Zehn Minuten später setzte ein Alarm ein.
»Unfall auf Shuttleflug Omicron Five One«, rief ein Wachhabender.
Geary war noch immer auf sein Display konzentriert, als Desjani erschrocken rief: »Das ist der Vogel mit Casia und Yin an Bord.«
Ein ungutes Gefühl überkam ihn. »Das war der Vogel«, murmelte er, als er sah, was Bild und Text ihm anzeigten — das Shuttle war explodiert.
»Er ist weg?« Desjani tippte auf ihre Kontrollen. »Shuttle-Unfälle sind ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Aber ein solcher Unfall… Unsere Systeme zeigen an, dass die Brennstoffzelle des Shuttles leckgeschlagen sein muss. Was zum Teufel soll denn so etwas verursacht haben?«
»Der Zerstörer Rapier ist der Unfallstelle am nächsten«, meldete der Ablauf-Wachhabende. »Sie bitten um Erlaubnis, das Gebiet nach Überlebenden abzusuchen und Beweismaterial einzusammeln.«
Eigendich hätte Geary längst auf die Idee kommen sollen, ein Schiff hinzuschicken, aber er konnte noch immer nicht so ganz begreifen, was sich da gerade abgespielt hatte. »Sagen Sie der Rapier, sie hat die Erlaubnis.«
Desjani schüttelte vor Wut den Kopf. »Die Überlebenschan-cen sind gleich null, aber vielleicht findet die Rapierya. etwas im Wrack, das eine Erklärung dafür liefert, was an Bord passiert ist.«
Die Rapier war noch auf dem Weg zum Trümmerfeld, da kam Rione auf die Brücke geeilt, beugte sich zu Geary vor und llüsterte ihm ins Ohr: »Ein sehr ungewöhnlicher Unfall, und jetzt sind zwei Offiziere tot, die Namen hätten nennen können.«
Er sah sie verdutzt an. »Sie meinen…?«
»Casia hätte noch eine letzte Aussage machen können, wenn er vor dem Erschießungskommando stand, und Yin wäre bei einem Verhör vermutlich zusammengebrochen und hätte etwas Brauchbares verraten können. Was meinen Sie P«
Er wollte diesen Gedanken eigentlich nicht in Erwägung ziehen, aber dass ausgerechnet das Shuttle mit den beiden Gefangenen an Bord in die Luft ging, machte es schwer, Riones Andeutung zu ignorieren. Jemand hatte seine Bemühungen, gegen Geary vorzugehen, auf eine neue, tödliche Stufe angehoben. Ihm war Riones Warnung vor seinen Widersachern zuvor als völlig überzogen vorgekommen, doch jetzt regten sich erste Zweifel. Wer immer dahintersteckte war bereit, Allianz-Personal kaltblütig zu ermorden, weil er Geary das Kommando über die Flotte streitig machen wollte. Aber wenn stimmte, was Commander Yin während der Konferenz gesagt hatte, dann wollten sie auch verhindern, dass er sich zum Diktator aufschwingen konnte, sobald sie nach Hause zurückgekehrt waren. So wie Rione waren sie bereit, zu diesem Zweck zu töten. Anders als Rione hatten sie jedoch nicht nur mit solchen Maßnahmen gedroht, sondern sie auch ergriffen.
Und anders als sie hatte ihr Attentat nicht Geary, sondern anderen Offizieren der Flotte gegolten.
Was auch bedeutete, dass sie bereit und in der Lage waren, weitere Attentate zu verüben. Die Frage war nur, wann sie wo und wie wieder zuschlagen würden.
Sieben
Seit der Schlacht bei Ilion hatte er Captain Numos nicht mehr gesehen. Der ehemalige Schlachtschiffkommandant erhob sich nicht von seinem Platz, als Gearys Bild in dessen zu einer Zelle umfunktioniertem Quartier erschien, sondern musterte ihn nur mit der gleichen Mischung aus Verachtung und Antipathie, die er von der ersten Begegnung an zur Schau gestellt hatte. »Was wollen Sie?«
Geary hatte nicht vor, sich von Numos provozieren zu lassen, also erklärte er mit einem flüchtigen Kopfschütteln: »Sie haben sicher gehört, dass ein Shuttle explodiert ist und dass vier Marines und zwei Flottenoffiziere tot sind. Meinen Sie, da kümmert es mich, wie Sie sich mir gegenüber verhalten?«
»Wollen Sie mir etwa unterstellen, ich hätte was damit zu tun?«
»Nein.« Die unumwundene Antwort schien Numos zu überraschen. »Ich möchte nur, dass Sie sich über die Bedeutung dieses Zwischenfalls im Klaren sind. Captain Casia und Commander Yin wurden zum Schweigen gebracht, weil sie zu viel wussten. Wenn Sie auch Dinge wissen, die Sie verraten könnten, dann sollten Sie sich vielleicht mal Gedanken darüber machen, was Ihre angeblichen Freunde planen.«
Numos schnaubte verächtlich. »Und stattdessen soll ich Ihnen jetzt vertrauen? Woher soll ich wissen, dass Sie nicht diesen kleinen Unfall arrangiert haben, um zwei Offiziere loszu-werden, die Ihre Autorität infrage gestellt haben?«
»Wenn ich deren Tod gewollt hätte«, stellte Geary klar, »dann wäre es mein gutes Recht gewesen, die beiden vor ein Erschießungskommando zu stellen. Warum sollte ich ein Shuttle zerstören, nur um einen ohnehin zum Tode verurteil-ten Mann aus dem Weg zu räumen?«
»Sie haben schon einige andere aus dem Weg geräumt.
Captain Franco, Captain Faresa, Captain Midea, Captain Kerestes… Habe ich jemanden vergessen?«
Geary setzte sich hin und sah Numos eindringlich an. »So dumm sind Sie nicht. Sie wissen genau, dass all diese Offiziere im Kampf gefallen sind. Und Sie wissen, dass Midea ihren Tod selbst verursacht hat. Ich habe mich gefragt, wie Sie sie wohl im Zaum gehalten haben.«
Numos zuckte mit den Schultern. »Sie hatte Respekt vor einer legitimen Autorität.«
Eine Weile hatte Geary sich gefragt, ob ihm Numos rückbli-ckend vielleicht viel unsympathischer erschien, als es tatsächlich der Fall gewesen war, aber dieser Gedanke wurde damit widerlegt. »Vielleicht sind Sie ja doch so dumm. Ihre Freunde haben kaltblütig Angehörige der Allianz-Flotte ermordet.«
»Sie sagten doch, es war ein Unfall.«
»Um genau zu sein — das habe ich nie gesagt. Sie haben von einem Unfall gesprochen. Schon eigenartig, dass Sie davon so fest überzeugt sind.« Gearys Bemerkung traf ins Schwarze, da Numos' Augen wutentbrannt funkelten. »Ich weiß nicht, ob Sie glauben, dass Sie irgendeine Chance hätten, als Flottenkommandant anerkannt zu werden, wenn ich aus dem Weg geräumt wäre. Die Chance besteht nicht. Aber ich weiß, dass Sie glauben, ich würde mich zum Diktator aufschwingen, sobald wir zurück in der Allianz sind. Das wird jedoch auch nicht passieren.«
»Und das soll ich Ihnen glauben?«
Geary musterte ihn sekundenlang. »Ich finde, Sie sollten etwas mehr Mitgefühl zeigen, immerhin sind zwei Offiziere und vier Marines ums Leben gekommen.« Numos ließ weiterhin keine Regung erkennen. »Wenn sich weitere Zwischenfälle ereignen, werden Sie sich in einer Verhöreinrichtung wiederfinden, Captain Numos. Ich weiß, Sie sind darauf geschult, Ihre Antworten so zu formulieren, dass Sie sogar einen Gehimscan in die Irre führen können. Aber wir verfügen in dieser Flotte über sehr gute Verhörspezialisten. Ich weiß auch, dass ich im Moment einen Flottenkapitän keinem Verhör unterziehen kann, solange es dafür keinen guten Grund gibt, aber ein weiterer Zwischenfall wird für mich ein solcher guter Grund sein.« Numos lief rot an, schwieg aber weiter. »Das sollten Sie Ihren Freunden sagen.«
Dann stand Geary auf, betätigte seine Kontrollen und verschwand aus dem Quartier.
»Ich sagte doch, es ist Zeitvergeudung«, ließ Rione verlau-ten, während sie in ihren Sessel sank. Sie hatte an dem virtuellen Treffen zwar nicht teilgenommen, es aber beobachtet.
»Ich musste es zumindest versuchen«, gab er kopfschüttelnd zurück. »Ich weiß nicht, wie ich mich davon abhalten konnte, Numos erschießen und aus der nächsten Luftschleuse werfen zu lassen.«
»Black Jack hätte damit keine Probleme«, überlegte Rione.