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Es ist nur ein Mal passiert. Es kam schnell und überraschend, aber es ist doch passiert.

Nachdem Peeta und ich von den Spielen zurückkamen, vergingen mehrere Wochen, bis ich Gale wieder allein traf. Erst waren da die obligatorischen Feierlichkeiten. Ein Festessen für die Sieger, zu dem nur die ranghöchsten Leute eingeladen waren. Ein Feiertag für den gesamten Distrikt mit Gratisessen und Entertainern aus dem Kapitol. Der Pakettag, der erste von zwölf, an dem jeder im Distrikt ein Essenspaket bekam. Das war das Schönste für mich. Zu sehen, wie all die hungrigen Kinder im Saum herumliefen und Gläser mit Apfelmus schwenkten, Dosen mit Fleisch, sogar Süßigkeiten. Zu Hause warteten noch Getreidesäcke und Ölkannen, die waren zu schwer zu tragen. Zu wissen, dass sie ein Jahr lang jeden Monat so ein Paket bekommen würden. Das war einer der wenigen Momente, in denen ich es richtig gut fand, dass ich die Spiele gewonnen hatte.

In dieser Zeit der Feierlichkeiten, als die Reporter jeden meiner Schritte festhielten, während ich im Mittelpunkt stand und allen dankte und Peeta für das Publikum küsste, da hatte ich keinen Augenblick für mich. Nach ein paar Wochen hatte sich die Lage endlich beruhigt. Die Kamerateams und Reporter packten ihre Sachen und reisten wieder ab. Das Verhältnis zwischen Peeta und mir wurde so kühl, wie es seither ist. Ich zog mit meiner Familie in unser Haus im Dorf der Sieger. Der Alltag in Distrikt 12 - Arbeiter in die Bergwerke, Kinder in die Schule - ging wieder seinen gewohnten Gang. Ich wartete, bis ich dachte, dass die Luft jetzt wirklich rein war, und eines Sonntags stand ich, ohne irgendjemandem ein Wort zu sagen, mehrere Stunden vor Sonnenaufgang auf und zog los in den Wald.

Es war immer noch warm genug, um ohne Jacke zu gehen. Ich nahm eine Tasche mit besonderem Essen mit, kaltes Hühnchen und Käse und Brot vom Bäcker und Orangen. In unserem alten Haus zog ich mir die Jagdstiefel an. Wie üblich stand der Zaun nicht unter Strom, sodass es ein Leichtes war, in den Wald zu schlüpfen und Pfeile und Bogen zu schnappen. Ich ging zu Gales und meinem Ort, dort, wo wir am Morgen der Ernte, bei der ich für die Spiele ausgelost worden war, unser Frühstück geteilt hatten.

Ich wartete mindestens zwei Stunden und dachte schon, dass er mich in den Wochen, die vergangen waren, aufgegeben hätte. Oder dass ich ihm nichts mehr bedeutete. Dass er mich sogar hasste. Und die Vorstellung, ihn für immer verloren zu haben, meinen besten Freund, den Einzigen, dem ich je meine Geheimnisse anvertraut hatte, tat so weh, dass ich es nicht ertragen konnte. Nicht nach all dem, was passiert war. Ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten und meine Kehle eng wurde, wie immer, wenn ich kurz davor bin, zu weinen.

In dem Moment schaute ich auf, und da stand er, drei Meter entfernt, und sah mich nur an. Ohne darüber nachzudenken, sprang ich auf, schlang die Arme um ihn und stieß einen merkwürdigen Laut aus, in dem sich Lachen, Atemlosigkeit und Weinen mischten. Er hielt mich so fest, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte, aber es dauerte wirklich lange, bis er mich losließ, und auch da nur, weil ihm kaum etwas anderes übrig blieb, denn ich hatte einen wahnsinnig lauten Schluckauf bekommen und musste unbedingt etwas trinken.

Wir machten an dem Tag dasselbe wie früher auch immer. Zusammen frühstücken. Jagen und fischen und sammeln. Über die Leute in der Stadt reden. Aber nicht über uns, sein neues Leben im Bergwerk, meine Zeit in der Arena. Nur über andere Dinge. Als wir schließlich an der Lücke im Zaun ankamen, die dem Hob am nächsten ist, glaubte ich wohl wirklich daran, dass es wieder so sein könnte wie früher. Dass wir so weitermachen könnten wie bisher. Ich hatte Gale das ganze Wild zum Handeln gegeben, weil wir zu Hause jetzt so viel zu essen hatten. Ich sagte, ich würde nicht mit zum Hob kommen, obwohl ich sehr gern gegangen wäre, aber meine Mutter und meine Schwester wüssten nicht einmal, dass ich auf der Jagd sei, und fragten sich bestimmt schon, wo ich steckte. Und gerade als ich vorschlug, dass ich die tägliche Runde an den Fallen entlang übernehmen könnte, nahm er mein Gesicht in die Hände und küsste mich.

Es traf mich völlig unvorbereitet. Man hätte meinen können, dass ich nach den vielen Stunden, die ich mit Gale verbracht hatte - da ich ihn erzählen und lachen und finster blicken gesehen hatte -, über seine Lippen genau Bescheid gewusst hätte. Aber ich hätte nicht gedacht, dass sie sich so warm auf meinen anfühlen würden. Oder dass diese Hände, die so komplizierte Fallen stellen konnten, ebenso gut mich einfangen könnten. Ich glaube, ich stieß einen kehligen Laut aus, und ich erinnere mich dunkel an meine Hände, fest zusammengeballt, die auf seiner Brust lagen. Dann ließ er mich los und sagte: »Ich musste das tun. Wenigstens ein Mal.« Und dann war er weg.

Obwohl die Sonne schon unterging und meine Familie sich bestimmt Sorgen machte, setzte ich mich an einen Baum neben dem Zaun. Ich überlegte, wie es mir mit dem Kuss ging, ob er mir gefallen hatte oder ob ich mich darüber ärgerte, aber ich erinnerte mich nur an das Gefühl von Gales Lippen auf meinen und den Duft von Orangen, der immer noch an seiner Haut haftete. Es hatte keinen Sinn, diesen Kuss mit den vielen Küssen zu vergleichen, die ich mit Peeta getauscht hatte. Ich war mir immer noch nicht darüber im Klaren, ob auch nur einer davon zählte. Schließlich ging ich nach Hause.

In dieser Woche kümmerte ich mich um die Fallen und brachte das Fleisch zu Hazelle. Doch Gale sah ich erst am folgenden Sonntag wieder. Ich hatte eine komplette Rede im Kopf, dass ich keinen Freund wollte und niemals heiraten würde, aber ich brauchte sie gar nicht. Gale tat so, als hätte es den Kuss nie gegeben. Vielleicht wartete er darauf, dass ich etwas sagte. Oder dass ich ihn auch küsste. Stattdessen tat ich ebenfalls so, als hätte es den Kuss nie gegeben. Aber es hatte ihn gegeben. Gale hatte eine unsichtbare Schranke zwischen uns zerstört und mit ihr meine Hoffnung, wir könnten zu unserer alten, unkomplizierten Freundschaft zurückkehren. Wenn ich auch so tat, als ob, ich konnte seine Lippen nie mehr so ansehen wie früher.

All das geht mir blitzschnell durch den Kopf, während Präsident Snow mich mit seinem Blick durchbohrt, nachdem er gedroht hat, Gale zu töten. Wie dumm von mir, zu denken, das Kapitol würde mich nicht mehr beachten, wenn ich erst einmal zu Hause wäre! Ich hatte zwar keine Ahnung von möglichen Aufständen. Aber ich wusste, dass sie im Kapitol wütend auf mich waren. Anstatt die gebührende Vorsicht walten zu lassen, was tat ich da? Aus der Sicht des Präsidenten habe ich Peeta ignoriert und vor dem ganzen Distrikt demonstriert, dass ich Gale vorziehe. Und damit kundgetan, dass ich das Kapitol wirklich verspottet habe. Mit meinem unbedachten Verhalten habe ich Gale und seine Familie, meine Familie und auch Peeta in Gefahr gebracht.

»Bitte tun Sie Gale nichts«, flüstere ich. »Er ist nur ein Freund. Wir sind schon seit Jahren befreundet. Mehr ist nicht zwischen uns. Außerdem halten uns jetzt sowieso alle für Cousin und Cousine.«

»Mich interessiert nur, wie das dein Verhältnis zu Peeta beeinflusst und damit die Stimmung in den Distrikten«, sagt er.

»Bei der Tour der Sieger wird es so sein wie immer. Ich werde genauso in ihn verliebt sein wie vorher«, sage ich. »Wie jetzt«, verbessert Präsident Snow mich. »Wie jetzt«, bestätige ich.

»Aber wenn die Aufstände abgewendet werden sollen, wirst du noch überzeugender sein müssen«, sagt er. »Diese Tour ist deine letzte Chance, das Blatt zu wenden.«

»Ich weiß. Und es wird mir gelingen. Ich werde alle in den Distrikten davon überzeugen, dass ich nicht das Kapitol herausfordern wollte, sondern verrückt vor Liebe war«, sage ich.

Präsident Snow erhebt sich und tupft die Wulstlippen mit einer Serviette ab. »Du musst dir ein höheres Ziel stecken, für den Fall, dass du es nicht erreichst.«

»Wie meinen Sie das? Was für ein höheres Ziel soll ich mir stecken?«, frage ich.