Nicht zum ersten Mal verspürte Geary eine schuldbewusste Erleichterung darüber, dass Admiral Bloch ums Leben gekommen war, bevor er tatsächlich als dessen Untergebener hatte dienen müssen. »Ich glaube die Antwort bereits zu wissen, trotzdem: Wüssten Sie persönlich einen einzigen guten Grund, warum man das machen sollte?«
Wieder kam ein Schulterzucken. »Vermutlich gibt es irgendwelche Gründe, die dafür sprechen, aber es gibt ganz sicher mehr Gründe, es nicht zu tun. Freiwillig würde ich nie auf die Idee kommen, Sir.«
»Das dachte ich mir bereits. Ich würde es auch nicht wollen.« Er drehte sich weg, hob die Stummschaltung auf und sah Casia ernst, aber unverbindlich an. »Vielen Dank, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben. Ich werde die Marines davon in Kenntnis setzen, dass sie mit einem Flottenoffizier Rücksprache nehmen, bevor sie irgendwelche Maßnahmen ergreifen, die die Sicherheit des Schiffs gefährden könnten, das sie entern werden.«
Wieder vergingen zwanzig Sekunden, dann nahm Casias Gesicht neben dem irritierten Ausdruck auch noch eine deutliche Rötung an. »Es gibt gute Gründe für die aktuelle Vorgehensweise, Captain Geary. Wenn wir nicht die in Kriegszeiten gewonnenen Erfahrungen berücksichtigen, könnte das tödliche Folgen für die Gefangenen haben, die wir eigentlich befreien wollen.«
Spitzer hätte diese Bemerkung nicht ausfallen können, überlegte Geary. In gewisser Weise hatte Casia recht, denn ihm fehlte die langjährige Kriegserfahrung, die alle anderen besaßen. Auf der anderen Seite stimmte es nicht, da Geary bislang nichts Falsches gelernt hatte. Wenn er eines sicher wusste, dann war das die Tatsache, dass es nicht Aufgabe der Senioroffiziere sein konnte, einem Junioroffizier ständig über die Schulter zu schauen, während der versuchte, seine Arbeit zu erledigen. Er selbst hatte als Junioroffizier lange genug einschlägige Erfahrungsammeln können. »Vielen Dank für diese Information, Captain Casia«, erwiderte er schließlich ruhig.
»Ich werde mich umfassend damit beschäftigen und alle Maßnahmen ergreifen, die ich für notwendig halte.« Vielleicht war Erfahrung aus Friedenszeilen nicht mit der aus Kriegszeiten zu vergleichen, aber zumindest hatte Geary gelernt, wie man die Worte »Halt die Klappe« auf eine völlig professionelle und höfliche Art formulierte.
Casias Miene, die keine halbe Minute später erkennbar wurde, ließ keinen Zweifel zu, dass er die Absicht hinter Gearys Worten ganz genau verstanden hatte. »Nach dem Desaster, das diese Flotte bei ihrem letzten Aufenthalt in diesem System erlebt hat, halte ich…«
Geary machte von seiner Autorität als Flottenkommandant Gebrauch und fiel dem Mann ins Wort. Wenn er ihm noch länger zuhörte, würde er noch verrückt werden, und er wollte nicht, dass Wut sein Urteilsvermögen einschränkte. Während er wünschte, er könnte den Captain genauso zum Verstummen bringen wie das Gefechtssystem mit seinem unsinnigen Vorschlag, sprach er energisch: »Wenn Sie noch vor dem Gefecht Ihren Posten verlieren wollen, Captain Casia, dann müssen Sie nur Ihre letzte Bemerkung wiederholen. Sie können aber auch Ruhe geben und weiter Ihre Arbeit erledigen.
Sollten Sie nach dem anstehenden Kampf ein persönliches Gespräch wünschen, um über die Kommandostruktur dieser Flotte und Ihren Platz innerhalb dieser Struktur zu diskutieren, dann lade ich Sie gern dazu ein. Sie können mir glauben, dass die Marines angemessen überwacht werden und dass Ihre Bedenken zu den Akten genommen wurden. Ende der Übertragung«, fügte er überflüssigerweise hinzu und schloss die Verbindung zur Conqueror. Captain Desjani gelang es sehr gut, so zu tun, als sei ihr gar nicht bewusst, dass ihr vorgesetzter Offizier unzufrieden war.
Die Wachhabenden auf der Brücke der Dauntless folgten ihrem Beispiel, wenn auch nicht in jedem Fall ganz so erfolgreich wie sie selbst. Sie konnten zwar nichts von der Unterhaltung mitbekommen haben, die Geary innerhalb des schall-geschützten Felds geführt hatte, das ihm die nötige Privat-sphäre bei Gesprächen mit anderen Schiffen gab, aber jeder Junioroffizier beherrschte schon nach kurzer Zeit die unverzichtbare Kunst, die Laune eines vorgesetzten Offiziers an-hand seiner Mimik und Gesten zu erkennen.
Geary schmorte noch einen Moment lang vor sich hin, dann atmete er tief durch und rief Colonel Carabali, die ihn argwöhnisch betrachtete. »Colonel, ich nehme an, es wäre eine unwillkommene Ablenkung, wenn Befehlshaber der Flotte Ihren Leuten auf Schritt und Tritt folgen, während die die Audacious entern.«
»Das nehmen Sie richtig an, Captain Geary«, bestätigte Carabali.
»Dann darf ich davon ausgehen, dass Ihre Senior- und Junioroffiziere in der Lage sind, die Marines davon abzuhalten, irgendwelche Knöpfe zu drücken und versehentlich die Audacious in die Luft zu jagen.«
»Ja, Sir.«
»Und ich gehe davon aus, dass jeder Marine, der eine Information oder eine Anweisung vom Flottenpersonal benötigt, wie er irgendwas an Bord eroberter Schiffe zu bedienen hat, in der Lage ist, den Mund aufzumachen und zu fragen.«
»Ja, Sir.«
»Mit anderen Worten, ich kann davon ausgehen, dass Ihre Marines über die nötige Erfahrung, Ausbildung und Intelligenz verfügen, um ihre Aufgaben zu erledigen, ohne dabei von Senioroffizieren der Flotte beaufsichtigt zu werden.« Ja Sir.
»Gut.« Qeary fühlte, wie er sich entspannte, während Carabali ihn so argwöhnisch betrachtete, als würde sie damit rechnen, dass er sie mit seinen Fragen in irgendeinen Hinterhalt locken wollte. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir dabei behilflich sein könnten, den Beweis für die von mir genannten Annahmen zu erbringen. Wenn Ihre Marines die Audacious einnehmen können, ohne irgendetwas in die Luft zu jagen und ohne die Atmosphäre ins All entweichen zu lassen, dann kann ich ein handfestes Beispiel dafür vorbringen, dass sie ihre Arbeit problemlos erledigen können, ohne dass ihnen Flottenoffiziere dabei im Nacken sitzen müssen.«
Colonel Carabali nickte. »Natürlich, Sir. Es wird keine Probleme geben.«
»Kommen Sie, Colonel, bei jedem Einsatz gibt es irgendwelche Probleme. Sorgen Sie nur dafür, dass die sich in Grenzen halten.«
Schließlich grinste sie und salutierte. »Jawohl, Sir. Ich werde meine Leute wissen lassen, dass Sie vollstes Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben, und ich werde ihnen noch einmal einimp-fen, sich im Zweifelsfall an Sie zu wenden.«
»Und sie sollen auf keinen Knopf drücken, der ihnen unbekannt ist«, fügte Geary fast reflexartig an.
»Auf jeden Fall, Sir. Da wir ein Schiff entern wollen, auf dem sich vermutlich zahlreiche unserer Leute als Kriegsgefangene befinden, habe ich meine Truppenführer angewiesen, ihre Marines zu äußerster Feuerdisziplin anzuhalten. Sie werden auf niemanden schießen, solange sie nicht absolut sicher sind, dass sie einen Feind vor sich haben.«
»Gute Idee.«
»Außerdem habe ich nur Leute genommen, die sich freiwillig gemeldet haben«, fügte sie an, »da die Gefahr besteht, dass die Syndiks den Schiffsantrieb mit Sprengfällen versehen haben, um ihn hochgehen zu lassen, sobald unsere Eingreiftruppe an Bord ist.«
Bei dem Gedanken musste er unwillkürlich mit den Zähnen knirschen. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich die Bereitschaft Ihrer Leute zu schätzen weiß, sich trotz dieses Risikos zu diesem Einsatz bereit zu erklären, Colonel. Ich habe die Syndiks allerdings gewarnt, so etwas gar nicht zu versuchen, und ihnen auch die entsprechenden Konsequen-zen deutlich gemacht. Mit ihren Rettungskapseln können sie unseren Schiffen nicht entkommen.«
Colone Carabali grinste ihn breit an. »Vielen Dank, Sir.«
»Ich habe zu danken, Colonel. Lassen Sie es mich wissen, wenn es irgendeine bedeutsame Planänderung gibt.« Ihr Bild verschwand, und Geary lehnte sich seufzend zurück.