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Mir dämmerte etwas. »Sie waren bei der Military in Burleigh, im September?«

Pause. Dann: »Viele Military. September ... und August.«

Volltreffer, dachte ich. Einer der Beobachter.

»Mr. Chulitskij«, sagte ich überredend, »bitte, kann ich Sie irgendwo treffen? Ich habe mit Nikolai Alexandrowitsch Kropotkin gesprochen, und wenn Sie sich über mich erkundigen wollen, wird er Ihnen gewiß sagen, daß Sie sich mit mir unterhalten können.«

Ganz lange Pause. »Schreiben Sie für Zeitung?«

»Nein«, sagte ich.

»Ich anrufen Nikolai Alexandrowitsch«, sagte er. »Ich suchen seine Nummer.«

»Ich habe sie hier«, sagte ich und las sie ihm langsam vor.

»Sie wieder anrufen. Eine Stunde.«

Der Hörer auf seiner Seite wurde energisch aufgelegt, und Stephen und ich kehrten zum Taxi zurück.

Unterwegs sagte Stephen. »Wenn wir in meinem Zimmer sind, sagen Sie nichts, was nicht für fremde Ohren bestimmt ist. Oder jedenfalls nicht, bis ich sage, daß die Luft rein ist.«

»Soll das ein Witz sein?«

»Ich bin Ausländer. Ich lebe in dem Teil der Universität, der für ausländische Studenten reserviert ist. Von jedem Raum, der in Moskau von Ausländern bewohnt wird, sollte man zunächst annehmen, daß er abgehört wird, bis das Gegenteil bewiesen ist.«

Das Universitätsgebäude, ein Areal riesiger Blocks mit schmalen Fenstern, das von schlanken, hohen Türmen durchbrochen war und wie ein gewaltiger grauer Steinpudding wirkte, schaute von seinem Hügel auf den Fluß und das Stadtzentrum hinab. Am anderen Ufer lag das weitläufige Lenin-Stadion, wo die Olympioniken laufen, springen und werfen sollten.

»Wie schaffen die das, wo die ganze Stadt voller Ausländer ist?« fragte ich.

»Hier herrscht Apartheid.« Der russische Akzent machte die Bemerkung zu einem üblen Scherz. »Die Rassentrennung wird unbarmherzig aufrechterhalten.«

»Warum sind Sie eigentlich nach Rußland gekommen, wenn Sie so denken?« fragte ich.

Er warf mir einen raschen, belustigten Blick zu. »Ich liebe die Stadt und hasse das Regime, so wie jeder hier. Und wenn man jederzeit raus kann, ist es kein Gefängnis.«

Das Taxi setzte uns am Tor ab, und wir gingen zu Fuß zum Eingang für ausländische Studenten, einer Tür, die durch die schiere Höhe der Wände drumherum winzig klein wirkte. Im Innern saß eine rundliche, ältere Frau hinter einem Tisch. Stephen sah sie ohne jede Reaktion an, was bedeutete, daß sie ihn kannte, und dann mich; mit der Geschwindigkeit einer Klapperschlange war sie von ihrem Stuhl hoch und versperrte mir den Weg.

Stephen sprach russisch mit ihr. Mürrisch schüttelte sie den Kopf. Zusammen konsultierten sie eine Liste auf dem Tisch; und mit strengem Blick ließ sie mich passieren.

»Solche Drachen hüten jede Tür in Rußland«, sagte Stephen. »Die einzige Möglichkeit, an ihnen vorbeizukommen, ist, angemeldet zu sein; oder man erschlägt sie.«

Ein langer Marsch endete schließlich in einem Selbstbedienungsladen. Sämtliche Verpackungen wirkten fremd, und aufgrund des kyrillischen Alphabets, in dem Restaurants für westliche Augen wie >PECTOPAH< aussahen, konnte ich ihren Inhalt nicht einmal erraten. Stephen machte zielsicher die Runde und holte etwas, das sich später als Cremetorte und Milch herausstellte.

An der Kasse stand ein hübsches Mädchen mit hellbraunem Haar und beneidenswert schlanker Taille vor uns. Als Stephen sie grüßte, wandte sie den Kopf und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Ein sehr vertrauliches Lächeln, fand ich.

Stephen stellte sie als Gudrun vor, und die weniger hübsche Dame hinter der Kasse deutete auf ihre Pakete und sagte ihr offenbar, sie möge sie nehmen und verschwinden.

Das Mädchen nahm die Milchflasche auf, und der Boden fiel heraus. Milch spritzte auf den Boden. Mit verdutztem Gesicht und Milchflecken auf den Beinen stand Gudrun da, die scheinbar heile Flasche noch in der Hand.

Ich sah mir die Pantomime an, die nun folgte. Stephen bestand darauf, daß sie eine neue Flasche bekam. Die weniger Hübsche schüttelte den Kopf und deutete auf die Kasse. Es folgte ein heftiger Wortwechsel, bei dem die weniger Hübsche die Oberhand behielt.

»Sie hat eine neue Flasche kaufen müssen«, sagte Stephen angewidert, und wir machten uns zu einem neuen Marsch durch das Gebäude auf.

»Das habe ich mitgekriegt.«

»Die machen die Flaschen hier wie Röhren und stecken als Boden einfach eine runde Scheibe rein. Na egal«, schloß Stephen fröhlich, »Gudrun kommt jedenfalls auch zum Tee.«

Gudrun war aus Westdeutschland, aus Bonn. Sie füllte und erhellte Stephens winzige Zelle, die ein Bett, einen mit Büchern bedeckten Tisch, einen Stuhl und einen verglasten Bücherschrank enthielt. Auf dem Fußboden lag eine kleine Perserimitation, und an den hohen, schmalen Fenstern hingen lappige grüne Vorhänge.

»Das Ritz«, stellte ich ironisch fest.

»Ich habe Glück«, sagte Stephen, während er drei Becher aus dem Bücherschrank nahm und auf dem Tisch Platz schaffte.

»Eine Menge russischer Studenten wohnen zu zweit in so einem Raum.«

»Wenn hier zwei Betten drin wären, könnte man die Tür nicht mehr aufmachen«, gab ich zu bedenken.

Gudrun nickte. »Tagsüber werden die Betten hochgeklappt.«

»Keine Protestmärsche? Keine Demonstrationen?« fragte ich.

»Sind nicht erlaubt«, erklärte Gudrun ernsthaft. »Jeder, der es versuchte, würde seinen Studienplatz verlieren.«

Ihr Englisch war hervorragend und fast akzentfrei. Ihr

Russisch, sagte Stephen, sei ebensogut. Sein Deutsch sei passabel, sein Französisch ausgezeichnet. Ich seufzte innerlich ob dieser Fertigkeiten, die ich niemals erworben hatte.

Stephen ging Tee machen.

»Kommen Sie lieber nicht mit«, sagte er. »Die Küche ist ein Schweinestall. Sie wird von ungefähr zwanzig Leuten benutzt, alle sollen sie sauberhalten, also macht’s keiner.«

Gudrun saß auf dem Bett und fragte mich, wie es mir in Moskau gefalle, und ich saß auf dem Stuhl und sagte, sehr. Ich fragte sie, wie ihr das Studium gefalle, und sie sagte, sehr.

»Wenn die Russen so sehr darauf bedacht sind, sich Ausländer auf Armeslänge vom Leib zu halten, warum lassen sie dann ausländische Studenten an die Universität?« fragte ich.

Ihre Augen glitten unwillkürlich über die Wände - ein aufschlußreicher Einblick in die Art, wie sie alle lebten. Die Wände hatten Ohren, und das ganz buchstäblich.

»Wir sind Austauschstudenten«, sagte sie. »Für Stephen ist ein russischer Student in London, für mich eine russische Studentin in Bonn, beides linientreue Kommunisten.«

»Die das Evangelium verkünden und Anhänger werben?«

Von meiner Offenheit unangenehm berührt, nickte sie etwas unglücklich und ließ dabei wieder den Blick über die Wände gleiten. Ich ging zu harmlosem Geplauder über, und gleich darauf kehrte Stephen zurück und verteilte die Leckerbissen, die bei mir eine nagende Leere füllten.

»Jetzt zeige ich Ihnen was«, sagte er, stopfte sich das letzte Stück Kuchen in den Mund und rutschte ans Ende des Bettes, auf dem er saß. »Einen kleinen Trick.«

Er griff nach einem Recorder und schaltete es ein. Dann stand er auf und drückte es mit einer theatralischen Geste an die Wand neben meinem Kopf.

Nichts geschah. Er drückte es auf eine andere Stelle. Wieder nichts. Er nahm es weg und hielt es vorsichtig an die Wand über seinem Bett. Aus dem Recorder ertönte ein schrilles Pfeifen.

»Abrakadabra«, sagte er, und schaltete das Tonbandgerät wieder ab. »Bei gewöhnlichen Wänden passiert nichts. Befindet sich ein Mikrophon in der Wand, bekommt man eine Rückkopplung.«

»Wissen die das?« fragte ich.

»Natürlich. Soll ich es Ihnen borgen?« Er deutete auf den Recorder.

»Das wäre sehr nett.«

»Dann hole ich rasch einen Zettel.«