»Die Crew würde gar nichts machen«, fiel Rione ihm aufgebracht ins Wort. »Selbst wenn ihr zwei es auf der Brücke triebet, würden die Wachhabenden diskret wegsehen und sich insgeheim für ihre respektierte Befehlshaberin und den legendären Helden freuen, weil die beiden das Glück gefunden haben. Wie kann dir so etwas nicht klar sein?«
»Das ist doch albern. Die Leute wissen, dass wir beide zusammen sind.«
»Man sieht uns vielleicht von Zeit zu Zeit zusammen, aber jeder kann erkennen, dass wir emotional noch immer genauso weit voneinander entfernt sind wie an dem Tag, an dem du aus dem Tiefschlaf aufgetaut wurdest.«
Er wollte widersprechen, überlegte es sich jedoch anders.
Rione hatte völlig recht. Selbst wenn er mit ihr schlief, waren sie im Geiste doch nicht eins. Lust und Liebe waren zwei unterschiedliche Dinge, und er wusste, was davon sein Verlangen nach Victoria Rione weckte. Er konnte nicht so tun, als ob es anders wäre. »Nach außen sind wir beide immer noch zusammen. Würde ich dich wegen Desjani verlassen, dann…«
»Dann würden sie dich beglückwünschen. Ich bin Zivilistin und zudem eine Politikerin. Sie vertrauen mir nicht, sie halten mich nicht für eine von ihnen, und das bin ich auch nicht.«
»Das heißt doch nicht…«
»Doch, das heißt es! Wenn die Flotte morgen darüber ab-stimmen müsste, dann würden die Offiziere und Matrosen vermutlich sogar einmütig dafür stimmen, mich in eine Rettungskapsel zu setzen und mich in Richtung des nächsten Syndik-Arbeitslagers zu schießen, damit sie in dein Quartier ein-ziehen kann, um für die nächste Zeit das Bett für dich warm zu halten. Wen kümmern schon die Flottenvorschriften? Sie weiß das! Was glaubst du, warum sie sich so unbehaglich fühlt, wenn das Thema zur Sprache kommt?«
»Es ist ihr gutes Recht, sich unbehaglich zu fühlen!«, gab Geary hitzig zurück. »Sie hat absolut nichts getan, was den Eindruck rechtfertigt, dass sie diese Absichten hegen könnte.«
Rione sah ihn eindringlich an. »Natürlich hat sie nichts getan! Das hast du auch nicht.«
»Was denn? Willst du mir jetzt auch noch Gefühle für sie unterstellen?«
»Oh, ich unterstelle gar nichts. Ich stelle nur fest! Es ist nicht zu übersehen, dass du lieber mit ihr zusammen bist als mit mir oder mit irgendwem sonst. Und sie erwidert diese Ge-fühle, wie du weißt.«
»Ich weiß überhaupt nichts«, fuhr Geary sie an. »Wir müssen zusammenarbeiten! Sie besitzt einen guten militärischen Verstand und gute Instinkte, und aus dem Grund möchte ich ihre Meinung hören. Wieso um alles in der Welt bist du überhaupt eifersüchtig auf Desjani?«
»Weil du sie besser leiden kannst als mich, du Idiot! Wäre da nicht eure Ehre im Weg, die — wie ich unumwunden zugebe — makellos ist, und wärt ihr beide nicht so ungeheuer pflicht-bewusst, dann könntet ihr nicht die Finger voneinander lassen. Und dann würde Desjani die gleichen Glücksgefühle empfinden, die sie sonst nur hat, wenn sie ein Syndik-Kriegsschiff zerstört. Und wenn dir das alles nicht bewusst ist, dann bist du noch oberflächlicher, als ich von einem Mann erwartet hätte!« Rione sah ihn wütend an, schien noch etwas anfügen zu wollen, fuchtelte dann aber nur frustriert mit den Händen und stürmte aus seinem Quartier.
Die offensichtlichste Erwiderung ging ihm erst durch den Kopf, als sich die Luke bereits hinter ihr geschlossen hatte.
Vielleicht kann ich sie besser leiden, weil sie mich anders als du nicht so oft anbrüllt! Es war nutzlos, diesen Satz in den Raum zu stellen, wenn sie schon weg war. Er würde auch nicht hinter ihr her laufen, um es ihr zu sagen, und abgesehen davon war es vermutlich gar keine so kluge Bemerkung, was ihm sicher auch bewusst würde, sobald er sich wieder beruhigt hatte.
Zudem wusste er, dass eine absolut ehrliche Antwort anders aussähe. Ich mag Desjani, weil sie mich versteht. Auch wenn sie mich für einen großen Helden hält, der in wichtiger Mission unterwegs ist, scheint sie zu wissen, wer ich wirklich bin. Und weil wir so gut zusammenarbeiten, als ob wir instinktiv wüssten, was der andere braucht.
Wir mögen die gleichen Dinge, wir können miteinander reden. In ihrer Gegenwart kann ich mich auf eine Weise entspannen, wie es mir bei niemandem sonst gelingt. Das machte Desjani zu einem hervorra-genden Captain für sein Flaggschiff, zu einer angenehmen Gesprächspartnerin, mit der er sich gut unterhalten konnte, zu einer Frau, mit der er…
Verdammt!
Rione hat recht.
Eine Weile saß er da und versuchte zu überlegen, was er tun sollte. In gewisser Weise hatten sie ja schon darüber geredet.
Sie konnten nicht, und sie würden auch nichts tun, was für einen Befehlshaber und seinen untergebenen Offizier nicht angemessen war. Das bedeutete aber nicht, dass sie deshalb nicht weiter eng zusammenarbeiten könnten, denn gerade die jüngsten Ereignisse hatten gezeigt, wie wichtig ihr Beistand besonders in kritischen Situationen für ihn war. Allerdings musste er aufpassen, dass es nicht darüber hinausging, dass er sie nicht in einer Weise unter Druck setzte, die nichts mit ihrer Arbeit als Offizier dieser Flotte zu tun hatte. Sie hatte ihn nicht aufgefordert, etwas für sie zu empfinden, und er hatte kein Recht, das auch nur anzusprechen.
Dass Rione ihm vorgeworfen hatte, Desjani empfinde auch etwas für ihn, zählte nicht. Er konnte nicht davon ausgehen, dass das stimmte, und erst recht konnte er nicht so handeln, als ob es stimmte. Es wäre für alle Beteiligten besser, wenn diese Behauptungen nicht zutrafen.
Schließlich kam ihm in den Sinn, was diesen jüngsten Streit mit Rione ausgelöst hatte, und er rief die vorläufige Liste der Allianz-Angehörigen auf, die man von der Audacious gerettet hatte. Die Liste war erfreulicherweise sehr lang, dennoch wollte Geary sie nicht mit einer Aufstellung all jener Offiziere und Matrosen vergleichen, die sie in diesem Sternensystem verloren hatten. Und genausowenig wollte er im Moment länger darüber nachdenken, dass diese befreiten Gefangenen die Lücken würden schließen müssen, die die Schlacht auf den überlebenden Schiffen gerissen hatte. Die meisten ehemaligen Gefangenen waren Unteroffiziere, dazwischen fänden sich einige Junioroffiziere, und nur ein einziger Offizier war aufgeführt, der oberhalb des Dienstgrads eines Lieutenants ran-gierte. Gearys Blick ruhte sekundenlang auf dem Namen von Commander Savos, dann stellte er fest, dass der Mann derzeit auf dem Schlachtkreuzer Implacable untergebracht war, und rief das Schiff. »Wenn Commander Savos dazu in der Lage ist, würde ich gern mit ihm reden.«
Zehn Minuten später meldete die Implacable, dass Savos bereit war, um mit ihm zu reden. Geary stand auf, zog seine Uniform zurecht, dann forderte er die Implacable' auf, die Verbindung herzustellen.
Das Bild des vormaligen Befehlshabers des Leichten Kreuzers Spur, der beim ersten Aufenthalt der Allianz-Flotte im Lakota-System zerstört worden war, tauchte vor ihm auf und zeigte einen arg mitgenommenen Mann. Seine Uniform war neu, offenbar von jemandem an Bord der Implacable zur Verfügung gestellt, um die alte zu ersetzen, die er während seiner Gefangenschaft getragen hatte, doch dem Mann selbst war noch deutlich anzusehen, was er in den letzten Wochen durchgemacht hatte. Commander Savos wirkte hager, sein Gesicht trug deutliche Spuren, die den Stress der letzten Zeit erkennen ließen. Eine Seite seines Kopfs war mit einem Flex-Verband bedeckt, sein Auge wies noch die Überreste einer hässlichen Prellung auf. Dennoch versuchte er, in Habacht-haltung vor Geary zu stehen und zu salutieren. Der erwiderte den Salut flüchtig und verspürte ein schlechtes Gewissen, dass er den Mann hatte antreten lassen. Warum hatte ihm auch niemand sagen können, dass Savos' Verfassung so schlecht war? »Rühren Sie sich, Commander, und setzen Sie sich hin.