Geary nickte und kniff nachdenklich die Augen zusammen.
»Was glaubst du, was sie unternehmen werden?«
»Ich weiß nicht. Ich versuche, es herauszufinden. Sie könnten versuchen, an deinem Ruf zu kratzen, indem sie dir irgendwelche Skandale anhängen. Aber das reicht nicht, um dich aus dem Kommandosessel zu vertreiben. Jetzt jedenfalls nicht mehr. Casia beispielsweise, der von den anderen vorge-schoben wurde, um dich schlecht zu machen, hat jede Glaubwürdigkeit verloren; nicht nur durch deinen Sieg, sondern auch durch sein eigenes Handeln. Du solltest davon ausgehen, dass deine wahren Kontrahenten letztlich ins Rampen-licht treten müssen. Denn sie müssen zuschlagen, und ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit.«
»Du stellst das so hin, als könnten sie versuchen, ein Attentat auf mich zu verüben.«
»Das ist denkbar. Zum Glück bist du auf diesem Schiff von loyalen Leuten umgeben, allen voran von deinem Captain.
Desjani würde mit Freuden ihr Leben geben, um Blackjack zu retten.« Ihr entging seine verärgerte Reaktion nicht. »Versuch nicht, es abzustreiten. Sei einfach dankbar. Sie und ich, wir haben unsere unterschiedlichen Ansichten, aber im Augenblick sind wir beide ausschließlich darauf bedacht, dass dir nichts zustößt.«
Von allen seltsamen Dingen, die ihm seit seinem Erwachen aus dem künstlichen Schlaf in der Rettungskapsel widerfahren waren, empfand er die Vorstellung am seltsamsten, dass Victoria Rione und Tanya Desjani links und rechts von ihm standen und als seine Leibwächter agierten. »Ich muss eine Konferenz mit den Schiffskommandanten einberufen. Wirst du teilnehmen?«
»Diesmal nicht«, antwortete Rione. »Ich werde mir das Ganze aus der Ferne ansehen, allein schon weil ich wissen will, was die Leute sagen, wenn ich mal nicht mit am Tisch sitze.«
Geary sah sie argwöhnisch an. »Die Flottenkonferenzen finden unter absoluter Geheimhaltung statt. Niemand, der nicht dabei ist, kann die Ereignisse beobachten.«
»Oh, dann habe ich dir wohl soeben eine weitere Illusion zerstört. Alles, was ein Mensch verschlüsselt, kann von einem anderen Menschen wieder entschlüsselt werden, John Geary.«
Sie ging zur Tür. »Ich werde zusehen. Was wirst du übrigens mit Captain Casia und Commander Yin machen?«
»Das überlege ich immer noch«, antwortete er wahrheitsgemäß.
»Du musst nicht Black Jack sein, um sie standrechtlich erschießen zu lassen, wie du weißt. Sogar Admiral Bloch hätte einen solchen Befehl geben können.«
»Ich weiß. Aber ich weiß nicht, was ich mit ihnen machen soll. Findest du, sie gehören hingerichtet?«
»Ja, und zwar so bald wie möglich«, erklärte Rione todernst und verließ sein Quartier.
Sechs
Gelassen betrat Geary den Konferenzraum. Auch wenn es in Wahrheit ein Abteil von durchschnittlicher Größe mit einem unauffälligen Tisch war, erzeugte die Konferenzsoftware die Illusion eines riesigen Raums, der Platz genug bot für die befehlshabenden Offiziere eines jeden Schiffs in der Flotte.
Virtuell wurde der Tisch so sehr in die Länge gestreckt, dass sie alle dort untergebracht werden konnten.
Auch wenn sich Hunderte von Offizieren versammelt hatten, war Captain Desjani die einzige andere reale Person, die sich außer ihm dort aufhielt. Die übrigen Personen waren allesamt Hologramme, wodurch es den Männern und Frauen möglich war, an der Besprechung teilzunehmen, ohne dafür ihr Schiff verlassen zu müssen. Von den sekundenlangen Verzögerungen abgesehen, die bei jenen Offizieren auftraten, deren Schiffe am weitesten von der Dauntless entfernt waren, verhielten sich die holographischen Bilder so, als wären alle diese Leute tatsächlich anwesend.
Diese Konferenzen hatte er noch nie gemocht, und das, was er heute zu erledigen hatte, steigerte seinen Widerwillen nur noch mehr. Er beschloss, mit etwas Erfreulicherem zu beginnen, und nickte den versammelten Offizieren zu. »Ich möchte dieses Treffen beginnen, indem ich den Offizieren und Matrosen dieser Flotte meinen Glückwunsch zu einem großen Sieg ausspreche. Wir haben nicht nur die Verluste vergelten können, die wir bei unserem letzten Aufenthalt im Lakota-System erlitten hatten, sondern wir haben in den Schlachten von Kaliban bis hier die Bilanz ausgeglichen, in der sich all die Schiffe finden, die diese Flotte seit der Ankunft im Heimatsystem der Syndiks verloren hatte. Sie haben jedes Recht, auf diese Leistung stolz zu sein, die vom Mut und Kampfgeist eines jeden Angehörigen dieser Flotte geprägt war.«
Fast alle lächelten zufrieden, dabei entging Geary nicht, dass Captain Casia nachdenklich in die Ferne starrte und Commander Yin intensiv die Tischplatte betrachtete.
»Bedauerlicherweise«, fuhr er fort, »kann nichtjeder in dieser Flotte an diesem Lob teilhaben. Bei unserem letzten Gefecht haben sich zwei Schiffe vor dem Kampf gedrückt. Oder besser gesagt: Ihre befehlshabenden Offiziere haben sich vor dem Kampf gedrückt.« Die Atmosphäre im Raum war plötzlich zum Zerreißen gespannt, die Stille war so absolut, dass das leiseste Geräusch ohrenbetäubend laut gewesen wäre.
Captain Casias Gesicht war rot angelaufen, Commander Yin war kreidebleich. Niemand sah die beiden an, sie hatten erkennbar jeglichen Rückhalt in der Flotte verspielt.
Geary wandte sich Casia zu. »Captain Casia, Ihnen wird hiermit das Kommando über die Conqueror entzogen. Ihr momentaner XO wird bis auf Weiteres Ihren Platz einnehmen. Commander Yin, Sie werden Ihres Postens als befehlshabender Offizier der Orion enthoben. Der Ops-Offizier der Orion wird Ihren Platz übernehmen. Sie beide werden auf die Illustrious versetzt, wo Ihnen ein Posten zugeteilt wird, den Captain Badaya für angemessen hält.« Er hatte lange überlegt, was er mit Casia und Yin machen sollte, die sich in den abge-laufenen Konferenzen so offen gegen ihn gestellt hatten. Die Lösung, die beide auf das Schiff zu versetzen, das von Badaya befehligt wurde, der Geary aus den falschen Gründen unterstützte, besaß eine gewisse Einfachheit.
Commander Yin öffnete ihren Mund, aber es kam kein Ton heraus. Captain Casia dagegen stand auf und protestierte lautstark. »Sie können einem Senioroffizier nicht ohne guten Grund das Kommando entziehen!«
Irgendwie gelang es Geary, einen ruhigen Tonfall zu bewahren. »Ihr Schiff ist dem Gefecht aus dem Weg gegangen. Sie hatten den ausdrücklichen Befehl, die Hilfsschiffe dieser Flotte zu beschützen, stattdessen haben Sie sich in eine Entfernung zu den Hilfsschiffen begeben, die es Ihnen unmöglich machte, diese Schiffe zu verteidigen. Von dort aus haben Sie lediglich auf die feindlichen Schiffe geschossen, die Ihrem eigenen Schiff zu nahe kamen und eine Gefahr darstellten. Sie haben sich geweigert, sich auf ein Gefecht mit dem Feind einzu-lassen, obwohl Pflicht und Ehre das von Ihnen verlangt haben.«
»Wollen Sie mir Feigheit vor dem Feind vorwerfen?« Casia brüllte ihn fast an.
»Ja.«
Das eine Wort hallte von allen Seiten wider. In einer Flotte, die so sehr von Ehre besessen war wie diese, war es nahezu undenkbar, einen solchen Vorwurf offen auszusprechen.
Captain Tulev setzte der Stille ein Ende, die sich Gearys Antwort angeschlossen hatte. »So unerfreulich das auch ist, sehe ich mich gezwungen zu erklären, dass die Aufzeichnungen des Gefechts Captain Gearys Vorwurf untermauern.«
»Wenn dem so ist«, warf Captain Armus ein und beugte sich vor, »und ich stimme mit Captain Tulev überein, dass es tatsächlich so ist, dann ist der Entzug des Kommandos für Captain Casia und Commander Yin nicht annähernd die Strafe, die für ein solches Vergehen angemessen ist.«
»Erschießt die Feiglinge«, murmelte irgendwer.
Unruhe kam auf, da jeder etwas dazwischenrief und viele sich dem Vorschlag anschlossen, während andere protestier-ten. Geary tippte auf die Taste, die alle verstummen ließ — seiner Meinung nach eine der besten Optionen dieser Software -, und wartete ab, bis sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden wieder auf ihn richtete. »Mir ist bekannt, dass die Flottenvorschriften mir das Recht geben, den Tod durch Erschießen für jeden zu erteilen, der unzweifelhaft Feigheit vor dem Feind an den Tag legt.« Er sah wieder Casia an und wunderte sich, dass der seinem Blick standhielt, auch wenn ihm seine Angst deutlich anzusehen war. Widerstrebender Respekt regte sich in ihm, weil der Mann nicht zusammengebrochen war.