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»Ich rede mit Männern, Sie warten«, sagte er.

Überflüssiger Rat. Juri ließ wegen des eisigen Windes die Ohrenklappen herunter, stapfte herum, sprach mit seinen Leuten und machte weitausholende Bewegungen mit den Armen. Nach einer ganzen Weile kehrte er zurück und setzte sich hinter das Steuer.

»Ist gut«, sagte er befriedigt, und seine aufgeworfene Oberlippe ließ flüchtig Zähne aufblitzen. »Wir machen Fundament fertig. In Frühjahr, wenn Schnee schmilzt, wir bauen schnell. Stadion«, er zeigte, »Ställe.« Wieder zeigte er. »Restaurants, Gebäude für Reiter, Gebäude für Offizielle, Gebäude für Television. Da hinten« - seine Armbewegung umfaßte ein riesiges, leicht gewelltes Gelände, das von Wald gesäumt war - »Militarygelände. In Sommer ist schön.«

»Wird jeder, der zur Olympiade kommen will, ein Visum bekommen?« fragte ich.

»Ja, alle Leute haben Visum.«

»Das ist aber nicht immer so«, sagte ich ohne besondere Betonung, und er antwortete in ebenso gleichmütigem Ton: »Für Olympiade alle Leute haben Visum. Wohnen in Hotel. Ist gut.«

»Was ist mit der Presse? Und den Leuten vom Fernsehen?«

»Wir bauen Haus für ausländische Presse. Auch für ausländische Television, bei Gebäude für Moskau Television. Benutzen gleichen ...« Er beschrieb mit den Händen einen Sendemast.

»Ausländer gehen in diese Gebäude. In England wir fragen Presseleute über Pressegebäude. Wir sehen, was Presseleute brauchen. Wir fragen viele Leute. Wir fragen Herrick.«

»Herrick? Haben Sie ihn hier oder in England gefragt?«

»In England. Er hilft uns. Er kommt nach Burleigh. Wir sehen ihn mit Lord Farringford. Also fragen wir ihn. Wir fragen viele Leute wegen bauen. Wir fragen Hans Kramer. Er war .«

Ihm fehlten die Worte, aber aus seinen Gesten schloß ich, daß Hans Kramer die russischen Beobachter sehr rüde abgefertigt hatte.

Er band die Ohrenklappen seiner Mütze oben zusammen, ohne sie abzunehmen. Ich suchte unterdessen die Straße nach einem eventuellen Verfolgerauto ab, sah aber nichts Auffälliges. Ein Bus kam vorbei, dessen Reifen auf dem matschigen Asphalt ein zischendes Geräusch machten. Bei dem niedrigen Verkehrsaufkommen würde jedes Verfolgerauto sofort auffallen, dachte ich. Andererseits schien es sehr wenige Fahrzeugtypen zu geben, so daß ein Auto praktisch wie das andere aussah. Schwer, einen Beschatter auszumachen. Allerdings leicht, einer hellgelben Kiste auf Rädern zu folgen.

»Was ist das für ein Auto?« fragte ich.

»Schiguli«, sagte er. »Ist mein Auto.« Er schien stolz darauf zu sein. »Nicht viele Leute haben Auto. Ich bin Architekt, habe Auto.«

»Ist es teuer?« fragte ich.

»Auto teuer. Benzin billig. Fahrprüfung sehr schwer.«

Er band die Schleife auf seiner Mütze fertig, vergewisserte sich, daß die Stiefel im Auto waren, knallte die Tür zu und stieß schwungvoll rückwärts auf die Straße hinaus.

»Wie kommen die Leute eigentlich hierher?« fragte ich. »Die Wettkämpfer und die Zuschauer?«

»Wir bauen Metro. Neue Station.« Er überlegte. »Metro über Erde, nicht unter. Neue Metro für Leute von Chertanowo. Viele neue Gebäude hier. Chertanowo ist neue Stadt. Ich zeige.«

Wir fuhren wieder in Richtung der Autobahn nach Warschau, doch noch vor der Auffahrt bog er nach rechts in eine weitere breite Straße ein, an der wie Pilze Wohnblocks aus dem Boden wuchsen: Durchweg weißlich grau und neun Stockwerke hoch, verloren sie sich in der Ferne.

»In Sowjetunion alle Leute haben Haus«, sagte Juri. »Miete ist billig. In England teuer.« Er warf mir einen belustigten Blick zu, als wollte er mich auffordern, diese vereinfachende Äußerung zu bestreiten. In einem Land, wo alles dem Staat gehörte, wäre es sinnlos, hohe Mieten zu verlangen. Damit die Leute hohe Mieten, wie übrigens auch hohe Preise für Strom, öffentliche Verkehrsmittel und das Telefonieren bezahlen könnten, müßte man ihnen höhere Löhne bezahlen. Das wußte Juri Chulitskij ebensogut wie ich. Ich durfte nicht den Fehler machen, die Subtilität seiner Gedanken zu unterschätzen, weil das Englisch, mit dem er sie ausdrückte, beschränkt war.

»Kann ich ein Geschäft mit Ihnen machen?« fragte ich. »Ein Tauschgeschäft? Eine Information gegen eine andere?«

Er warf mir einen raschen, scharfen, durchdringenden Blick zu, sagte aber nur: »Auto braucht Benzin.« Er bog von der Straße in eine Tankstelle ein und stieg aus, um mit dem Tankwart zu reden.

Ich ertappte mich dabei, daß ich die Brille abnahm und die bereits sauberen Gläser putzte. Die Geste, mit der ich Zeit gewann, die ich in diesem Moment gar nicht brauchte. Ich fragte mich, ob sie unbewußt davon ausgelöst worden war, daß Juri Benzin kaufte. Da der Tank laut Anzeige mehr als halb voll war, konnte es kaum sehr dringend sein.

Ich sah zu, wie die Nadel auf >voll< kroch. Juri bezahlte, kam zum Auto zurück, und wir machten uns auf die Rückfahrt ins Stadtzentrum.

»Was für Information tauschen Sie?«

»Ich habe sie noch nicht alle.«

Um seinen Mund zuckte es. »Sie Diplomat?« sagte er.

»Ein Patriot. Genau wie Sie.«

»Erzählen Sie mir Information.«

Ich erzählte ihm eine Menge. Ich erzählte ihm, was wirklich auf der Rennbahn passiert war, nicht Kropotkins Version, und ich erzählte von dem Überfall in der Gorkistraße. Ich erzählte ihm in kurzen Worten, wenn auch ohne Namen oder Ortsangaben, was Boris Teljatnikow im Zug gehört hatte und was man daraus schließen konnte. Er lauschte, wie jeder loyale Russe, mit Bestürzung. Als ich fertig war, fuhr er ein ganzes Stück ohne zu sprechen, und am Ende war sein Kommentar etwas seltsam.

»Sie wollen Mittagessen?« fragte er.

Kapitel 11

Er nahm mich in den, wie er es nannte, Architektenzirkel mit, und in dem Kellerrestaurant dort bekam ich ein Essen, wie ich es in Moskau nicht für möglich gehalten hätte. Erstklassigen Räucherlachs, köstlichen Knochenschinken, zartes Fleisch. Einen Apfel und Weintrauben. Wodka als Vorspeise, gefolgt von hervorragendem Rotwein. Zum Schluß guten, starken Kaffee. Er aß und trank mit ebensoviel Genuß wie ich.

»Wunderbar«, sagte ich beifällig. »Hervorragend.«

Schließlich lehnte Juri sich zurück, steckte eine Zigarette an und erzählte mir, daß jeder Berufsstand seinen Zirkel habe. Zum Beispiel gab es einen Schriftstellerzirkel, dem alle sowjetischen Schriftsteller angehörten. Gehörten sie nicht dem Zirkel an, wurden sie nicht veröffentlicht. Natürlich konnten sie auch ausgeschlossen werden, wenn das, was sie schrieben, nicht für richtig gehalten wurde. Und wollte ich etwa andeuten, daß Juri nicht vollkommen mit diesem System einverstanden war? Das wollte ich natürlich nicht.

»Wie ist das bei den Architekten?« fragte ich sanft.

Architekten, erfuhr ich, mußten politisch einwandfrei sein, wenn sie dem Architektenzirkel angehören wollten. Und wenn sie dem Zirkel nicht angehörten, bekamen sie selbstverständlich keine Aufträge.

Selbstverständlich.

Ich trank meinen Kaffee und hütete meine Zunge. Juri beobachtete mich und lächelte mit einem Anflug von Melancholie.

»Ich geben Information«, sagte er, »über Lord Farringford.«

»Danke.«

»Sie sind cleverer Mann.« Er seufzte, zuckte die Schultern und hielt seinen Teil unserer Abmachung ein. »Lord Farringford dummer Mann. Mit Hans Kramer er gehen schlechte Lokale. Sexlokale.« Mißbilligung zeigte sich auf seinem Gesicht, und seine Oberlippe entblößte noch mehr von den Schneidezähnen.

»In London gibt ekelhafte Bilder. Auf der Straße. Alle können sehen. Ekelhaft.« Er suchte nach Worten. »Schmutzig.«