»Genau.«
Ihr musste aufgefallen sein, wie wenig Begeisterung in seinem Tonfall lag, und offenbar war ihr auch klar, was der Cirund dafür war. »Es ist auch immer noch Ihr Zuhause, Sir.«
»Ist es das wirklich?« Wieder verstummte er, aber Desjani wartete darauf, dass er weiterredete, als ob sie wüsste, dass er noch mehr zu sagen hatte. »Wie viel hat sich in hundert Jahren verändert? Die Menschen, die ich kannte, sind alle tot. Ich werde ihren Kindern begegnen, die selbst schon alte Leute sind, ihren erwachsenen Enkeln und Urenkeln. Die Gebäude, die ich noch als neu erlebt habe, sind jetzt längst alt. So alt, dass man sie vielleicht schon abgerissen und etwas Neues an ihrer Stelle errichtet hat. Auf diesem Schiff kann ich noch so tun, als ob nur wenig Zeit vergangen ist, aber zurück in der Allianz werde ich an jeder Ecke daran erinnert werden, dass mein Zuhause tot und vergessen ist.«
Desjani seufzte. »Es wird Ihnen nicht an Freunden man-geln.«
»Doch, das wird es. Aber es wird mir nicht an Leuten man-geln, die Black Jack Geary aus der Nähe erleben wollen«, antwortete er mit der ganzen Verbitterung, die er verspürte. »An mir werden sie nicht interessiert sein, nur an dem großen Helden, für den sie mich halten. Wie soll ich mich dem entziehen? Und wie soll ich jemanden kennenlernen, wenn mich das ständig verfolgt?«
»Das wird nicht leicht werden«, räumte sie ein. »Aber die Leute werden Sie als Mensch kennenlernen, so wie es die Angehörigen in dieser Flotte auch erlebt haben. Sie werden sehen, wer Sie neben dem Helden noch sind. Ja, ich sehe Ihre Reaktion, wenn ich das sage, aber es tut mir leid-Sie sind nun einmal ein Held. Ohne Sie wären wir alle längst tot oder in einem Arbeitslager der Syndiks gelandet. Diese Tatsache müssen Sie akzeptieren.«
»Mir kann immer noch ein schwerer Fehler unterlaufen, der uns allen den Tod oder das Arbeitslager bringt«, hielt Geary dagegen. »Hören Sie, ich wünschte, Sie würden mich nicht als Held bezeichnen.«
»Die Flotte weiß…«
»Nicht die Flotte, sondern Sie.«
Sekundenlang schwieg sie, dann nickte sie. »Sie müssen dieser Sache von Zeit zu Zeit entkommen, das kann ich verstehen. Aber ich glaube, wenn wir zu Hause sind, werden Sie glücklich sein. Sie werden Leute kennenlernen, und die Leute werden Sie kennenlernen. So wie einige Leute Sie bereits ken-nengelernt haben.«
»Aber das sind Leute, die ich dann verlassen werden muss.«
Darauf erwiderte sie nichts, und als sich Geary zu ihr umdrehte, sah er, dass Desjani zu Boden schaute. Ihr Gesicht war wie erstarrt, um ja keine Gefühlsregung erkennen zu lassen.
Zum ersten Mal wurde ihm klar, dass er sie auch verlassen müsste… dass er sie nicht jeden Tag sehen würde. Es war, als hätte ihm jemand eine Faust in den Magen gerammt. Er überlegte, welche Miene er wohl in diesem Moment machte, als er zu dieser Erkenntnis gelangt war. »Tanya…«
»Nein, bitte nicht. Das macht es nur noch schwerer.«
Er war sich nicht sicher, was sie damit meinte, aber auf eine ganz eigene Art wusste er, sie hatte recht. »Okay.«
»Sie werden immer noch Co-Präsidentin Rione haben.«
»Nein. Sie habe ich jetzt nicht. Nicht in dieser Weise.« Er zuckte mit den Schultern und hoffte, nicht kaltherzig zu klingen. »Wir haben uns gegenseitig benutzt. Ich brauche jemanden, der mir mit Skepsis begegnet und der jeden Zweifel offen ausspricht. Und sie braucht… ich weiß gar nicht so genau, was sie braucht.«
Mit sehr leiser Stimme erwiderte Desjani: »Wie es scheint, geben Sie ihr, was sie braucht.«
Nur mit Mühe konnte sich Geary davon abhalten zusammen-zuzucken. Desjani hatte recht, völlig recht. Warum hatte er Sex mit einer Frau, wenn er nicht mal im Ansatz eine Ahnung hatte, was er für sie empfand? »In letzter Zeit nicht. Aber vielleicht sollte das sowieso ganz aufhören.«
»Wenn die Flotte es braucht…«
»Das ist eine bequeme Rechtfertigung für mich, nicht wahr? Genau die Art von Machtmissbrauch, die ich ständig zu vermeiden versuche.«
Sie lächelte schwach. »Ja.«
»Es ist nicht so, als würden Rione und ich uns so gut verstehen. Erst recht nicht dann…« Er unterbrach sich gerade noch, bevor ihm »wenn sie auf Sie eifersüchtig ist« rausrut-schen konnte.
Doch Desjani schien sich noch weiter von ihm entfernt zu haben, ganz, als hätte sie das Unausgesprochene dennoch gehört. »Ich habe ihr dafür keinen Anlass gegeben«, sagte sie spröde. »Und Sie auch nicht.«
»Sie scheint das aber zu glauben«, kommentierte er sie frustriert. »So wie auch der größte Teil der übrigen Flotte. Was sollen wir machen, Tanya?«
Sie wusste, er bezog sich diesmal nicht auf die Syndiks oder die Flotte. Desjani starrte in eine Ecke des Raums, schließlich entgegnete sie ruhig und gefasst: »Wir können gar nichts machen, Sir.«
»Nein, Sie haben recht.« Das sorgfältig betonte »Sir« sollte ihn daran erinnern, in welchen Positionen sie beide sich befanden. Sie war seine Untergebene, er war der Befehlshaber, und daran ließ sich nichts ändern. Er senkte den Blick und versuchte, sich Klarheit über seine Gefühle zu verschaffen. Er wünschte, Desjani wäre in das alles gar nicht erst hineingezogen worden. »Tut mir leid.«
»Danke«, erwiderte. »Mir tut es auch leid.«
Erst als sie gegangen war, kam er auf die Idee zu überlegen, was ihr eigentlich leidtat. Er war sich selbst nicht so ganz sicher, dass er seine Worte so gemeint hatte, wie er es glaubte.
»Captain Geary, hier spricht Captain Desjani. Die Zählung der befreiten Gefangenen auf der Audacious war durch das nachfolgende Gefecht und durch den Verlust einiger Schiffe durcheinandergeraten, die an der Bergung beteiligt gewesen waren. Aber jetzt steht eine vorläufige Liste zur Verfügung, die momentan durchgearbeitet wird. Man hofft, eine endgültige, bestätigte Liste vorlegen zu können, kurz bevor wir den Sprungpunkt nach Branwyn erreichen.«
Diese Nachricht erfüllte ihn mit einer gewissen Zufrieden-heit, da sie ihm vor Augen hielt, dass es ihm gelungen war, wenigstens einige Allianz-Matrosen zu retten, die beim ersten Aufenthalt im Lakota-Systemin Gefangenschaft geraten waren.
Er tippte auf die Komm-Einheit in seinem Quartier. »Vielen Dank, Captain Desjani. Aber das hätten Sie nicht für mich erledigen müssen, schließlich sind Sie nicht mein Stabschef.«
Nicht, dass jemand anderes sein Stabschef gewesen wäre. Der von Admiral Bloch war zusammen mit den anderen Unterhändlern im Heimatsystem der Syndiks ums Leben gekommen, und Geary hatte danach keinen Offizier von einem seiner Schiffe abziehen wollen, um diese Aufgabe zu übernehmen, solange sie alle ohnehin chronisch unterbesetzt waren. Außerdem versorgten ihn die automatischen Systeme mit fast allen Informationen, ohne dafür einen Stabschef zu benötigen.
»Ich bin Ihnen gern behilflich, Sir.«
Lächelnd unterbrach Geary die Verbindung, drehte sich um und sah Victoria Rione an, die ihm einen finsteren Blick zuwarf. Sie war in seine Kabine gekommen, um mit ihm über die Flottenkonferenz zu reden, die sie trotz Abwesenheit mitverfolgt hatte. Sie waren von Desjani in ihrer Unterhaltung gestört worden. »Was ist?«, fragte er. »Das waren gute Neuig-keiten.«
»Ja«, stimmte sie ihm in frostigem Tonfall zu. »Und voller Eifer von deiner fröhlichen, kleinen Helferin überbracht.«
Er spürte, wie ihre Eiseskälte die Wut in ihm brodeln ließ.
»Meinst du damit Captain Desjani?«
»Wen denn sonst? Jeder in der Flotte weiß, was sie für dich empfindet. Du musst mir das nicht noch unter die Nase reiben.«
»Das sind Gerüchte, und das weißt du ganz genau! Ich habe noch nie erlebt, dass sie in dieser Richtung irgendwelche Andeutungen macht, und ich verhalte mich ihr gegenüber ganz sicher auch nicht so«, wandte er ein. »Niemand, dem ich in den Gängen der Dauntless begegne, sieht mich mit Ge-ringschätzung an. Wenn die Crew dieses Schiffs denken würde, Captain Desjani und ich könnten nur daran denken, dann…«