Die Kriegerin, die sich einmal darüber beklagt hatte, dass man Null-Felder nicht gegen feindliche Planeten einsetzen konnte, war auf einmal bereit, Zivilisten zu warnen. »Danke, dass Sie daran gedacht haben«, sagte Geary zu ihr.
»Wir benötigen Uberlebende, Sir. Leute, die anderen Syndiks berichten können, dass es nicht die Allianz-Flotte war, die das Portal zerstört hat.«
Desjani dachte also bloß pragmatisch. Oder aber sie schob ein pragmatisches Argument vor. Er fragte sich, welche von beiden Möglichkeiten wohl zutraf. Sein Blick wanderte zurück zur Anzeige des Lakota-Systems, und er betrachtete die Daten für die bewohnte Welt, für die Kolonien auf anderen Welten und Monden, für die Orbitalanlagen und den zivilen Raum-schiffsverkehr, der noch nicht dort angekommen war, wo sich die Besatzungen in Sicherheit bringen konnten. Er betrachtete die Scharen von Symbolen, die die Rettungskapseln aus den zerstörten Syndik-Kriegsschiffen und die Reparaturschiffe darstellten, die sich zu retten versuchten. Hunderte, vielleicht Tausende von Syndiks waren auf diese Kapseln verteilt, aber Geary wollte nicht einmal eine ungefähre Zahl wissen. Sie alle hatten keine Chance, wenn die Energiewelle sie traf, und es gab nichts, was er für sie hätte tun können. »Ich muss eine Nachricht an das gesamte Sternensystem richten.«
Wie vermittelte man so vielen Menschen, dass der Tod wo-möglich schon auf dem Weg zu ihnen war? Geary versuchte, ruhig zu sprechen, aber er wusste, dass in seiner Stimme ein hoffnungsloser Tonfall mitschwang. »An die Bewohner des Lakota-Systems: Die Kriegsschiffe der Syndikatwelten haben das Feuer auf das Hypernet-Portal eröffnet, um zu verhindern, dass die Allianz-Flotte es benutzen kann. Wenn Sie diese Nachricht empfangen, wird das Portal bereits zusammengebrochen sein. Sobald das geschehen ist, wird eine Energiewelle von vermutlich ungeheurer Energie freigesetzt, die stark genug sein könnte, um alles Leben in diesem Sternensystem auszulöschen. Wenn wir Glück haben, wird der Energieausstoß deutlich niedriger ausfallen. Dennoch könnte er allem menschlichen Leben, allen Schiffen und allen Einrichtungen in diesem System extrem gefährlich werden. Ich rate Ihnen daher, alle erdenklichen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die in der Kürze der Zeit möglich sind.« Er machte eine kurze Pause, dann fügte er bedächtig an: »Ich weiß nicht, wie viele Menschen in diesem System überleben werden. Mögen die Lebenden Sterne über sie wachen, und mögen die Vorfahren jeden willkommen heißen, der am heutigen Tag stirbt. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Hier spricht Captain John Geary, Befehlshaber der Allianz-Flotte.«
Der sich anschließenden Stille setzte Rione ein Ende. »Sie haben bereits mit einem Bombardement durch uns gerechnet und Schutzräume aufgesucht. Vielleicht ist das ja von Nutzen.«
»Ja, vielleicht. Aber die Syndiks in den Rettungskapseln haben nichts davon.« Ein kurzer Blick auf das Display genügte, um die Bestätigung dafür zu bekommen, dass kein Allianz-Schiff mehr nahe genug an irgendeiner der Rettungskapseln war, um sie noch an Bord zu holen. »Wenn die Energieentladung sich nicht gerade nahe null bewegt, haben die nicht die geringste Chance.«
»Dank sei den Lebenden Sternen, dass wir unsere Kapseln bereits geborgen haben«, murmelte Desjani.
»Zwei Minuten bis zum Wendemanöver«, ließ der Steuer-Wachhabende wissen.
Die ersten Flugmanöver, um sich von der Position des Hypernet-Portals zu entfernen, hatten Schiff für Schiff stattgefunden, so wie Gearys Befehl sie erreicht hatte, wobei die am weitesten entfernten Schiffe als Letzte beidrehten. Aber das nächste Manöver beruhte auf dem Zeitpunkt, an dem Geary den ersten Befehl erteilt hatte, und so wendeten alle Schiffe exakt fünfzehn Minuten später, um den Bug so auszurichten, dass er zum Portal zeigte. Das schien immer noch intakt zu sein, zuckte und flatterte aber, da die Syndiks weiterhin eine Trosse nach der anderen wegschossen. Natürlich war das Licht dieser Ereignisse bereits zweieinhalb Stunden alt und zeigte, was in der Vergangenheit geschehen war. Mit dem Heck voran flogen die Allianz-Schiffe mit fast 0,1 Licht weiter, um den Abstand zum Portal zu vergrößern und die Wucht des Einschlags zu verringern. »Vordere Schilde auf maximale Leistung«, meldete der Gefechtswachhabende. »Alle Abteilungen versiegelt, Crew ist auf Schäden gefasst, Reparaturteams in höchster Alarmbereitschaft.«
»Sehr gut.« Desjani ließ den Kopf sinken und schloss die Augen, dann bewegten sich ihre Lippen lautlos.
Ein Gebet war eine gute Idee, überlegte Geary. Er nahm sich auch einen Moment, um stumm ein paar Worte zu sagen und die lebenden Sterne darum zu bitten, diese Flotte und ihre Matrosen und Offiziere zu beschützen, und seine Vorfahren zu bitten, ihnen alle erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen.
»Bereithalten für den frühestmöglichen Zeitpunkt des Einschlags«, warnte ein anderer Wachhabender. »Drei… zwei… eins… jetzt.«
Nichts geschah. Der Augenblick verstrich, ohne dass sich irgendetwas tat. Das Bild des fernen Hypernet-Portals war immer noch zu sehen. Es fluktuierte stärker, da immer mehr Trossen zerschossen wurden, die die Energiematrix bändig-ten. Es war absurd gewesen zu glauben, dass Cresidas frühestmögliche Einschätzung auf die Sekunde genau eintreffen würde, aber es lag nun einmal in der Natur des Menschen, mit dieser Möglichkeit zu rechnen.
Eine weitere Minute verstrich, während der jeder auf der Brücke auf sein Display starrte, als würde dort eine Vorwar-nung zu sehen sein, obwohl doch die Energiewelle sich mit Lichtgeschwindigkeit durch das System bewegen würde, sodass sie erst spürbar wurde, wenn sie sie erreichte.
Geary musterte das Bild des weit entfernten Portals, dessen Fluktuationen selbst auf diese Distanz noch von den Flottensensoren wahrgenommen werden konnten. Niemals würde er vergessen, wie es sich angefühlt hatte, sich in der Nähe eines kollabierenden Portals aufzuhalten, als die Dauntless, die Daring und die Diamond im Sancere-System gekämpft hatten, um das Hypernet-Portal davon abzuhalten, das gesamte System in Asche zu verwandeln, dem es gedient hatte. Der Raum an sich hatte sich innerhalb des Portals verzerrt, da dort so ungeheure Kräfte entfesselt worden waren, die Schilde und Panzerung der Schiffe durchdrangen und sich auf den menschlichen Körper auswirkten. Allein Captain Cresidas theoretischer Plan zur Zerstörung des Portals auf eine Weise, die die Energieentladung auf ein Minimum reduzierte, hatte die drei Allianz-Schiffe, den Rest der Flotte und alle Bewohner des Systems vor dem sicheren Tod bewahrt.
Er überlegte, wie es wohl den Besatzungen dieser Syndik-Schiffe ergangen war. Hatten sie die gleichen ungeheuren Kräfte gespürt und sich gefragt, ob sie diesen Befehl tatsächlich weiter ausführen sollten? War ihnen überhaupt klar gewesen, dass sie nicht nur sich, sondern alles Leben im Lakota-System zum Untergang verdammten? Er würde es niemals erfahren, denn diese Schiffe waren so gut wie sicher schon vor über zwei Stunden zerstört worden, und ihre Besatzungen waren für immer verstummt.
Wieder eine Minute. Zwei Minuten. Geary hörte von verschiedenen Seiten Gemurmel. Die Worte waren unverständlich, aber es war eindeutig ein flehender Tonfall. Die Worte der Gebete ändern sich, aber ihre Bedeutung bleibt immer gleich. Habt Gnade mit uns, denn es gibt nichts, was menschlicher Erfindungsreichtum jetzt noch bewirken könnte.
Dann wurde die Dauntless von der Schockwelle getroffen.
Geary musste gegen seine Angst ankämpfen, als das Schiff durchgeschüttelt und die Beleuchtung schwächer wurde. Sein Verstand sagte ihm, dass ihm gar keine Zeit mehr geblieben wäre, Angst zu empfinden, wenn die Energiewelle stark genug gewesen wäre, um die Dauntless zu zerstören.