Rings um die Dauntless waren die weit verstreuten Schiffe der Allianz-Flotte mit den dringendsten Reparaturen beschäftigt, während einige Einheiten immer noch dafür sorgten, dass bei den beschädigten, aber nicht zerstörten Syndik-Schiffen der Antrieb überhitzt wurde. Nichts sollte hier für die Syndiks noch vorzufinden sein, was zu bergen sich lohnte.
Shuttles flogen zwischen den Allianz-Schiffen hin und her, um benötigte Ersatzteile abzuliefern. Zerstörer und Leichte Kreuzer zogen ihre Bahnen und sammelten nach und nach alle Rettungskapseln ein, die von den Schiffen während der Schlacht ausgestoßen worden waren.
Geary hatte bereits etwas über eine dieser Kapseln erfahren, in der sich Matrosen befanden, die beim ersten Gefecht im Lakota-System vor vielen Wochen die Indefatigable hatten verlassen müssen. Sie waren von den Syndiks aufgegriffen und zum Wrack der Audacious gebracht worden, aus dem sie dann am heutigen Tag von den Marines befreit worden waren. Anschließend hatte man sie zum Schweren Kreuzer Fascine gebracht, den sie dann gleich wieder verlassen mussten, als der von den Syndiks zerschossen wurde. Schließlich waren sie vom Leichten Kreuzer Tsuba aufgelesen worden. Er fragte sich, ob diese Matrosen das Gefühl hatten, vom Glück oder vom Pech verfolgt zu werden, und ob sie sich über ihre Zukunft Sorgen machten, weil sie jedes Mal auf einem noch kleineren Schiff gelandet waren.
Rione stand auf und seufzte ihrerseits schwer. »Ich muss mich um ein paar Dinge kümmern. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie mich brauchen«, sagte sie zu Geary.
Damit konnte alles Mögliche gemeint sein. Die Zweideutig-keit ihrer Bemerkung ließ ihn grübeln, ob Rione wohl zu dem Schluss gekommen war, ihre private Beziehung Wiederaufleben zu lassen. Dann bemerkte Geary, wie Desjani einen Moment lang die Lippen zusammenpresste, während sie stur auf ihr Display schaute. Offenbar hatte sie die Formulierung auch so gedeutet wie er, was ihr gar nicht zu gefallen schien.
Eine solche Reaktion war ihm bei ihr zuvor nicht aufgefallen, und er fragte sich, ob Desjani sich mehr Sorgen über Riones Einfluss machte, als ihm bislang bewusst gewesen war.
Allerdings konnte er jetzt unmöglich mit ihr darüber reden, also wandte er sich kopfschüttelnd an Rione: »Nein, im Moment brauche ich nichts. Sehen Sie zu, dass Sie sich ein wenig ausruhen.«
»Dazu werde ich wohl keine Gelegenheit bekommen, aber ich kann es zumindest versuchen.«
Nachdem Rione gegangen war, entspannte sich Desjani spürbar. »Sie sollten sich auch etwas Ruhe gönnen, Sir.«
»Im Augenblick gibt es noch genug zu tun«, erwiderte Geary.
»Das können wir auch erledigen. Sie haben unseren Schiffen bereits den Befehl erteilt, die Flottenformation Delta Two einzunehmen, sobald sie ihre momentanen Aufgaben erledigt haben. Das können die auch machen, ohne dass Sie dabei zusehen müssen. Sogar die Orion und die Conqueror können zuverlässig arbeiten, wenn nicht gerade auf sie geschossen wird.«
» Ja, ich glaube, Sie haben recht.« Geary stand auf und wunderte sich darüber, wie wacklig er auf den Beinen stand. »Werden Sie sich auch ausruhen gehen?«
Desjani zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Ich bin der Captain der Dauntless, Sir.«
»Und der Captain eines Kriegsschiffs darf sich niemals ausruhen.« Er zögerte kurz, dann stellte er die Frage, die er eigentlich hatte meiden wollen. »Wie viele Verluste hat die Dauntless erlitten?«
Sie atmete tief durch, dann antwortete sie mit fester Stimme: »Zwölf. Wir hatten noch Glück. Dazu kommen neunzehn Verletzte, davon zwei in kritischem Zustand.«
»Das tut mir leid.« Geary rieb sich die Stirn, bedeutungslose Phrasen von Ehre und Opfer gingen ihm durch den Kopf.
Weitere zwölf Matrosen, die die Allianz niemals wiedersehen würden. Die ihr Zuhause, ihre Familien und andere geliebte Menschen nie wiedersehen würden. Weitere zwölf allein auf diesem leicht beschädigten Schiff. Auf die gesamte Flotte hochgerechnel bot der große Sieg mit einem Mal gar keinen Grund zum Feiern mehr.
Vielleicht empfand Desjani ganz genauso. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, schüttelte sie den Kopf. »Ich schätze, wir stehen alle ein wenig unter Schock, Sir. Morgen werde ich wohl eher zu schätzen wissen, was wir hier vollbracht haben.
Im Moment kann ich einfach nur weitermachen.«
»So wie ich auch.« Er stand da und starrte das Deck an. »Was wollte ich eigentlich?«
»Sie wollten sich ausruhen, Sir«, sagte Desjani.
»Wenn Sie das noch wissen, dann befinden Sie sich in einer besseren Verfassung als ich. Ich bin bald zurück.«
»Jawohl, Sir.«
»Rufen Sie mich in etwa einer Stunde.«
»Jawohl, Sir.«
»Das ist mein Ernst, Captain Desjani.«
»Jawohl, Sir.«
Er verließ die Brücke mit der Gewissheit, dass Desjani ihn trotzdem erst rufen würde, wenn ein absoluter Notfall das erforderlich machte. Um mit ihm darüber zu diskutieren, hatte sie aber keinerlei Lust, das war ihm auch bewusst.
Das Komm in seinem Quartier summte energisch und ließ Geary hochschrecken. Er war in seinem Sessel eingeschlafen und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren, ehe er den Ruf annahm.
»Captain Geary«, meldete sich Desjani. »Es gibt ein Problem am Hypernet-Portal der Syndiks.«
Prompt verkrampfte sich sein Magen. »Verstärkung für die Syndiks?« Seine Flotte war nicht in der Verfassung, sich auf einen Kampf mit einer weiteren großen Streitmacht einzulas-sen. Die Aliens auf der anderen Seite des Syndik-Territoriums hatten eine große Syndik-Streitmacht ins Lakota-System umgeleitet, um sie auf die Allianz-Flotte zu hetzen, was von den Syndiks selbst mit größter Verwunderung zur Kenntnis genommen worden war. Es war den Aliens fast gelungen, die Flotte auszulöschen. Aus einem unerklärlichen Grund war diesen Aliens bekannt gewesen, dass die Allianz-Schiffe nach Lakota unterwegs waren, doch die sofortige Rückkehr ins System nach der Flucht in Richtung Ixion sollte auch für sie unerwartet gekommen sein.
»Nein, Sir.« Seine Erleichterung über diese Antwort schwand gleich wieder, als sie fortfuhr: »Die Syndik-Streitmacht zerstört das Portal.«
In Rekordzeit legte er den Weg zur Brücke zurück, blieb außer Atem neben seinem Kommandosessel stehen und betrachtete die Bilder auf dem Display. Einen Moment lang musste er innehalten, ehe sein Verstand akzeptierte, was seine Augen sahen. Wie Desjani gemeldet hatte, feuerte die Syndik-Wachflotte auf das Hypernet-Portal. »Sie schießen das Portal in Stücke, obwohl wir immer noch Lichtstunden davon entfernt sind.« Seine Fassungslosigkeit musste ihm deutlich anzusehen sein.
Desjani überprüfte ihr eigenes Display und machte eine abfällige Geste. »Der Kommandant dieser Wachflotte muss in Panik geraten sein. Er hat den Befehl zu verhindern, dass wir das Portal benutzen können, also führt er diese Anweisung aus, lange bevor er musste.«
»Aber unsere Flotte ist so weit von dort entfernt, dass die Energieentladung uns gar nicht so viel anhaben dürfte.« Er musterte die Darstellung der Wachflotte. »Seine Schiffe befinden sich dagegen direkt am Portal. Warum sollten die fast sicheren Selbstmord begehen, wenn es nicht unbedingt sein muss?«
Rione ergriff das Wort, und das in einem energischen Tonfall. Er hatte sie nicht auf die Brücke kommen sehen, aber sie musste sich dicht hinter ihm befunden haben. »Offenbar ist dem Syndik-Commander nicht klar, was passieren wird, wenn das Portal zusammenbricht. Man hat ihn nicht darüber informiert. Vielleicht aus einem falsch verstandenen Verschwiegen-heitsverständnis heraus, vielleicht auch nur, weil niemand das für nötig hielt, nachdem unsere Flotte in diesem System bereits vor zwei Wochen scheinbar geschlagen worden war.«