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»Tja, vielen Dank, daß Sie uns das alles erzählt haben«, sagte Stephen, stand auf und streckte sich.

Mischa sprang auf und winkte ihn auf seinen Stuhl zurück, wobei er erregt auf ihn einsprach.

»Deshalb hat er uns nicht herkommen lassen«, berichtete Stephen.

»Nein«, sagte ich. »Er gab Ihnen seine Telefonnummer, bevor das alles geschah.«

»Ihnen entgeht wohl nie was?«

»Ich weiß nicht recht«, entgegnete ich.

»Typisch.«

»Ich spreche zu Deutschen«, mischte sich Mischa ein.

»Was? Meinen Sie, Sie haben mit Hans Kramer gesprochen?«

Bedauerlicherweise war das nicht der Fall. Mischa erzählte Stephen, er habe sich mit Hans Kramers Stallburschen angefreundet. Am Morgen hatte er uns das nicht sagen können, weil es natürlich verboten war, mit Ausländern zu sprechen.

»Ja«, sagte ich resigniert. »Nur weiter.«

Wie sich herausstellte, war es den beiden jungen Leuten zur angenehmen Gewohnheit geworden, sich auf einen unbenutzten Heuboden zurückzuziehen und Zigaretten zu rauchen. Rauchen in den Ställen war ebenfalls verboten. Mischa hatte die Unterhaltung und das Rauchen besonders genossen, weil es verboten war.

Mischas blaue Augen funkelten, begeistert über seinen eigenen Wagemut und vollkommen naiv.

»Worüber haben sie geredet?« fragte ich.

Pferde natürlich. Und Hans Kramer. Der deutsche Bursche mochte Kramer nicht, der, laut Stephens lakonischer Übersetzung, ein Schweinehund gewesen sei.

»Inwiefern?«

Mischa sprach, Stephen übersetzte. »Offenbar war Kramer zu Pferden anständig, aber Menschen hat er gern üble Streiche gespielt.«

»Ja. Einen kenne ich«, sagte ich und dachte an Johnny und die Transvestiten. »Weiter.«

»Außerdem war er ein Dieb.«

Ungläubig sah ich Mischa an, der aber heftig nickte, nicht nur mit dem Kopf, sondern praktisch aus der Hüfte heraus.

»Mischa sagt«, fuhr Stephen fort, »Kramer stahl einen Kasten aus dem Wagen des Tierarztes, als er vor Beginn der Military das britische Team aufsuchte, um sich ihre Pferde anzusehen.«

»Einen Kasten mit Medikamenten?« fragte ich.

»Da«, bestätigte Mischa. »Medikamente.«

»Dauernd werden Tierärzten und Ärzten Sachen gestohlen«, sagte ich. »Man sollte denken, sie würden solche Kästen anketten und sie nicht in Autos rumliegen lassen. Also . war Kramer süchtig?«

Ich zweifelte selbst, als ich das aussprach, denn Drogensucht und der Standard der internationalen Reiterei passen schlecht zusammen. Mischa allerdings wußte es nicht. Der deutsche Bursche hatte ihm erzählt, was für einen Wirbel es gegeben hatte, als der Tierarzt den Verlust entdeckte, aber Kramer hatte den Kasten versteckt.

»Woher wußte der Bursche das?«

»Er hat ihn irgendwo im Stall unter Kramers anderen Sachen gefunden. Vier Tage später, nachdem Kramer tot war, brachte der Deutsche den Kasten mit auf den Heuboden, und Mischa und er teilten sich den Inhalt.«

»Das darf doch nicht wahr sein.«

»Es hört sich so an, als hätte der Deutsche den Kasten und alle gut verkäuflichen Sachen, wie Barbiturate, genommen und Mischa den Mist überlassen, was mich nicht überrascht«, sagte Stephen in aller Offenheit nach einer weiteren längeren Rede von Mischa. »Unser Mischa ist ein richtiges kleines Unschuldslamm.«

»Was hat er mit seinem Anteil gemacht?«

Stephen fragte nach. »Mit nach Moskau gebracht, zusammen mit ein paar anderen Andenken. Zur Erinnerung an die netten Gespräche auf dem Heuboden.«

Nachdenklich starrte ich aus dem Fenster, sah aber vor mir nicht ein schwarzes Viereck ohne Vorhänge, sondern ein altmodisches Landhaus in England.

Johnny Farringford, dachte ich, hatte nicht gewollt, daß man seine Verbindung zu Hans Kramer für sehr eng hielt. Er hatte nicht gewollt, daß ich Aljoscha suchte und womöglich fand. Hatte gewollt, daß Gras über die Gerüchte wuchs, und bestritten, daß es irgendeinen Skandal zu vertuschen gab. Angenommen, dachte ich düster, die Geschichte mit Aljoscha ist in Wirklichkeit unwichtig, und die Sache, die Johnny so verzweifelt geheimzuhalten sucht, hat nichts mit unorthodoxem Sex, aber alles mit Drogen zu tun.

»Hat Mischa das Zeug noch?« fragte ich.

Mischa hatte es.

»Würde er es mir zeigen?« fragte ich. Mischa hatte nichts dagegen, fuhr jedoch morgen ganz früh weg.

»Ist es wichtig?« wollte Stephen wissen.

»Nur auf negative Art«, seufzte ich. »Wenn Kramer den Kasten vier Tage bis zu seinem Tod hatte, wird er vermutlich herausgenommen haben, was ihn interessierte. Dann hat der deutsche Stallbursche sich bedient ... was Mischa jetzt noch hat, ist jedenfalls nicht das, was Kramer wollte ... und das könnte uns einiges verraten. Neben Barbituraten haben Tierärzte meistens noch andere Sachen bei sich. Pethidine, beispielsweise. Das ist ein Schmerzmittel, macht aber, glaube ich, Menschen schon nach kürzester Zeit süchtig. Und Butazolidin ... und Steroide ...«

»Verstehe«, sagte Stephen und sprach mit Mischa. Sie führten eine längere Unterhaltung, bei der sie offenbar eine Übereinkunft erzielten.

»Mischa sagt, seine Souvenirs sind in der Wohnung seiner Mutter, er wohnt aber zusammen mit dem anderen Stallburschen in der Nähe der Stallungen. Dort muß er sehr bald wieder sein, und morgen früh fährt er weg. Er kann nicht mehr zu seiner Mutter gehen. Aber er kann anrufen und seine Schwester, die im Augenblick dort wohnt, bitten, Ihnen morgen vormittag das Zeug zu bringen. Aber ins Hotel kann sie nicht kommen, es wäre nicht gut, wenn sie im Gespräch mit Ausländern gesehen würde, deshalb wird sie Sie im GUM, gleich neben dem Haupteingang, treffen. Sie wird eine rote Wollmütze mit weißem Pompon tragen, die Mischa ihr vorige Woche zum Geburtstag geschenkt hat, und einen langen roten Schal. Sie spricht etwas Englisch. Sie hat es in der Schule gelernt.«

»Sehr gut«, sagte ich. »Ginge es ziemlich früh? Um zehn

treffe ich Chulitskij vor dem Hotel National.«

Mischa sagte, er glaube, sie könnte um halb zehn da sein, und darauf einigten wir uns dann.

Ich bedankte mich bei Mischa für die Mühe, die er sich gemacht hatte, uns diese Informationen zukommen zu lassen, und schüttelte ihm herzlich die Hand.

»Ist gut«, sagte er befriedigt. »Du retten Pferd. Nikolai Alexandrowitsch sagt helfen. Ich helfen.«

Wir trafen mit zehnminütiger Verspätung vor dem Aragvi ein, weil es in der entlegenen, weitläufigen Vorstadt keine Taxis und kaum Busse gab. Die Metro, so hatten wir festgestellt, endete fünf Kilometer von der Wohnung entfernt. Mischa fuhr mit uns ins Stadtzentrum, hielt sich jedoch abseits von uns, sah uns nicht an und sagte nichts. Als wir die Station erreichten, wo er umsteigen mußte, stieg er ohne den kleinsten Abschiedsgruß aus, mit ebenso unbewegtem Gesicht wie die Umstehenden.

»Sagen Sie Malcolm Herrick nicht, was Mischa uns gerade erzählt hat«, sagte ich, während wir die letzten hundert Meter zum Restaurant eilten. »Er ist Zeitungsfritze. Meine Anweisungen lauten, möglichst viel zu vertuschen, nicht, es in die Schlagzeilen zu bringen; außerdem brächte das Mischa in Schwierigkeiten.«

»Ich schweige wie ein Grab«, versprach Stephen mit einer Stimme, die verriet, daß er die Mahnung für reichlich überflüssig hielt.

Wie sich herausstellte, lag das Aragvi weniger als einen Kilometer vom Intourist entfernt: die Gorkistraße hinauf, und bei der Ampel rechts. Malcolm und Ian warteten ein kurzes Stück davor, und Malcolm murrte, für seine Verhältnisse leise, darüber, daß wir sie in der Kälte hatten stehenlassen.