»Warum?« Es war nicht überraschend, dass Captain Tulev vor allen anderen die Empörung über einen solchen Akt überwand und nach den Gründen forschte.
»Wenn ich das nur wüsste! Klar ist: Die wollen nicht, dass wir nach Hause kommen. Ist ihnen daran gelegen, dass die Allianz verliert? Nein, das glaube ich nicht. Wenn sie den Syndiks helfen wollten, uns zu schlagen, dann würden sie ihnen einfach mehr von ihrer Technologie überlassen. Aber soweit wir das nachvollziehen können, haben sie vor etlichen Jahrzehnten den Syndiks und der Allianz etwa zur gleichen Zeit das Wissen über die Hypernet-Technologie überlassen.«
»Wer sind die?«, wollte Desjani wissen. »Was ist uns über sie bekannt?«
Diesmal musste Geary mit den Schultern zucken. »Schatten und wilde wissenschaftliche Spekulationen. Wir finden Hinweise auf ihre Existenz, mutmaßliche Belege dafür, dass sie irgendwo da draußen lauern und in diesen Krieg ein-greifen, aber wir wissen nichts über sie selbst. Wenn sie diese Syndik-Flotte umdirigiert haben, dann heißt das nicht nur, dass sie das Hypernet in einer uns unbekannten Art und Weise kontrollieren können. Es bedeutet auch, dass es ihnen möglich ist, unsere Flotte zu beobachten und zu belauschen, um zu wissen, wohin wir wollen. Und es bedeutet, dass es ihnen möglich sein muss, diese Informationen über inter-stellare Entfernungen in Echtzeit oder in Beinahe-Echtzeit zu übertragen.« Die anderen sahen ihn verdutzt an, als ihnen klar wurde, wozu die Aliens fähig waren, aber keiner war in der Lage, seiner Argumentation etwas entgegenzusetzen.
»Die Syndiks wissen ohne Zweifel mehr über diese Aliens«, fügte Rione an. »Doch dieses Wissen haben sie offenbar gut unter Verschluss gehalten. So gut, dass selbst die meisten Syndik-Bürger davon nichts ahnen. Vermutlich ist nur die aller-höchste Führungsebene der Syndikatwelten eingeweiht, denn in den Unterlagen, die wir sicherstellen konnten, findet sich kein Hinweis auf die Existenz einer anderen Spezies.«
»Ist es eine menschliche Spezies?«, wollte Tulev wissen.
»Ich glaube nicht«, antwortete Geary. »Wenn sie menschlich wären, warum sollten die Syndiks ihre Existenz vor uns verschweigen? Und wie sollte eine weitere Gruppe Menschen existieren, die mächtig genug ist, eine Grenze zu den Syndiks zu wahren, ohne dass wir davon wissen? Sie müssen schließlich von irgendwoher gekommen sein.«
»Nicht menschlich«, murmelte Tulev und schüttelte den Kopf. »Wie denken sie? Sicher nicht so wie wir.«
»Trotzdem werden wir ganz bestimmt hinter ihre Absichten kommen«, beharrte Desjani.
Duellos hatte die Stirn in Falten gelegt. »Als ich noch ganz klein war, brachte mir meine Großmutter ein uraltes Rätsel bei. Das könnte uns helfen zu verstehen, womit wir es hier zu tun haben.«
»Tatsächlich? Was für ein Rätsel?«
Duellos ließ eine dramatische Pause folgen. »Federn oder Blei?«
Geary wartete, doch es folgte weiter nichts. »Das ist alles?«
»Das ist alles. Federn oder Blei?«
»Welches Rätsel besteht daraus, dass man zwischen zwei Dingen wählt?«, wollte Cresida wissen und zuckte schließlich mit den Schultern. »Ich gebe auf. Wie lautet die Lösung?«
»Das kommt ganz darauf an.« Duellos lächelte vergnügt, während sich alle anderen die Haare rauften. »Sie müssen wissen, dass ein Dämon diese Frage stellt und dass er allein entscheidet, wie die richtige Antwort lautet. Um die richtige Antwort zu geben, muss man wissen, welche Antwort der Dämon in dem Moment als richtig ansieht.«
»Woher soll jemand wissen, was ein Dämon denkt?« Kaum hatte Geary ausgesprochen, verstand er auch schon, was Duellos meinte. »Oder ein Alien.«
»Ganz richtig. Wie beantworten wir eine Frage, die uns jermand stellt, von dem wir nicht wissen, was er uns eigentlich fragt oder welche Antwort er erwartet?«
»Und was erwarten die Aliens von uns? Ehre oder Lügen?«, warf Cresida ein, woraufhin sich alle zu ihr umdrehten. »Na ja, mit wem hatten die Aliens bislang zu tun? Mit den Syndiks.«
Rione nickte. »Deren Anführer bislang jede Vereinbarung mit uns gebrochen haben, sogar solche Vereinbarungen, deren Einhaltung für die Syndikatwelten langfristig von Interesse gewesen wäre.«
»Die Syndik-Führer denken nicht langfristig«, betonte Duellos. »Der schnelle Vorteil ist das Einzige, worauf sie aus sind.«
Geary schüttelte den Kopf. »Wären sie aber auch dumm genug, diese Taktiken bei einer fremden Spezies anzuwenden, die den Menschen technologisch so eindeutig überlegen ist?«
Die Antwort darauf war von den Gesichtern der anderen deutlich abzulesen. »Ja, vielleicht doch.« Immerhin hatten eben diese Führer auch wiederholt Absprachen mit dieser Flotte gebrochen, obwohl sie wissen mussten, dass die als Vergel-tungsakt ganze Welten hätte auslöschen können.
»Die überlegene Technologie dürfte für sie eine Verlockung gewesen sein, der sie nicht widerstehen konnten«, stellte Rione mit bitterer Miene fest. »Sie werden versucht haben, mit allen erdenklichen Mitteln in den Besitz dieser Technologie zu gelangen, womit bei den Aliens der Eindruck entstanden sein muss, dass man den Menschen nicht vertrauen darf. Alles, was die Aliens getan haben, könnten sie als Versuch gedeutet haben, die Menschheit auszulöschen.«
»Aber wenn die Syndiks mit den Aliens verhandelt haben«, wandte Cresida ein, »und wenn sie damit keinen Erfolg hatten — immerhin haben sie bis jetzt keine Technologie zum Einsatz gebracht, die unserer überlegen ist -, warum wenden sie sich dann uns zu und zetteln einen Krieg mit uns an?«
»Vielleicht, weil sie sich umzingelt fühlten«, überlegte Duellos. »Die Allianz auf der einen, die Aliens auf der anderen Seite. Sie müssen gefürchtet haben, dass sie zwischen die Fron-ten geraten und überrannt werden, sobald wir von der Existenz der Fremden erfahren.«
»Nur wieso beginnen sie dann einen Krieg?«, beharrte Cresida. »Warum tun sie etwas, das ihren schlimmsten Albtraum Wirklichkeit werden lässt?«
Kopfschüttelnd meinte Geary: »Zu Friedenszeiten flogen Schiffe der Allianz durch das Gebiet der Syndikatwelten. Hin und wieder war auch ein Kriegsschiff in diplomatischer Mission unterwegs, in den meisten Fällen handelte es sich aber um Frachter. Auch Bürger der Allianz waren in den Syndikatwelten unterwegs, die einen geschäftlich, die anderen zum Vergnügen. Jeder von ihnen hätte Hinweise auf die Existenz dieser Aliens entdecken können. Die Aliens hätten sie auch unmittelbar kontaktieren können.«
»Das mag so sein, Sir, aber einen Krieg zu beginnen, nur um zu verhindern, dass hin und wieder Schiffe der Allianz ihr Territorium durchfliegen, erscheint mir eine stark überzogene Reaktion. Es ist ja nicht so, als hätten die Syndiks der Allianz zu irgendeiner Zeit die Erlaubnis erteilt, in Scharen in das von ihnen kontrollierte Gebiet einzureisen. Sie hätten den Verkehr unter jedem beliebigen Vorwand weiter einschränken und schließlich ganz einstellen können, und die Allianz wäre nicht in der Lage gewesen, etwas dagegen zu unternehmen. Außerdem: Woher sollten sie wissen, dass sie nicht von den Aliens angegriffen werden, während sie gegen uns Krieg führen?«
Duellos zuckte mit den Schultern. »Vielleicht dachten die Syndik-Führer, sie könnten uns schnell besiegen.«
»Das ist unsinnig!«, wandte Cresida ein. »Nicht mal die Syndik-Führung könnte so dumm sein, daran zu glauben!«
»Sie dachte vielleicht, die Allianz bricht nach den ersten Schlägen zusammen«, warf Desjani ein. »Sie dachten, wir hätten nicht den nötigen Kampfgeist, um uns von den ersten Verlusten zu erholen und zurückzuschlagen.«
»Das wissen wir nicht«, hielt Rione mit einem leicht abfälligen, aber nicht zu überhörenden Unterton dagegen. »Genau das war schließlich das Argument, das benutzt wurde, um die Allianz nach den ersten Angriffen zu mobilisieren. Darum beging die Allianz die größten Heldentaten aller Zeit, nur um den Beweis zu erbringen, dass die Syndiks sich geirrt hatten.«