Die würden weiterhin alles unternehmen, um uns zu vernichten, wenn wir uns noch länger hier aufhalten.«
Rione seufzte. »Dann können wir also gar nichts tun?«
»Wir werden in jedem Syndik-System, das wir noch durchqueren, die Nachricht aussenden, dass hier dringend Hilfe benötigt wird.« Wieder zeigte er auf das Display. »Außerdem haben einige ihrer Handelsschiffe überlebt, weil sie sich im Schutz der anderen Planeten aufgehalten haben. Diese Schiffe können ebenfalls Hilfe holen.«
»Ja, die werden jedem erzählen, was sich hier zugetragen hat.« Rione sah Geary bei diesen Worten in die Augen, woraufhin er ein weiteres Mal nickte.
Es ging nicht länger darum, das zerstörerische Potential eines kollabierenden Hypernet-Portals zu verheimlichen, sondern darum, mit den Folgen dieses Wissens umzugehen, das sich so schnell ausbreiten würde, wie die Leute es weitersagen konnten.
Desjani meldete sich wieder zu Wort. »Die Syndik-Führer.«
Sie sah Geary eindringlich an. »Nach Sancere werden einige von ihnen ganz sicher eine Vermutung gehabt haben, was die Zerstörung des Portals für dieses System bedeuten würde.
Trotzdem haben sie den Befehl gegeben und offenbar niemanden darüber informiert, welche Folgen dieser Befehl haben kann. Wenn die Energieentladung stark genug gewesen wäre, dann wäre alles Leben in diesem System ausgelöscht worden, und niemand hätte berichten können, was sich tatsächlich zugetragen hat.« Ihr Blick kehrte zum Bild der verwüsteten Welt zurück. »Das hat nichts mehr mit dem Krieg zu tun. Das ist eine ungeheure Grausamkeit, die eine Regierung an ihrem eigenen Volk begeht, nur um diese Flotte zu vernichten.«
Er konnte nichts ergänzen, und so blieb nichts anderes zu tun, als zustimmend zu nicken.
»Auf dieser Welt könnten sich Allianz-Gefangene befunden haben«, redete Desjani energisch weiter. »Einige Gefangene könnten in den vierzehn Tagen nach unserem ersten Aufenthalt auf den Planeten gebracht worden sein.«
Geary betrachtete das Bild auf seinem Display, dann zwang er sich zu einer Antwort: »Wenn sie auf der Seite waren, die von der Schockwelle getroffen wurde, dann gibt es für sie ohnehin keine Rettung mehr.«
»Und wenn sie sich auf der anderen Seite befinden?« Sic drehte sich zu ihren Wachhabenden um und brüllte ihre Befehle raus: »Ich will, dass die Planetenoberfläche in ihrem Zustand vor der Schockwelle Stück für Stück analysiert wird.
Halten Sie Ausschau nach jeglichen Hinweisen auf Gefange-nenlager und nach Anzeichen, die auf Einrichtungen hinweisen, in denen Allianz-Personal festgehalten werden könnte!«
»Captain, die Analyse des Planeten vor dem Eintreffen der Schockwelle hat keinerlei Hinweis darauf ergeben, dass…«
»Dann analysieren Sie eben alles noch einmal! Wenn auf dieser Welt auch nur ein einziger Allianz-Floh zu finden ist, dann will ich das wissen!«
Desjanis Stimme hallte auf der Brücke wider, auf der Stille Einzug gehalten hatte. Dann bestätigten die Wachhabenden hastig den Befehl und machten sich an die Arbeit. Während sich Desjani in ihren Sessel sinken ließ und finster auf ihr Display starrte, beobachtete Rione sie mit ernster Miene, machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Brücke. Geary zögerte, erkannte Desjanis Frust und Verbitterung über das, was sich in diesem Sternensystem abgespielt hatte, dann verließ er ebenfalls die Brücke. Manchmal benötigten sogar die engsten Freunde Freiraum anstelle von Nähe.
Geary schlenderte eine Weile durch die Gänge der Dauntless und fühlte sich deprimiert und rastlos. Er hatte gerade das Tief überwunden, das nach jeder Schlacht eintrat, wenn man sah, zu welchem Preis man einen Sieg errungen hatte, und dann war er mit den Bildern einer verwüsteten Welt konfrontiert worden.
Die Crewmitglieder, denen er unterwegs begegnete, waren ebenfalls betrübt, gleichzeitig waren sie aber auch wie be-rauscht, dass sie gesiegt und überlebt hatten. Mit der Zeit würde ihnen das ganze Ausmaß des Sieges bewusst werden, dann würde Erleichterung folgen. Doch für den Augenblick waren die meisten einfach nur froh, dass sie noch lebten und immer noch eine Chance bestand, nach Hause zurückzukehren. Sie schienen Geary noch ehrfürchtiger als bisher zu betrachten, was ihm jedoch schnell zu viel wurde, sodass er sich an den einzigen Ort zurückzog, an dem er vor dieser gren-zenlosen Bewunderung sicher war.
Als er sein Quartier erreichte und sich darauf freute, eine Weile allein sein zu können, wartete Rione bereits auf ihn. Ihr Blick war auf das Sternendisplay gerichtet, und sie machte einen distanzierten Eindruck. »Mein Beileid zu den Verlusten der Flotte«, sagte sie leise.
»Danke.« Geary setzte sich und sah ebenfalls auf das Display. Er wollte im Moment einfach niemanden um sich haben, und er wollte auch nicht über die jüngsten Verluste seiner Flotte reden. Nicht, wenn die Erinnerung an die durch den Kollaps des Hypernet-Portals angerichteten Zerstörungen noch so frisch war.
»Soweit ich das beurteilen kann«, fuhr sie fort, »ist Captain Faresa auf der Majestic gestorben.«
»Niemand hat das Schiff lebend verlassen«, gab er knapp zurück.
»Und Captain Kerestes starb auf der Warrior zusammen mit Commander Suram.«
Diese Worte versetzten ihm einen Stich. Kerestes war auf eine aggressive Weise passiv gewesen, etwas, das Geary bis dahin für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten hatte. Er hatte solche Angst davor gehabt, einen Fehler zu machen, dass er alles daran gesetzt hatte, möglichst überhaupt nichts zu tun.
Im Gegensatz zu ihm war Commander Suram in seiner kurzen Zeit als Captain der Warrior eine Inspiration für seine entmu-tigte Besatzung gewesen, und er hatte zu kämpfen verstanden.
»Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit er die Anerkennung bekommt, die er als befehlshabender Offizier der Warrior verdient. Captain Kerestes hatte damit nichts zu tun.« Einen Moment lang überlegte Geary, ob Kerestes wohl lange genug überlebt hatte, um zu denen zu gehören, die noch versucht hatten, das Schiff zu verlassen. Es war aber auch möglich, dass er in seinem Quartier gestorben war, als die Höllenspeere der Syndiks das Schiff durchbohrten. Es passte zu einem Mann, der seine Karriere dem Bemühen verschrie-ben hatte, jede Initiative zu vermeiden, die ihn womöglich schlecht dastehen ließ, dass er durch den Beschuss eines Feindes starb, dem es völlig egal war, ob Captain Kerestes' Dienst-akte frei von jeglichen Fehlentscheidungen war.
»Und Captain Falco?«, fragte Rione.
Fast wäre er zusammengezuckt, als er an den geisteskran-ken Captain Falco denken musste, der sein Quartier nicht einmal hatte verlassen dürfen, als die Warrior ihren letzten Kampf austrug. Bislang hatte er nicht herausgefunden, wie Falco seine letzten Augenblicke erlebt hatte, und er wusste auch nicht, ob irgendjemand dazu etwas sagen konnte. »Ich habe gehasst, was dieser Mann getan hat, aber niemand hat es verdient, so zu sterben.«
»Wahrscheinlich war er völlig in seine Wahnvorstellungen eingetaucht«, überlegte Rione. »Bestimmt dachte er, dass er das Geschehen bestimmt und bis zum heldenhaften Ende kämpft, ohne zu ahnen, wie wenig er sein Schicksal in Wahrheit in der Hand hatte.«
»Machst du dich über ihn lustig?«, gab Geary zurück, ohne sie anzusehen.
»Keineswegs. Aber manchmal frage ich mich, wie sehr sich Falcos Wahnvorstellungen von dem unterscheiden würden, was du und ich tun.« Sie hielt kurz inne. »Faresa, Kerestes und Falco sind in der Schlacht gefallen. Wenigstens bleibt dir damit erspart, sie vor ein Kriegsgericht zu stellen, wenn wir heimkehren.«
Daraufhin ging sein Temperament mit ihm durch. »Verdammt, Victoria. Wenn du versuchst, einen Silberstreif am Horizont zu finden, dann bist du so auf dem falschen Weg! Ich wollte nicht, dass diese beiden Schiffe sterben, nur damit den dreien Gerechtigkeit widerfährt! Verdammt, ich weiß ja nicht mal, was für Falco eine gerechte Bestrafung wäre!«