Ein feindlicher Commander, der nicht so sehr davon überzeugt war, dass die Allianz-Streitkräfte ein wirrer Haufen auf der Flucht waren, der kurz vor der Niederlage stand… ein Commander, der nicht nur auf Ruhm und Karriere bedacht war, die ihm winkten, wenn er die Allianz-Flotte endlich ver-nichtete, und der nicht von der Wut über die erneuten Verluste im Lakota-System geblendet war… ein solcher Commander hätte sich vermutlich die Frage gestellt, warum man die Hilfsschiffe fast ungeschützt sich selbst überlassen hatte.
Doch das hektische Plündern der verlassenen Syndik-Schiffe bis zum letzten Moment vermittelte genau das Bild, das die Syndiks von einer Allianz-Flotte erwarteten, die dringend neue Vorräte benötigte.
So gestaltete sich die gesamte Situation ganz natürlich für jeden Beobachter, der sich nur auf den äußeren Anschein verließ und glaubte, dass die fliehenden Hilfsschiffe hinter der Verlustflotte Zuflucht suchten. Die Schlachtkreuzer der Allianz, die kehrtmachten, um sich in die Schlacht zu stürzen, entsprachen genauso den Erwartungen wie die verspäteten Reaktionen der Schlachtschiffe, die den Hilfsschiffen ebenfalls zu Hilfe zu eilen versuchten. All das passte zweifellos ganz genau zu dem, was der Befehlshaber der Syndiks sehen wollte.
Wenn alles so aussieht, als würde es genau nach Plan verlaufen, hatte Gearys zweiter befehlshabender Offizier oft gesagt, dann musst du nach dem Punkt suchen, den du übersehen hast, bevor der dir zum Verhängnis werden kann.
Der Syndik-CEO, der diesen Ratschlag wohl nie zu hören bekommen hatte, folgte unbeirrt dem direkten Kurs, da er zweifellos bereits den süßen Geschmack des Triumphs auf der Zunge verspürte. Die aufgegebenen Schiffe der Verlustflotte konnten sich nicht von der Stelle rühren und keine Waffen abfeuern, also stellten sie keine Bedrohung für Kriegsschiffe dar, die dank der genau zu berechnenden Kurse dieser Wracks sehr dicht an ihnen vorbeifliegen konnten.
Wäre da nicht Victoria Riones inspirierender Vorschlag gewesen, hätte der Syndik-CFX) mit seiner Annahme durchaus richtig liegen können. Immerhin wurden Minenfelder nach Möglichkeit versteckt und nicht offen vor dem Feind aus-gebreitet. Zudem sollten Minen kleine Objekte sein, die sich gut verbergen ließen, aber sie waren nicht so riesig wie der Antrieb eines Kriegsschiffs.
Aufmerksam verfolgte Geary den Kurs, den die Syndik-Verfolger flogen. Die Kastenformation bewegte sich mit ihrer breiten Seite voran und folgte einem Vektor, der sie mitten durch die abgeflachte Sphäre der Verlustflotte führen würde.
Da die Allianz-Hilfsschiffe einen leicht abwärts führenden Kurs eingeschlagen hatten und die Syndiks von oben kamen, lag die Verlustflotte in einer schrägen Position zwischen ihnen, was den Winkel verringerte, in dem die beiden Seite einander begegnen würden. Die Kastenformation war länger und breiter als die platte Sphäre, aber nicht ganz so tief.
Während die Syndiks weiter auf die Hilfsschiffe zuhielten, nahmen etliche Schiffe innerhalb der Formation kleinere Kurskorrekturen vor, um über und unter den Wracks hin-durchzufliegen.
Die Näherungssensoren, die man aus den Allianz-Minen ausgebaut und auf der Schiffshülle montiert hatte, nachdem deren Parameter an die zerstörerische Wirkung der mit ihnen verbundenen, improvisierten Waffen angepasst worden waren, beobachteten die herannahenden Schiffe und begannen zu berechnen, wann die Sprengladungen detonieren mussten, um jene Ziele zu erwischen, die mit fast einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit an ihnen vorbeijagen würden. Als die Syndik-Formation den richtigen Punkt erreicht hatte, lösten die Zünder eine Überladung der immer noch aktiven Antriebseinheiten in den aufgegebenen Schiffen aus. Das ließ eine Welle der Vernichtung durch die Verlustflotte rasen, die so plötzlich kam, dass die Syndik-Schiffe geradewegs hineinflogen, ohne ausreichend Zeit für ein Ausweichmanöver zu haben.
Eine ganze Region des Alls wurde in gleißendes Licht getaucht, als unzählige Antriebseinheiten fast gleichzeitig explodierten — darunter auch die der Audacious, die dem Feind einen letzten tödlichen Stoß versetzte. Ein dichtes Feld aus rasend schnellen Trümmerteilen, Partikeln und Energie dehnte sich in alle Richtungen aus und erreichte in dem Sekundenbruchteil seine maximale Ausdehnung, als die Syndik-Formation mitten hindurchraste.
Angespannt beobachtete Geary, wie der Kern der Verfolgerflotte in den gewaltigen Explosionen verschwand. Die Ränder der Kastenformation befanden sich in sicherer Position, aber der Kern war nahezu perfekt getroffen worden.
Augenblicke später wurden die Daten auf dem Display aktualisiert, da die Sensoren den aktuellen Status der Syndik-Flotte zu berechnen begann, die aus der sich immer noch ausdehnenden Flammenhölle gejagt kam.
Gedämpfter Jubel machte sich ringsum breit, Captain Desjani schnappte erfreut nach Luft, während Geary selbst einfach nur dasaß und geschockt zur Kenntnis nahm, welche Verluste dem Gegner zugefügt worden waren.
Von den Schiffen der Verlustflotte war nichts mehr übrig, die Explosionen hatten sie restlos zerstört. Auch die meisten Syndik-Jäger, die sich im Detonationsradius aufgehalten hatten, waren praktisch spurlos verschwunden, da sie in so winzige Stücke zerrissen worden waren, dass sie von den Sensoren nicht mehr erfasst wurden. Große Trümmerteile stellten die Überreste von Leichten Kreuzern sowie von Schweren Kreuzern dar, die sich im Zentrum des Infernos befunden hatten. Zwei Schwere Kreuzer am Rand der Flammenwolke waren äußerlich unversehrt geblieben, doch die Schiffssysteme waren komplett ausgefallen, sodass sie hilflos durchs All trudelten. Nur fünf Schwere Kreuzer am Rand der Explosionen hatten überlebt.
Alle Schlachtkreuzer in der Mitte der Formationen waren außer Gefecht gesetzt worden, einige von ihnen waren zerbrochen, andere hatten einen Totalausfall der Systeme erlitten.
Von den dreizehn Schlachtkreuzern, mit denen die Syndiks eben noch hatten Eindruck machen können, waren neun entweder zerstört oder nicht länger einsatzbereit.
Von den einunddreißig Schlachtschiffen waren zwanzig in die Flammenhölle geraten. Acht von ihnen waren noch intakt, aber außer Gefecht gesetzt, weitere neun hatten schwere Schäden davongetragen, die übrigen drei waren beschädigt, aber offenbar noch gefechtstauglich.
»Ich würde sagen, das Kräfteverhältnis hat sich zu unseren Gunsten verschoben«, erklärte Desjani strahlend. In ihren Augen leuchtete Kampflust auf, während sich die gegnerische Streitmacht neu zu formieren begann.
Die Chancen standen gut, dass der Syndik-CEO, der das Kommando über die Flotte hatte, bei der Zerstörung der Verlustflotte entweder ums Leben gekommen war oder zumindest auf einem Schiff festsaß, dessen Systeme ausgefallen waren, sodass er mit niemandem aus seiner Flotte Kontakt aufnehmen konnte. Ohne neue Befehle würden sich die überlebenden Kriegsschiffe an ihre letzten Anweisungen halten und weiter auf die Hilfsschiffe zufliegen. Ihre Formation erinnerte nunmehr an die Umrisse eines Kastens, da das Innere durch die Sprengung der aufgegebenen Schiffe herausgeris-sen worden war und die beschädigten Schiffe immer weiter zurückfielen.
Die Furious und die Implacable, deren aussichtsloser Sturm-lauf nun einer deutlich geschrumpften feindlichen Streitmacht galt, flogen an einer Seite der ausgehöhlten Kastenformation vorbei und konzentrierten ihr Feuer auf das führende Syndik-Schlachtschiff, das im Moment der Begegnung an ihnen vorbeizuckte. Die Eskortschiffe der Allianz-Schlachtkreuzer richteten ihrerseits das Feuer auf die leichteren Einheiten und schossen einige Jäger und zwei Leichte Kreuzer ab.
Als Captain Cresidas Kriegsschiffe davonjagten und zu einer Kurve ansetzten, um erneut die Syndiks unter Beschuss zu nehmen, begann das feindliche Schlachtschiff, das etliche Salven aus Phantomen, Kartätschen und Höllenspeeren hatte einstecken müssen, von seiner Position abzudriften. Die hinteren Antriebseinheiten arbeiteten nach wie vor mit voller Leistung, während die vordere Sektion in Stücke gerissen worden war.