Desjani stand stocksteif neben ihm, während sie mit reglo-ser Miene beobachtete, wie diese Fremden an Bord ihres Schiffs kamen.
Als Geary den Mann wiedererkannte, mit dem er über die Videoverbindung gesprochen hatte, ging er auf ihn zu. »Willkommen an Bord des Flaggschiffs dieser Allianz-Flotte. Wir müssen Sie alle bewachen, außerdem ist ein Kriegsschiff nicht dafür ausgelegt, viele Passagiere an Bord zu nehmen, weshalb Ihre Quartiere recht beengt ausfallen werden.«
Der Mann nickte. »Ich bin der Bürgermeister von… nun, ich war einmal der Bürgermeister von Alpha. Wir haben keinen Anlass, uns über die Bedingungen zu beklagen. Es ist warm, wir können atmen. Ehrlich gesagt wussten wir nicht, ob unsere Lebenserhaltungssysteme bis zum Eintreffen Ihrer Shuttles durchhalten würden.« Den Augen des Mannes war anzusehen, dass ihm die Erinnerungen an ein quälendes Warten noch immer zu schaffen machten. »Aber wenigstens wussten wir, Sie waren auf dem Weg zu uns. Seit der Konzern sich zurückgezogen hat, ist kein Schiff mehr zu uns gekommen. Bevor Ihre Nachricht uns erreichte, waren wir im Begriff auszulosen, wer die Kuppel verlassen und wer bleiben sollte. Allerdings mein-ten einige, die Alteren sollten gar nicht erst Hölzchen ziehen, weil wir ohnehin nicht so lange durchhalten würden.«
Man konnte sich nur zu gut vorstellen, was diese Leute empfunden haben mussten. »Warum wurden Sie nicht evakuiert, als alle anderen das System verließen?«
Diesmal reagierte der Bürgermeister mit einer ratlosen Geste. »Das wissen wir nicht. Wir alle haben für Subunterneh-men des gleichen Konzerns gearbeitet, und unsere Vorgesetzten verließen unseren Planeten mit dem letzten Schiff, das von einer anderen Gesellschaft geschickt worden war. Man sagte uns, die nächsten Schiffe würden bald eintreffen, aber danach geschah nichts mehr.«
»Wir bringen Sie nach Cavalos, also nehme ich an, dass Ihre Schiffe letztlich doch noch eingetroffen sind.«
Der Bürgermeister grinste nervös. »Besser spät als gar nicht, so sagt man doch. Sie erwähnten, dass Sie Captain John Geary sind, stimmt das? Wir kennen den Namen aus unseren Ge-schichtsbüchern, allerdings steht in denen wahrscheinlich etwas anderes geschrieben als in Ihren. Sind Sie sein Enkel?«
»Nein, ich bin es selbst«, antwortete er kopfschüttelnd und fügte hinzu: »Das ist eine lange Geschichte, aber lassen Sie sich gesagt sein, dass ich bei Grendel die erste Schlacht dieses Krieges ausgetragen habe, und wenn die Lebenden Sterne es wollen, werde ich auch noch die letzte Schlacht dieses Krieges miterleben.«
Der Mann wich unwillkürlich vor ihm zurück und sah ihn mit großen Augen an. Neben ihm stand eine Frau, die unablässig zwischen ihm und Geary hin und her schaute und dann wieder zu den drei Kindern sah, die sich an ihr festklammer-ten. Der älteste Junge bemerkte, wie sein Vater leicht zurück-zuckte, und warf daraufhin Geary einen trotzigen Blick zu.
»Wagen Sie es ja nicht, meinem Vater was anzutun!«
Bevor Geary etwas erwidern konnte, bemerkte er, dass Desjani neben ihm stand. Sie betrachtete den Jungen, wobei ihr Gesicht zwar noch immer keine Regung zeigte, während ihre Augen von einer unerklärlichen Traurigkeit erfüllt waren. »Deinem Vater wird auf meinem Schiff nichts geschehen, wenn er nichts unternimmt, was meinem Schiff schaden könnte.«
Der Junge schob sich zwischen Desjani und seine Mutter.
»Wir können Ihnen nicht glauben. Wir wissen, was Sie getan haben.«
Zu Gearys Verwunderung kniete sich Desjani hin, damit sie auf Augenhöhe mit dem Jungen war. »Junger Mann von den Syndikatwelten«, sprach sie den Jungen an, als wäre er bereits so alt wie sein Vater. »Unter dem Kommando von Captain John Geary greift die Allianz-Flotte nicht länger die Unschuldigen oder die Hilflosen an. Und selbst wenn er sein Kommando abgeben sollte, würden wir nicht wieder so handeln, weil er uns daran erinnert hat, was die Ehre von einem Krieger verlangt. Du musst deine Familie nicht vor uns beschützen.«
Dem Jungen fehlten die Worte, weil er nicht glauben konnte, dass sie ihn ernst genommen hatte, und er nickte nur stumm.
Desjani stand auf, sah den Jungen und dann dessen Mutter an, wobei sie irgendeine stumme Botschaft übermittelte, die von der Mutter mit einem Kopfnicken und einer beruhigten Miene aufgenommen wurde. Dann ließ Desjani ihren Blick über das Hangardeck schweifen, und mit der energischen Stimme eines Kommandanten erklärte sie: »Bürger der Syndikat-Welten, ich bin Captain Desjani, befehlshabender Offizier des Allianz-Schlachtkreuzers Dauntless. Sie sind keine Angehörigen des Militärs, daher werden Sie wie Zivilisten behandelt, die humanitäre Hilfe benötigen, es sei denn, Sie versuchen, meinem Schiff oder einem meiner Besatzungsmitglieder Schaden zuzufügen. Befolgen Sie alle Anweisungen und Befehle, die man Ihnen gibt. Wer gegen einen Befehl verstößt oder dem Schiff oder dessen Personal Schaden zuzufügen versucht, wird als feindlicher Soldat angesehen und entsprechend behandelt.
Wir benötigen noch drei Tage, um den Sprungpunkt nach Cavalos zu erreichen, dann folgt der Sprung nach Cavalos, der nicht ganz neun Tage in Anspruch nehmen wird. Laut den jüngsten Sternenführern der Syndikat-Welten, die sich in unserem Besitz befinden, gibt es auf den Welten dieses Sterns eine größere menschliche Bevölkerung. Dort angekommen, werden wir einen sicheren Platz auswählen, wo wir Sie absetzen können.«
Während sie die Zivilisten musterte, kam ihr ein Gedanke.
»Ich werde Sie von meinem medizinischen Personal untersuchen lassen. Ich empfehle Ihnen, die Anweisungen dieses Personals zu befolgen und zu kooperieren. Als Verpflegung erhalten Sie das, was meine Crew auch isst. Derzeit handelt es sich dabei überwiegend um Syndik-Rationen, die das Haltbarkeits-datum überschritten haben. Haben Sie irgendwelche Fragen?«
Eine Frau mittleren Alters rief: »Warum?«
Desjani sah zu Geary, aber der signalisierte ihr, dass sie darauf antworten durfte, wenn sie wollte. Sie wandte sich der Frau zu. »Weil nur derjenige, der Gnade gewährt, erwarten kann, dass auch ihm Gnade gewährt wird. Und weil die Ehre unserer Vorfahren es von uns verlangt. Marines, begleiten Sie die Zivilisten zu ihren Quartieren.«
Entgegen Gearys Befürchtungen ereigneten sich im Verlauf der beiden folgenden Tage keine weiteren Sabotagever-suche, während sich die Flotte dem Sprungpunkt nach Cavalos näherte. Die Syndik-Zivilisten waren so verängstigt, dass keiner von ihnen irgendwelche Schwierigkeiten machte. Als Geary auf der Brücke saß und darauf wartete, den Sprungbefehl zu geben, fiel ihm auf, dass Desjani mit betrübter Miene ihr Display betrachtete, auf dem Wendig I zu sehen war.
»Stimmt was nicht?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich musste gerade darüber nachdenken, wie ich mich wohl fühlen würde, wenn diese Leute immer noch auf dem Planeten wären, während wir nach Cavalos springen wollen. Ich musste über viele Dinge nachdenken, aber Sie haben das Richtige gemacht, Sir.«
»Wir haben das Richtige getan, Captain Desjani.« Sie sah ihn an und nickte, dann warf er einen letzten Blick auf den Planeten Wendig I, der wieder so völlig frei von Leben war wie zuletzt vor vielen Jahren, bevor Menschen ihn besiedelten.
»An alle Schiffe: Sprung nach Cavalos — jetzt.«
Neun Tage im Sprungraum waren eine recht lange Zeit, und es blieb nicht aus, dass die Gedanken irgendwann um die Frage zu kreisen begannen, was geschehen wäre, hätte man die Würmer in den Antriebseinheiten nicht entdeckt. Geary starrte in das trübe Grau des Sprungraums, durch das immer wieder diese unerklärlichen Lichter zuckten, und verspürte einmal mehr jenes seltsame Unbehagen, als würde seine Haut nicht richtig an seinem Körper anliegen, ein Gefühl, das mit jedem Tag etwas stärker wurde und die Frage in ihm aufkom-men ließ, wie lange sich ein Mensch im Sprungraum aufhalten konnte, ohne den Verstand zu verlieren.