wir uns in allgemeinem Einvernehmen und gingen unserer Wege.

»Wer ist der Mann, der wie ein Russe aussieht?« fragte Stephen, der vor den schneidend kalten Tropfen den Kopf einzog.

»Der, der die Sphinx spielt?«

»Nehmen wir das Taxi da«, sagte ich und winkte einem graugrünen Auto. Das grüne Licht hinter der Windschutzscheibe wies es als freies Taxi aus.

»Das ist zu teuer«, protestierte er automatisch, während er neben mich auf den Rücksitz glitt. »Wir werden diese widerwärtige bürgerliche Gewohnheit abstellen müssen.« Er verstand es ausgezeichnet, den russischen Akzent nachzuahmen und dabei sarkastisch den russischen Standpunkt zu vertreten. »Proletarier aller Länder, vereinigt euch ... und fahrt mit der Metro.«

»Kaviar ist unmoralisch«, sagte ich trocken.

»Kaviar ist nicht bürgerlich. Kaviar ist für jeden, der ein Vermögen in Rubeln zusammenkratzen kann.« Er musterte mich nachdenklich und verfiel wieder in normales Englisch. »Warum haben Sie gesagt, daß Kaviar unmoralisch ist? Das paßt gar nicht zu Ihnen.«

»Stammt auch nicht von mir, sondern von jemand anderem.«

»Einem Mädchen?«

Ich nickte.

»Aha«, sagte er. »Ich tippe auf eine reiche, großbürgerliche sozialistische Rebellin gegen Mammi.«

»Gar nicht mal so verkehrt«, sagte ich, eine Spur traurig.

Er sah mich besorgt an. »Ich habe Sie doch nicht gekränkt?«

»Nein.«

Ich bat ihn, das Taxi bei einer Telefonzelle halten zu lassen, wo Stephen erneut die beiden Nummern wählte. Bei Mischa hatte er kein Glück, aber bei der zweiten Nummer meldete sich beim ersten Klingeln jemand. Den Hörer in der Hand, signalisierte mir Stephen mit erhobenem Daumen Erfolg, sagte etwas, hörte zu und reichte mir dann den Hörer. »Es ist Juri Iwanowitsch Chulitskij persönlich. Er sagt, er spricht Englisch.«

»Mr. Chulitskij?« meldete ich mich. »Mein Name ist Randall Drew. Ich bin Engländer und besuche Moskau. Ihr Name und Ihre Telefonnummer wurden mir von der britischen Botschaft gegeben. Ich würde Sie gern sprechen, wenn das möglich ist.«

Längeres Schweigen. Dann sagte die Stimme am anderen Ende ruhig und mit einem Akzent, der eine genaue Kopie von Stephens Imitation war: »In welcher Angelegenheit?«

Dank der spärlichen Auskünfte des Fernschreibens konnte ich das nur schwer beantworten. »Pferde?« fragte ich hoffnungsvoll.

»Pferde.« Das klang wenig begeistert. »Immer Pferde. Ich kenne Pferde nicht. Ich bin Architekt.«

»Aha«, sagte ich. »Haben Sie bereits mit anderen Engländern über Pferde gesprochen?«

Pause. Dann die Stimme, gemessen und immer noch ruhig.

»Das ist so. In Moskau, ja. Und in England, ja. Viele Male.«