Geary dachte gründlich über seine Erwiderung nach. Dieser Mann wollte und musste überzeugt werden, wenn er seinen eigenen Leuten klar machen sollte, dass sie ihm vertrauen konnten. »Sagen Sie Ihren Leuten, dass Captain John Geary diese Flotte befehligt und dass er im Auftrag seiner Vorfahren handelt, die er niemals entehren würde, indem er den Hilflosen Schaden zufügt oder sein Wort bricht. Ich wiederhole, dass ich Ihnen mein Ehrenwort gebe, dass Ihnen nichts geschehen wird, solange keiner von Ihnen versucht, einem meiner Schiffe Schaden zuzufügen. Jeder Angehörige meiner Flotte, der einen Ihrer Leute angreift, wird nach dem Kriegs-recht für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen. Ich hätte Ihnen Lügen auftischen können, was den Krieg oder die Mission dieser Flotte angeht, aber das habe ich nicht getan. Ihre Leute haben militärisch nicht den geringsten Wert. Aber es sind Menschen, und wir lassen keine Menschen sterben, wenn wir sie retten können. Bitte geben Sie uns schnellstmöglich die angeforderten Informationen durch.«
Der nächste halbe Tag verlief so völlig normal, dass es Geary fast schon surreal vorkam. Er autorisierte die Freigabe der Information über die neuesten Würmer, auch wenn es Be-fürchtungen gab, es könnten sich einzelne Offiziere auf die Seite der Saboteure schlagen, weil sie gegen seine Entscheidung waren, den Syndiks zu helfen. Doch stattdessen sorgte die Meldung von der versuchten Kaperung der Gefechtssysteme für einen erneuten Sturm der Entrüstung in der Flotte.
Die Menschen hatten sich nie so ganz ihres Misstrauens gegenüber automatisierten Waffensystemen entledigen können, und somit war allein schon der Gedanke, mit schädlicher Software ein Waffensystem zum eigenständigen Handeln ver-anlassen zu wollen, für die meisten ein Unding.
Shuttles flogen zwischen den Kriegsschiffen hin und her, um sie mit Brennstoffzellen und neuer Munition, mit. Ersatz-teilen und allem anderen zu versorgen, was die Hilfsschiffe seit dem Abflug aus Lakota produziert hatten. Zufrieden nahm Geary zur Kenntnis, dass der durchschnittliche Bestand an Brennstoffzellen auf 65 Prozent anstieg. Das war zwar kein großartiger Schnitt, aber immer noch deutlich besser als der Zustand, der noch kurz zuvor geherrscht hatte. Commander Savos wechselte als neuer Befehlshaber auf die Orion, wobei er nur zu gut wusste, welchen Widrigkeiten er sich dort ausgesetzt sehen würde. Aber vielleicht gelang es ihm ja, auf der Orion einen Stimmungswandel auszulösen, so wie es Commander Suram an Bord der Warrior geschafft hatte.
Die nächste Meldung von den Syndiks traf erst ein, als die Allianz-Flotte weniger als eine Lichtstunde von Wendig I entfernt war, den sie bei der momentanen Geschwindigkeit in gut zehn Stunden erreichen würde. »Wir werden Ihnen vertrauen, weil uns keine andere Wahl bleibt. Einige unserer Leute sind mit den wenigen noch funktionierenden Schutzanzügen nach draußen gegangen, um die Landefläche vom Sand zu befreien. Wir werden alle bereitstehen, wenn Ihre Shuttles eintreffen.«
Desjani lauschte resigniert dieser Mitteilung, Riones Miene verriet nichts darüber, was sie dachte. Alle anderen auf der Brücke schienen sich nur zu wundern, warum Geary das machte. In gewisser Weise hatte das etwas Deprimierendes an sich. Aber wenigstens gab es von keiner Seite mehr Widerspruch, und das ließ ihn zumindest hoffen.
Als die Flotte sich ihrem Ziel näherte, starteten die Shuttles in Richtung Wendig, während die Allianz-Kriegsschiffe Brems-manöver einleiteten, damit die Shuttles genug Zeit hatten, um zu landen, die Menschen an Bord zu nehmen und sich auf den Rückweg zu machen. Von der Brücke der Dauntless aus verfolgte Geary das Geschehen mit. An Bord einesjeden Shuttles befand sich eine Einheit Marines in voller Gefechtsmontur, worüber Geary gar nicht begeistert war, weil es bedeutete, dass weniger Passagiere Platz fänden und mehr Shuttles losge-schickt werden mussten. Allerdings hatte Colonel Carabali darauf bestanden, und ihm war klar gewesen, wie recht sie mit ihrer Ansicht hatte.
»Alle Vögel gelandet«, meldete der Wachhabende.
Auf seinem Display wurde Geary eine Draufsicht der gelan-deten Shuttles angezeigt, aus denen die Marines ausschwärmten, um ihre Wachpositionen einzunehmen und die Passagiere zu durchleuchten. Evakuierungsschläuche wurden mit der Luftschleuse an der Stadt der Zivilisten verbunden. Geary schaltete kurz auf den Video-Feed eines der Marines um. Die Randbezirke der Syndik-Stadt wirkten wie vor sehr langer Zeit aufgegeben, an den Hauswänden hatten sich Wehen aus Sand und giftigem Schnee gesammelt. Die leblose Landschaft war mit nicht mehr zu gebrauchenden Überresten von Ausrüs-tungsgegenständen übersät. Die kalte, verlassene Siedlung ließ Geary unwillkürlich frösteln. »Könnten Sie sich vorstellen, an einem solchen Ort festzusitzen?«, fragte er Desjani.
Sie betrachtete das Bild, sagte aber nichts dazu.
»Ladevorgangabgeschlossen«, meldete Colonel Carabali. Es war eine Lande-Expedition und damit eine Operation der Marines, und davon hatte sich Carabali auch nicht abbringen lassen. »Evakuierungsschläuche werden in die Shuttles zurückgeholt. Shuttles starten in schätzungsweise null drei Minuten.«
»Irgendwelche Probleme, Colonel?«, erkundigte sich Geary.
»Noch nicht, Sir.« Bei über fünfhundert Syndiks hielt Carabali es offenbar nur für eine Frage der Zeit, bis sich die ersten Schwierigkeiten ergaben.
»Vögel planmäßig in der Luft«, meldete der Ops-Wachhabende. »Rendezvous mit den Kriegsschiffen in fünfundzwanzig Minuten.«
Desjani tippte auf ihre Kontrollen. »Colonel Carabali, be-stätigen Sie bitte, dass die Syndiks auf Waffen und gefährliche Stoffe abgesucht worden sind.«
Als Carabali darauf reagierte, klang sie ein wenig beleidigt darüber, dass ein Flottenoffizier einen Marine fragte, ob der seine Arbeit gemacht hatte. »Vollständige Scans. Die Leute sind sauber. Sie haben ohnehin nicht viel bei sich.«
Zusammen mit Desjani begab sich Geary zum Shuttlehangar, um die Syndik-Zivilisten zu empfangen, die an Bord der Dauntless gebracht wurden. Von Marines in Gefechtsmontur begleitet, die ihre Waffen im Anschlag hielten, verließen die Syndiks das Shuttle. Einige versuchten, eine tapfere Miene zu machen, aber letztlich wirkten sie doch alle verängstigt. Insgesamt waren es einundfünfzig Personen, deren Kleidung ein heilloses Durcheinander aus verschiedenen Stilen, Materialien und Farben war, die aus alten Beständen stammen mussten, da ihre Sachen irgendwann so sehr verschlissen worden waren, dass sie sie nicht mehr tragen konnten. Alle waren recht hager; zweifellos eine Folge immer kleiner werdender Rationen, da die Lebensmittelvorräte in den letzten Jahren kontinuierlich geschrumpft waren.
Sie gaben sich Mühe, nicht das Schiffsinnere oder das Alli-anzpersonal auf dem Hangardeck anzustarren. Mit einem Mal wurde Geary bewusst, dass diese Leute noch nie in ihrem Leben irgendwelchen Fremden begegnet waren und noch nie einen unbekannten Ort besucht hatten. Obwohl sie durch Zeit und Raum weit von den Ursprüngen der Menschheit entfernt waren, ließen sich diese Syndiks mit den uralten Bewoh-nern einer kleinen Insel vergleichen, die zum ersten Mal ein Schiff zu sehen bekamen. Und dann waren diese Schiffe auch noch Kriegsschiffe ihrer Erzfeinde!