»Ja«, stimmte ich zu.
»Lord Farringford und Hans Kramer gehen in solche Lokale. Drei-, viermal.«
»Sind Sie sicher, daß es mehr als einmal war?« fragte ich erstaunt.
»Sicher. Wir sehen. Wir folgen.« Dieses Geständnis kam ganz harmlos heraus und verlor sich in Schweigen, als habe er nicht gesagt, was er gesagt hatte.
Junge, Junge, dachte ich; und ebenso harmlos fragte ich: »Warum sind Sie ihnen gefolgt?« Er kämpfte mächtig mit seinem Gewissen, blieb aber offensichtlich bei der Wahrheit.
»Genosse mit mir, er suchen in England und viele Länder nach dumme Menschen. Wenn dumme Menschen kommen in Sowjetunion, Genosse macht ... benutzt ...«
»Ihr Genosse nutzt ihre Neigung zur Pornographie aus?«
Er holte tief Atem.
»Und wenn Farringford zur Olympiade kommt, wird Ihr Genosse ihn benutzen?«
Schweigen.
»Aber wozu soll Farringford zu gebrauchen sein? Er ist kein Diplomat .« Ich unterbrach mich, dachte nach und sprach langsam weiter. »Soll das heißen, im Austausch dafür, daß er das britische Volk nicht in Verlegenheit bringt, nicht das skandalöse Betragen aufdeckt, zu dem Ihr Genosse ihn verführt hat, wird Ihr Genosse irgendeine Konzession von der britischen Regierung verlangen?«
»Sagen Sie noch einmal.«
Ich sagte es noch einmal, etwas direkter. »Ihr Genosse stellt Farringford eine schmutzige Falle. Ihr Genosse sagt zur britischen Regierung, gebt mir, was ich will, sonst veröffentliche ich die Schweinerei.«
Er gab es nicht direkt zu. »Die Genossen von meinem Genossen«, sagte er.
»Ja«, stimmte ich zu. »Diese Genossen.«
»Farringford ist reicher Mann«, sagte Juri. »Für reichen Mann Genossen haben ...« Er wußte das Wort nicht, aber es war zweifellos Verachtung.
»Für alle reichen Leute?« fragte ich.
»Natürlich. Reiche Leute schlecht. Arme Leute gut.« Er sprach mit vollkommener Überzeugung und ohne den geringsten Anflug von Zynismus und konstatierte damit einen der fundamentalsten Glaubenssätze der Menschheit. Kamel durch ein Nadelöhr und so weiter. Reiche kommen nicht in den Himmel, und das geschieht ihnen recht. Was Randall Drew absolut keine Hoffnung auf ewige Seligkeit ließ, denn er hatte einen ungerechtfertigt großen Anteil irdischer Güter abbekommen ... Ich legte meinen abwegigen Gedanken Zügel an. Genügte es, wenn ich Johnny Farringford warnte, überlegte ich, oder wäre es klüger von ihm, zu Hause zu bleiben.
»Juri«, sagte ich. »Wie wäre es mit noch einem Geschäft?«
»Erklären.«
»Wenn ich hier mehr erfahre, werde ich es gegen das
Versprechen eintauschen, daß Ihr Genosse nicht versuchen wird, Farringford in eine Falle zu locken, wenn er zur Olympiade kommt.«
Er starrte mich an. »Was Sie wollen - unmöglich.«
»Ein schriftliches Versprechen.«
»Unmöglich. Genosse mit mir ... unmöglich.«
»Ja ... tja, es war nur so eine Idee.« Ich überlegte. »Aber wenn ich mehr erfahre, würde ich es gegen Informationen über Aljoscha tauschen.«
Juri betrachtete das Tischtuch, ich betrachtete Juri.
»Ich kann nicht helfen«, sagte er.
Er drückte seine Zigarette aus und sah mir in die Augen. Ich konnte sehen, wie sich die Gedanken hinter seiner Stirn jagten, aber was für Gedanken war nicht zu erraten.
»Ich bringen Sie zu Hotel«, sagte er schließlich.
Er setzte mich dann an der Ecke vor dem Hotel National ab, wo er mich aufgelesen hatte, und gab damit stillschweigend zu verstehen, daß es nicht dafür stand, unnötigerweise die Aufmerksamkeit der Beobachter auf sich zu ziehen.
Zu dieser Zeit wurde es bereits dunkel, denn wir hatten aus verschiedenen Gründen auf unser Mittagessen warten müssen und es in aller Ruhe verzehrt, nicht zuletzt deshalb, weil im Nebenzimmer eine Hochzeitsfeier stattfand. Die Braut hatte ein langes weißes Kleid und einen winzigen Schleier getragen. Ob man hier kirchlich heirate, hatte ich gefragt. Natürlich nicht, hatte Juri geantwortet, das sei verboten. Wie es schien, hatten heidnische Rituale Aufstieg und Fall des Christentums überlebt.
Der feine Schneefall vom Vormittag hatte sich zu einem regelrechten Gestöber verdichtet, war von einem
Schneesturm aber noch weit entfernt. Der Wind hatte sogar abgenommen, aber das galt auch für die Temperatur, und die Kälte hatte etwas bedrohlich Schneidendes. Ich legte die kurze Entfernung zwischen den beiden Hotels in einer Menge dahineilender Passanten zurück, und keine Männer in schwarzen Autos versuchten mich zu entführen.
Ich traf zur gleichen Zeit wie die Wilkinsons und ihre Gruppe, die gerade von ihrer Busfahrt nach Zagorsk zurückkamen, vor dem Portal des Intourist ein.
»Interessant war es schon«, berichtete Mrs. Wilkinson, sich mutig in das plötzlich überfüllte Foyer drängend. »Den Führer konnte ich nicht sehr gut hören, und ich finde es auch nicht richtig, Reisegruppen durch Kirchen zu führen, wo Leute beten. Wußten Sie, daß man sich in russischen Kirchen nicht setzen kann? Es gibt keine Bänke, gar nichts. Alle müssen die ganze Zeit stehen. Meine Füße bringen mich fast um. Auf dem Land liegt eine Menge Schnee. Vater hat fast die ganze Zeit geschlafen, nicht wahr, Vater?« Vater nickte verdrießlich.
Mrs. Wilkinson trug wie die meisten anderen Teilnehmer an der Busfahrt eine weiße Plastiktasche mit einem grünen und orangefarbenen Muster darauf.
»Da war so ein Touristenladen, wissen Sie, wo man mit Devisen zahlt. Ich habe eine ganz süße Matroschka gekauft.«
»Was ist eine Matroschka?« fragte ich, während wir beim Portier auf unsere Zimmerschlüssel warteten.
»Das hier«, erwiderte sie, fischte etwas aus der Plastiktüte und löste das Seidenpapier. »Diese Puppen.« In der Hand hielt sie das genaue Gegenstück der dicken, bunten Holzpuppe, die ich in meiner Tüte hatte.
»Matroschka heißt, glaube ich, Mütterchen«, erklärte sie. »Auf jeden Fall kann man sie auseinandernehmen, und innen ist noch eine kleinere Puppe, und dann immer so weiter, bis zu einer ganz winzigen in der Mitte. Hier sind neun drin. Ich bringe sie meinen Enkeln mit.« Sie strahlte vor schlichter Freude, und ich strahlte zurück. Wenn nur die ganze Welt so harmlos und normal wäre wie die Wilkinsons, dachte ich bedauernd.
Harmlos und normal beschrieb wohl auch den Eindruck, den mein aufgeräumtes Zimmer machte, aber diesmal, als ich die Wände mit dem Recorder abtastete, hörte ich das Pfeifen. Ein hoher, in den Ohren schmerzender Ton, der von einer Stelle etwa anderthalb Meter über dem Boden, etwa in der Mitte über meinem Bett, ausging. Ich stellte das Gerät ab und fragte mich, wer da wohl lauschte.
Die Matroschka, die Jelena mir gegeben hatte, stellte sich bei näherer Betrachtung als älteres Modell heraus, die Farbe auf dem rosigen Gesicht, dem blauen Kleid und der gelben Schürze war zerkratzt.
Sie lasse sich auseinandernehmen, hatte Mrs. Wilkinson gesagt, und sie ließ sich tatsächlich in der Mitte auseinandernehmen, obwohl die beiden Hälften entweder verkantet waren oder Mischa oder Jelena sie zusammengeklebt hatten. Ich zog und zerrte, und das Mütterchen öffnete sich schließlich widerstrebend und verstreute seine dicht gepackten Geheimnisse über das Sofa.
Ich sammelte Mischas Souvenirs aus London auf und legte sie auf der Frisierkommode nebeneinander hin; wertloses Zeug, von einem harmlosen jungen Reiter aufgelesen.
Das größte Stück war das Programm der Military in englischer Sprache, aber Sieger und Ergebnisse waren mit russischen Schriftzeichen eingetragen. Es war zusammengerollt worden, damit es in die Matroschka paßte, und bildete eine langsam sich öffnende Röhre aus aufgebogenen Seiten. Dann waren da zwei unbeschriebene Ansichtskarten von London. Ein brauner Umschlag mit einem vertrockneten Grasbüschel darin. Eine leere Players-Zigarettenschachtel. Ein kleiner Metallaschenbecher mit einem aufgemalten Pferdekopf und dem Stempel Made in England. Eine flache Dose Hustenpastillen. Verschiedene Zettel und kleine Karten, auf denen etwas stand, und schließlich das, was aus dem gestohlenen Kasten des Tierarztes stammte.