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»Ganz genau.« Sie hatte es besser formuliert, als er es hin-bekommen hätte. Er erinnerte sich daran, wie Desjani ihm einmal erzählt hatte, dass man ihr eine Anstellung in der Literaturagentur ihres Onkels angeboten hatte, bevor sie zur Flotte gegangen war. Unwillkürlich fragte er sich, was wohl aus ihr hätte werden können, wäre sie nicht mitten in einem Krieg geboren worden, der zu der Zeit schon seit Jahrzehnten lobte.

Als sich Rione erneut zu Wort meldete, klang sie neugie-rig: »Eines verstehe ich hier nicht. Sie haben gesehen, wie die Syndiks in aller Eile die Kriegsschiffe verließen, die wir bereits passiert haben, aber das schienen Sie in keiner Weise als uneh-renhaft zu empfinden — ganz im Gegensatz zu den Zivilisten, die in diesem Moment von ihren Schiffen fliehen. Wieso?«

Desjani verzog den Mund, drehte sich aber weder zu Rione um, noch gab sie ihr eine Antwort. Schließlich sprang Geary ein. »Weil die Besatzungen der Kriegsschiffe bis zum letzten Augenblick gewartet haben, ehe sie von Bord gingen.«

Co-Präsidentin Rione musterte ihn einen Moment lang, als überlege sie, ob seine Worte ernst gemeint waren. »Obwohl die Evakuierung unvermeidbar war, ist es ehrenhafter, dass sie noch gewartet haben, anstatt ihr Schiff in dem Moment zu verlassen, da bereits klar war, dass sie uns nicht entkommen konnten? Verstehe ich das richtig?«

»Nun… ja.« Geary schaute zu Desjani, aber die schien nicht daran interessiert zu sein, ihm dabei zu helfen, Victoria Rione irgendetwas zu erklären. »Es könnte ja noch etwas Unerwartetes geschehen. Vielleicht ändern wir den Kurs. Vielleicht taucht hinter uns aus dem Sprungpunkt eine schlagkräftige Syndik-Flotte auf, oder aus dem Hypernet-Portal kommt Verstärkung, die uns dazu veranlasst, die Flucht zu ergreifen.

Womöglich gibt es für den Verfolger einen Grund, den Angriff in letzter Sekunde abzubrechen, weil es ihnen gelungen ist, doch noch ein Waffensystem wieder in Gang zu setzen, weshalb sie sich nun wehren können. Alles Mögliche kann passieren, und deshalb wartet man für alle Fälle bis zur letzten Sekunde.«

»Für den Fall, dass ein Wunder geschieht?«, fragte Rione.

»Sozusagen, ja. Denn manchmal geschehen Wunder. Manchmal, wenn man weiterkämpft oder weiter zum Kampfbereit ist, auch wenn es keine Hoffnung mehr zu geben scheint.«

Sie studierte ihn eine Weile, dann senkte sie für einen Moment den Blick. »Ja«, sagte Rione schließlich. »Manchmal geschehen Wunder. Wenn man nicht aufgibt, solange noch ein Funke Hoffnung besteht. Das verstehe ich. Aber wann ist der Punkt erreicht, an dem diese Hoffnung auf ein Wunder sich von inspirierter Motivation zu selbstmörderischem Irrsinn wandelt?«

Wie sollte er darauf antworten? »Das kommt ganz drauf an«, entgegnete er ausweichend.

Co-Präsidentin Rione richtete ihren Blick wieder auf ihn.

»Dann ist es die Aufgabe des Befehlshabers, die Situation einzuschätzen und zu entscheiden, ob es vernünftig oder irrsin-nig ist, weiter auf ein Wunder zu warten?«

Er mochte es nicht, in solchen Begriffen zu denken, musste jedoch nach kurzem Zögern zugeben: »Ja, vermutlich ist das so.«

Riones Lächeln wirkte halb spöttisch. »So wie die Rückkehr nach Lakota, anstatt zu versuchen, sich den Weg durch Ixion freizukämpfen? Ich hoffe, Ihr Urteilsvermögen bleibt auch in Zukunft so ungetrübt, Captain Geary. Sie scheinen einen Riecher dafür zu haben, wo ein Wunder auf Sie wartet.«

Er nickte nur, da er nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Schließlich drehte er sich nach vorn und bemerkte dabei Desjanis leicht verdutzten Gesichtsausdruck. »Was ist los?«

Captain Desjani schüttelte den Kopf. »Nichts, Sir.«

»Von wegen. Gibt es irgendwas, das ich wissen sollte?«

»Nein, Sir«, beteuerte sie, doch dann verzog sie den Mundwinkel und antwortete mit leiser Stimme. »Ich bin nur…

überrascht, dass ich mal einer Meinung mit Co-Präsidentin Rione bin.«

»Sie sind beide verrückt.«

Desjani grinste.

»Aktueller Stand zu den Syndik-Kriegsschiffen in der Verlustflotte«, verkündete der Ops-Wachhabende.

Geary warf einen Blick auf sein Display. Von den vier Schlachtschiffen, an denen umfangreiche Reparaturen notwendig waren, ließ nur eines Anzeichen erkennen, dass die Waffensysteme hochgefahren wurden. Die anderen hatten wohl so schwere Schäden erlitten oder aber die Systeme waren im Zuge der Arbeiten so weit zerlegt worden, dass sie nicht schnell genug aktiviert werden konnten. Von den sieben Schlachtkreuzern in der Formation war nur bei zweien fest-stellbar, dass einige Höllenspeer-Batterien in Betrieb genommen wurden. Den zwölf Schweren Kreuzern erging es nicht viel besser; lediglich fünf ließen Waffenaktivitäten erkennen.

Einer der Schlachtkreuzer, dessen Antriebssystem nicht ganz so sehr in Mitleidenschaft gezogen worden war, beschleunigte qualvoll langsam, um sich von der Stelle zu bewegen.

»Flieht der?«, fragte sich Desjani und ließ die Finger über die Kontrollen sausen, während sie etwas nachprüfte. »Nicht bei diesem Vektor. Er versucht, sich den anderen Schiffen anzuschließen, die sich vor der Flotte formieren.«

Die Syndiks hofften wohl immer noch, dass ein Wunder geschah, das die Allianz-Flotte davon abhalten würde, alles in Stücke zu schießen, was sich in Reichweite ihrer Waffen befand.

Ein Alarm blinkte auf Gearys Display und lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Schirm zurück. »Das automatische Gefechtssystem empfiehlt, die Verlustflotte mit Blöcken zu be-werfen.«

»Kinetische Projektile als Waffen gegen Schiffe? Die sind zwar alle so schwer beschädigt, dass sie kaum noch manövrieren können, aber es sind ja nur minimale Kurskorrekturen notwendig, um Blöcken auszuweichen, die aus so großer Entfernung abgefeuert werden.« Desjani verzog das Gesicht und warf selbst auch einen Blick auf diese Empfehlung. »Wir müssten schon eine Menge Blöcke aus unserem Bestand holen, um ein Muster zu bilden, das gute Chancen auf wenigstens ein paar Treffer hat.«

»Das scheint es mir nicht wert zu sein«, fand Geary. »Hey, was ist mit der Audacious?«

»Das empfohlene Muster würde die Audacious verschonen, sofern die keine Kursänderung vornimmt. Genau das passiert aber, wenn einer der Schlepper sie von ihrem momentanen Kurs abbringt und sie genau in die Flugbahn eines Blocks zieht.« Desjani schüttelte den Kopf. »Und was ist, wenn die Trümmer eines Kriegsschiffs mit dem Reparaturschiff kol-lidieren, das wir gerade plündern wollen? Nur eine KI kann glauben, dass das ein guter Vorschlag ist. Ich würde dem Gefechtssystem sagen, dass es die Möglichkeit ignorieren soll. Wenn Sie ihm Empfehlung zur Kenntnis genommen sagen, wird das System immer wieder diese Empfehlung an-zeigen und Sie mit aktualisierten Warnungen bombardieren.«

»Gute Idee.« Er tippte den entsprechenden Befehl ein und hoffte darauf, dass diese manuelle Eingabe auch tatsächlich berücksichtigt wurde. Immerhin hatten automatisierte Systeme manchmal die Angewohnheit, Befehle einfach zu ignorieren und Meldungen immer wieder anzuzeigen, die sie eigentlich längst hätten vergessen sollen. Wieder so ein Fall, wo ein Schiffssystem für seinen Geschmack eine Spur zu menschlich agierte. »Irgendeine Ahnung, was dieses riesige Loch in der Audacious verursacht haben könnte? Sieht aus, als wäre im Schiff etwas explodiert.«

Desjani warf nur einen flüchtigen Blick auf das Display.

• Das war der Null-Feld-Projektor, der sich selbst zerstört hat.