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»Die Flottenvorschriften verlangen ein Erschießungskommando«, warf Captain Kila von der Inspire ein. Wie kam es, dass sie jetzt zum ersten Mal auf die Idee kam, sich bei einer Konferenz zu Wort zu melden?

Aus welchem Grund auch immer, Tatsache war, dass sie ihn soeben herausgefordert hatte und ihn dazu zu zwingen versuchte, eine Maßnahme zu ergreifen, die er nicht ergreifen wollte. Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht richtig.«

Kila wirkte nicht feindselig, sondern verwirrt. »Die fragliche Vorschrift ist eindeutig und lässt keine Ausnahmen zu.«

Andere am Tisch nickten bestätigend, und Commander Yin schien jeden Moment ohnmächtig zu werden.

Abermals reagierte er mit einem Kopfschütteln. »Bestimmt ist jeder Flottenoffizier immer noch mit der Flottenvorschrift 32 vertraut, oder?« In jeder Situation wird von einem Flottenkommandanten erwartet, ein eigenständiges Urteil zu fällen und die notwendigen und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, ohne an den Wortlaut anderer Vorschriften gebun-den zu sein, sofern er damit nicht gegen Allianz-Gesetze oder gegen den Eid des Flottenkommandanten verstößt, die Allianz gegen jeden Feind zu verteidigen, ob er von außen oder aus den eigenen Reihen kommt.‹«

»Aber war es die Absicht dieser Vorschrift, auch in solchen Fällen angewendet zu werden?«, fragte Captain Armus.

»Ich kann Ihnen versichern, das war die Absicht.« Geary ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. »Diese Vorschrift trat vor rund einhundertzehn Jahren in Kraft. Damals war ich ein Lieutenant, und ich wohnte den Besprechungen der Offiziere bei, die diese Vorschrift entwickelten.«

Captain Kila wollte wieder zum Reden ansetzen, überlegte es sich dann aber anders.

Zu Gearys Verwunderung meldete sich Cresida zu Wort.

»Sir, ich akzeptiere, dass Sie das Recht haben, in diesem Fall von den Vorschriften abzuweichen, aber ich verstehe nicht den Grund dafür. Warum gehen Sie so gnädig mit Offizieren um, die zum Verlust anderer Schiffe beigetragen haben?

Wenn sie der Warrior und der Majestic geholfen hätten, würden beide Schiffe vielleicht heute noch unter uns sein, ganz zu schweigen von den Kreuzern und Zerstörern, die bei der Verteidigung der Hilfsschiffe zerstört wurden.«

Diese Frage war völlig berechtigt. »Lassen Sie es mich so formulieren, Captain Cresida: Ich habe von einer Exekution der beiden Offiziere abgesehen, weil ich nicht gnädig gestimmt war.«

Erstaunen machte sich breit, und auch Cresida reagierte mit Ratlosigkeit. »Sie waren nicht gnädig gestimmt?«

»Nein.« Er sah Casia und Yin an. »Diese beiden Offiziere in die Arme ihrer Vorfahren zu schicken, würde bedeuten, dass ihr Leiden in dieser Welt ein Ende nimmt. Solange sie leben, werden sie immer wieder Offizieren und Matrosen begegnen, die ganz genau wissen, was sie getan haben. Solange sie leben, werden sie mit Leuten konfrontiert, die wissen, dass sie sich für die Feigheit entschieden haben.«

Langes Schweigen schloss sich an, nach einer Weile fragte Tulev: »Sind Sie sich sicher, Captain Geary, dass die beiden den Zorn und die Verachtung so deutlich spüren werden wie Sie und ich? Werden sie nicht vielmehr dankbar sein, dass ihr Leben zweimal verschont wurde — einmal durch ihre eigene Faulheit, zum anderen durch das Versagen der Todesstrafe?«

Auch wieder eine berechtigte Frage. Geary sah zu Casia, der ihm einen zornigen Blick zuwarf, und zu Yin, die zitterte und jeden Blickkontakt vermied. »Sehen die beiden in Ihren Augen dankbar aus?«

Armus musterte die zwei Offiziere. »Ich schlage vor, wir gewähren ihnen das Recht, sich zu äußern, Captain Geary.

Ich würde gern hören, was sie möchten.«

»Das ist eine angemessene Bitte, Captain Armus, und mit Blick auf Ihre Leistungen fällt es mir nichtschwer, sie Ihnen zu gewähren.« Armus war Geary mehr als einmal unangenehm aufgefallen, aber in der Schlacht hatte er gut und ehrbar gekämpft. Jetzt reagierte Armus mit praktisch unverhohlener Befriedigung, während Geary sich Casia zuwandte. »Also? Was halten Sie für eine angemessene Bestrafung?«

Casia schaute sich um, straffte die Schultern und drehte sich wieder zu Geary um. »Ich bestehe darauf, einem Flottenoffizier angemessen zu sterben. Sie nennen mich einen Feigling, und ich sehe, dass viele meiner Kameraden diese Ansicht teilen. Ich werde Sie alle widerlegen, wenn ich vor dem Erschießungskommando stehe.«

Noch eine Überraschung. Geary studierte die Mienen der anderen Offiziere, die dem Ansinnen zustimmten. Sie wollten es so.

Er sah einen Moment lang vor sich auf den Tisch und fragte sich, warum es ihm so schwerfiel, eine Entscheidung zu treffen, die den Vorschriften entsprach, die die Ehre verlangte und die nach Meinung aller Offiziere die einzig richtige war. Er hatte diese Flotte etliche Male ins Gefecht geführt und dabei den möglichen Tod seiner Leute in Kauf genommen. Allein in der letzten Schlacht waren an Bord der Dauntless zwölf Matrosen ums Leben gekommen. Und er hatte den Befehl zum Kampf gegeben. Trotzdem war das hier etwas völlig anderes, weil er vorsätzlich den Befehl gab, einen Offizier zu töten.

Geary hob den Kopf und sah Casias flehenden Blick. Lassen Sie mich ehrenvoll sterben.

»Also gut«, sagte er schließlich bedächtig. »Ich komme Ihrer Bitte nach, Captain Casia. Ich werde eine Hinrichtung durch ein Erschießungskommando genehmigen.«

Casia verzog den Mund zu einem erschreckenden Lächeln.

»Hier in Lakota. Ich möchte, dass es geschieht, bevor die Flotte Lakota verlässt.«

»Wie Sie wollen«, stimmte Geary ihm zu. »Colonel Carabali, fragen Sie Ihre Marines, wer sich von ihnen freiwillig für das Erschießungskommando meldet.« Er atmete tief durch und sah zu Commander Yin. »Commander, möchten Sie auch etwas sagen?«

Er hatte das Gefühl, sie müsse jeden Moment zusammenbrechen, doch dann sprang sie auf und rief: »Ich habe nur meine Befehle befolgt!«

Verblüfftes Schweigen schloss sich an, dann erwiderte Geary: »Aber nicht meine Befehle.«

»Sie besitzen keinerlei Kompetenz, diese Flotte zu befehligen!«, konterte Yin und schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Sie sind bloß ein Aushängeschild für diejenigen, die Sie benutzen, um gegen die Allianz zu arbeiten! Die wollen Sie nach Hause bringen und all Ihre Siege als Vorwand benutzen, um Sie zum Diktator zu machen! Sie und Ihre… Ihre Gefahrtin!«

Seit der letzten Attacke gegen Co-Präsidentin Rione war schon eine Weile vergangen, daher wunderte sich Geary nicht, dass Yin sie jetzt wieder mit hineinzog. Doch dann wurde ihm bewusst, dass alle Konferenzteilnehmer entweder Captain Desjani ansahen oder sie ganz bewusst nicht ansahen. Desjani wiederum starrte Yin an. Wären Desjanis Augen Höllenspeere gewesen, dann wäre von Commander Yin nur ein Häufchen Asche geblieben.

Die Gerüchte, dass er etwas mit Desjani hatte, waren demzu-folge noch immer nicht verstummt. Aber es war auch nicht möglich, jetzt und hier auf eine angemessene Weise darauf einzugehen. Stattdessen konzentrierte er sich auf Yins eigentlichen Vorwurf. Die ganze Zeit über war er davon ausgegangen, dass seine Widersacher in der Flotte in erster Linie aus persönlichem Ehrgeiz, Antipathie oder Misstrauen gegen ihn arbeiteten. Doch wenn er Yins Worten Glauben schenken konnte, trieb zumindest einige von ihnen die Angst an, Geary oder seine Anhänger könnten versuchen, die Regierung der Allianz zu stürzen. Seine Feinde widersetzten sich ihm womöglich aus Gründen, die er respektieren konnte.