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»Jetzt ist es gut,« – antwortet das Finsteraarhorn; – »rein ist es überall und ganz weiß, wohin man auch blickt... Überall unser Schnee, nichts wie Schnee und Eis. Erstarrt ist alles. Gut ist es jetzt, ruhig.«

»Gut« – wiederholt die Jungfrau. – »Allein, wir haben jetzt genug geplaudert, Alter. Zeit ist’s, einzuschlafen.«

»Es ist Zeit.«

Sie schlafen, die gewaltigen Bergriesen; es schläft der grüne, leuchtende Himmel über der auf ewig verstummten Erde.

Die Alte

Ich ging auf einem weiten Felde, allein.

Plötzlich war es mir, als ob leise, vorsichtige Tritte hinter meinem Rücken vernehmbar würden... Es folgte mir jemand.

Ich schaute mich um – und gewahrte eine kleine, gebeugte Alte, ganz in graue Lumpen gehüllt. Aus ihnen hervor war nur das Antlitz der Alten sichtbar: ein gelbes, runzliges, scharfnasiges, zahnloses Antlitz. Ich ging auf sie zu... Sie blieb stehen.

»Wer bist du? Was willst du? Bist du eine Bettlerin? Erwartest du ein Almosen?«

Die Alte gab keine Antwort. Ich beugte mich zu ihr herab und bemerkte, daß ihre beiden Augen mit einem halbdurchsichtigen, weißlichen Überzug oder Häutchen bedeckt waren wie bei gewissen Vögeln: deren Augen werden dadurch vor allzu grellem Licht geschützt.

Bei der Alten aber blieb das Häutchen unbeweglich und ließ die Pupillen nicht hervortreten... woraus ich schloß, daß sie blind sei.

»Willst du ein Almosen?« – wiederholte ich meine Frage. – »Weshalb folgst du mir?« – Doch die Alte blieb stumm wie zuvor, nur krümmte sie sich ein wenig. Ich wandte mich ab und setzte meinen Weg fort.

Da, wiederum höre ich hinter mir dieselben leisen, gemessenen, gleichsam schleichenden Tritte.

– Wieder dieses Weib! – dachte ich bei mir; – warum verfolgt sie mich denn nur? – Doch gleich kam mir auch der weitere Gedanke: sie wird wahrscheinlich in ihrer Blindheit den Weg verfehlt haben und folgt jetzt dem Schall meiner Schritte, um zusammen mit mir zu menschlichen Wohnungen zu gelangen. Ja ja, so wird’s sein.

Allein, nach und nach bemächtigte sich meiner Gedanken eine seltsame Unruhe: nun wollte es mir scheinen, als ob diese Alte mir nicht bloß folge, sondern daß sie mich sogar lenke, mich bald nach rechts, bald nach links stoße, und daß ich ihr willenlos gehorchen müsse.

Dennoch schreite ich weiter... auf einmal, gerade vor mir auf meinem Wege, etwas Schwarzes, sich Erweiterndes... wie eine Grube... »Ein Grab!« durchzuckte es mein Hirn. – Dorthin also stößt sie mich! Hastig wende ich mich um. Wieder vor mir die Alte... aber jetzt sieht sie! Sie blickt auf mich mit großen, boshaften, unheilkündenden Augen... mit den Augen eines Raubvogels... Ich schaue ihr scharf ins Gesicht, in die Augen... Wieder dieses trübe Häutchen, dieselben leblosen, stumpfen Züge... Ach! denke ich... diese Alte – ist mein Schicksal. Jenes Schicksal, dem niemand entrinnen kann. Kein Entrinnen! Kein Entrinnen? – Welch ein Wahnsinn... Man muß es versuchen. Und ich wende mich seitwärts, einer anderen Richtung zu.

Rasch eile ich vorwärts... Allein die leisen Tritte rascheln wie früher hinter mir, nahe, ganz nahe... Und vor mir wieder die dunkle Grube.

Aufs neue wende ich mich nach einer anderen Seite... Und wiederum dasselbe Rascheln hinter meinem Rücken und vor mir derselbe drohende Fleck.

Und wohin ich mich auch kehre gleich einem gehetzten Hasen... immer dasselbe, immer dasselbe!

Halt! denke ich, – jetzt will ich sie täuschen! Ich will mich nicht von der Stelle rühren! – und augenblicklich setze ich mich an die Erde.

Die Alte steht hinter mir, nur zwei Schritt entfernt. – Ich höre sie nicht, aber ich fühle es, sie ist da. Und plötzlich sehe ich: der dunkle Fleck dort in der Ferne, er schwimmt, er kriecht gerade auf mich zu! O Gott! Ich schaue rückwärts... Die Alte hat ihren starren Blick auf mich geheftet – und Grinsen verzerrt ihren zahnlosen Mund...

– Kein Entrinnen!

Der Hund

Wir zwei sind im Zimmer beisammen: mein Hund und ich... Draußen heult wütender Sturm. Mein Hund sitzt dicht vor mir – und schaut mir unverwandt ins Auge. Und auch ich blicke in seine Augen. Es scheint, als müßte er mir etwas sagen wollen. Er ist stumm, er besitzt keine Sprache, er versteht sich selbst nicht – aber ich verstehe ihn wohl.

Ich verstehe, daß in diesem Augenblick in ihm wie in mir ein und dasselbe Gefühl lebt, daß zwischen uns kein Unterschied besteht. Wir sind vollkommen gleich; in jedem von uns beiden glüht und leuchtet das gleiche zitternde Flämmchen.

Der Tod fliegt heran, schwingt seine eisigen, gewaltigen Fittiche... Es ist zu Ende!

Wer vermöchte dann wohl zu entscheiden, welches Flämmchen in ihm und welches in mir geglüht hat? Nein! nicht Tier und Mensch tauschen diese Blicke... Es sind zwei gleiche Augenpaare, die aufeinander gerichtet sind. Und in jedem dieser Augenpaare, in dem des Tieres und dem des Menschen – schmiegt sich ein und derselbe Lebenstrieb bebend an den des anderen.

Der Widersacher

Ich hatte einen Kameraden, der beständig mein Widersacher war; zwar nicht im Studium, auch nicht im Amt oder in der Liebe; nur unsere Ansichten waren stets unvereinbar, und jedesmal, wenn wir uns trafen – entspann sich zwischen uns ein endloser Wortstreit. Wir stritten über alles: über Kunst, über Religion, über die Wissenschaft, über das Leben auf Erden und im Jenseits – namentlich über das im Jenseits. Er war ein gläubiger, schwärmerischer Mensch. Einst sagte er zu mir: »Du bespöttelst doch auch alles; sollte ich jedoch vor dir sterben, dann werde ich dir vom Jenseits her erscheinen... Wir wollen doch sehen, ob du auch dann noch wirst lachen können!« Und wirklich, er starb vor mir, ein Werdender in der Blüte der Jugend; doch Jahre vergingen, und ich vergaß seines Gelübdes – seiner Drohung.

Einst lag ich des Nachts im Bett – und konnte nicht, mochte nicht einmal einschlafen.

Im Zimmer wars nicht finster, aber auch nicht hell; ich begann in das graue Halbdunkel hineinzustarren. Plötzlich erschien es mir, als ob zwischen den beiden Fenstern mein Widersacher stünde – und stumm und traurig mit dem Kopfe nicke, auf und ab.

Ich erschrak nicht – wunderte mich nicht einmal... vielmehr richtete ich mich ein wenig auf und blickte, auf den Ellenbogen gestützt, nur noch schärfer auf die unerwartete Erscheinung.

Der drüben fuhr fort, mit dem Kopfe zu nicken.

»Was gibts?« begann ich schließlich. »Triumphierst du? oder trauerst du? – Bedeutet dies eine Warnung oder einen Vorwurf?... Oder willst du mir zu verstehen geben, daß du unrecht hattest? oder daß wir beide unrecht hatten? Welches Los ist dir denn geworden? Höllenpein oder Paradieseswonne? So sprich doch wenigstens ein einziges Wort!«

Aber mein Widersacher gab nicht den geringsten Laut von sich – nur wie vorher nickte er bloß immer traurig und still ergeben mit dem Kopfe – auf und ab. Da lachte ich laut auf... und er verschwand.

Der Bettler

Ich ging die Straße hinunter... Ein dürftiger, gebrechlicher Greis hielt mich an.

Entzündete, tränende Augen, fahlblaue Lippen, zerfetzte Lumpen, unsaubere Schwären... O, wie schrecklich hatte die Not dieses unglückliche Geschöpf verunstaltet! Er streckte mir seine gerötete, verschwollene, schmutzige Hand hin... Er stöhnte, er ächzte um Hilfe.

Ich begann alle meine Taschen zu durchsuchen... Aber weder Geldbeutel noch Uhr, nicht einmal das Taschentuch war da... Ich hatte nichts mitgenommen. Der Bettler aber wartete noch immer... und seine vorgestreckte Hand bebte und zitterte vor Schwäche. Verwirrt und verlegen ergriff ich mit kräftigem Drucke diese schmutzige, zitternde Hand... »Zürne mir nicht, Bruder; ich habe gar nichts bei mir, mein Bruder.« Der Bettler richtete seine entzündeten Augen auf mich; ein Lächeln kam auf seine fahlen Lippen – und dann drückte auch er meine erkalteten Finger.