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In meinen Ohren klingelt es nicht mehr. Also waren es die Insekten. Das weiß ich jetzt, weil sie rasch leiser werden und ich nur noch die üblichen Dschungelgeräusche höre. Beetee ist keine Hilfe. Ich bekomme ihn einfach nicht wach. Ich kann ihn nicht retten. Ich weiß nicht, was er mit dem Messer und dem Draht vorhatte, und er ist nicht in der Lage, es mir zu erklären. Die Moosbandage um meinen Arm hat sich mit Blut vollgesogen, ich brauche mir nichts vorzumachen. Ich bin so benommen, dass ich in den nächsten Minuten das Bewusstsein verlieren werde. Ich muss machen, dass ich von diesem Baum wegkomme, und - »Katniss!« Ich höre seine Stimme, obwohl er weit weg ist. Was tut er denn da? Auch Peeta muss doch inzwischen begriffen haben, dass jetzt alle hinter uns her sind. »Katniss!«

Ich kann ihn nicht beschützen. Ich kann mich weder schnell noch weit bewegen, und meine Schießkünste sind bestenfalls fragwürdig. Ich tue das Einzige, womit ich die Aufmerksamkeit der Angreifer von ihm abziehen und auf mich lenken kann. »Peeta!«, schreie ich. »Peeta! Ich bin hier! Peeta!« Ja, ich werde sie anlocken, alle her zu mir, weg von Peeta, zu mir und dem Gewitterbaum, der bald selbst zur Waffe werden wird. »Ich bin hier! Ich bin hier!« Er wird es nicht schaffen. Nicht mit seinem Bein bei Dunkelheit. Er wird es nie und nimmer rechtzeitig schaffen. »Peeta!«

Es funktioniert. Ich höre sie kommen. Sie sind zu zweit. Sie brechen durch den Dschungel. Meine Knie geben nach und ich sacke neben Beetee zusammen, mein Gewicht ruht auf den Fersen. Ich hebe Pfeil und Bogen. Wenn ich sie erledige, wird Peeta die Übrigen überleben?

Enobaria und Finnick erreichen den Gewitterbaum. Sie können mich nicht sehen, weil ich oberhalb von ihnen sitze, am Hang, und durch die Salbe auf meiner Haut getarnt bin. Ich ziele auf Enobarias Hals. Wenn ich Glück habe, wird Finnick sich, sobald ich sie getötet habe, genau in dem Augenblick hinter dem Gewitterbaum verschanzen, wenn der Blitz einschlägt. Und das wird jeden Moment geschehen. Nur noch vereinzeltes Klicken der Insekten. Ich kann sie jetzt töten. Ich kann sie beide töten.

Noch ein Kanonendonner.

»Katniss!« Peeta schreit meinen Namen. Aber diesmal antworte ich nicht. Neben mir atmet Beetee immer noch schwach. Er und ich werden gleich sterben. Finnick und Enobaria werden sterben. Peeta ist am Leben. Zwei Kanonen sind abgefeuert worden. Brutus, Johanna, Chaff. Zwei von ihnen sind bereits tot. Peeta braucht dann nur noch einen Tribut zu töten. Mehr kann ich nicht für ihn tun. Ein Feind.

Feind. Feind. Das Wort zerrt an einer frischen Erinnerung. Zieht sie in mein Bewusstsein. Der Ausdruck auf Haymitchs Gesicht. »Katniss, wenn du in der Arena bist …« Der finstere Blick, die Zweifel. »Was dann?« Ich höre, wie meine Stimme schärfer wird, gereizt wegen des unausgesprochenen Vorwurfs. »Dann vergiss nicht, wer der Feind ist«, sagt Haymitch. »Das ist alles.«

Haymitchs letzter Rat für mich. Wieso sollte er mich daran erinnern müssen? Ich habe immer gewusst, wer der Feind ist. Der, der uns hungern lässt und quält und in der Arena tötet. Der bald alle töten wird, die ich liebe.

Ich lasse den Bogen sinken, als mir der Sinn seiner Worte klar wird. Ja, ich weiß, wer der Feind ist. Und es ist nicht Enobaria.

Endlich sehe ich klar und deudich, was es mit Beetees Messer auf sich hat. Mit zitternden Händen schiebe ich den Draht vom Griff des Messers, wickele ihn genau unterhalb der Federn um den Pfeil und sichere ihn mit einem Knoten, den ich beim Training gelernt habe.

Ich stehe auf, wende mich dem Kraftfeld zu. Ich zeige mich in voller Größe, aber das ist mir jetzt egal. Ich konzentriere mich einzig und allein darauf, wohin ich die Spitze richten muss, wohin Beetee das Messer geworfen hätte, wenn er gekonnt hätte. Ich richte den Bogen auf das flimmernde Viereck, die Schwachstelle, den … wie hat er es damals genannt? Den wunden Punkt. Ich schieße den Pfeil ab, sehe, wie er sein Ziel trifft und mit dem goldenen Faden im Schlepptau verschwindet.

Im selben Augenblick stehen mir plötzlich buchstäblich die Haare zu Berge und der Blitz schlägt in den Baum ein.

Ein weißer Lichtstrahl rast den Draht entlang und einen Augenblick lang erstrahlt die Kuppel in grellblauem Licht. Ich werde rückwärts zu Boden geschleudert, mein Körper reglos, gelähmt, die Augen aufgerissen, während kleine flauschige Stückchen auf mich herabregnen. Ich kann nicht zu Peeta. Ich kann nicht mal meine Perle hervorholen. Meine Augen weiten sich, um ein letztes Bild der Schönheit einzufangen, das ich mitnehmen werde.

Kurz bevor die Explosionen einsetzen, entdecke ich einen Stern.

27

Alles scheint auf einmal zu explodieren. Die Erde zerplatzt in Schauern aus Schmutz und Pflanzenteilen. Bäume werden zu Fackeln. Sogar der Himmel füllt sich mit leuchtend bunten Lichtblüten. Ich begreife nicht, weshalb der Himmel beschossen wird, bis mir der Gedanke kommt, dass die Spielmacher ein Feuerwerk abschießen, zur Untermalung der Zerstörung, die sich am Boden abspielt. Nur für den Fall, dass es nicht unterhaltsam genug ist, die Vernichtung der Arena und der verbliebenen Tribute anzuschauen. Vielleicht soll auch unser blutiges Ende hell erleuchtet werden.

Werden sie einen von uns überleben lassen? Wird es einen Sieger der fünfundsiebzigsten Hungerspiele geben? Diesmal womöglich nicht. Denn gedacht ist dieses Jubel-Jubiläum … Wie las es Präsident Snow noch von seiner Karte ab? »… als Erinnerung für die Rebellen daran, dass nicht einmal die Stärksten unter ihnen die Macht des Kapitols überwinden können.«

Nicht mal der Stärkste der Starken wird triumphieren. Vielleicht war es nie geplant, dass diese Spiele überhaupt einen Sieger haben. Oder vielleicht hat mein letzter Akt der Auflehnung sie in Zugzwang gebracht?

Tut mir leid, Peeta, denke ich. Tut mir leid, dass ich dich nicht retten konnte. Ihn retten? Als ich das Kraftfeld zerstörte, habe ich ihn wahrscheinlich noch um seine letzte Chance gebracht.

Hätten wir uns alle an die Spielregeln gehalten, hätten sie ihn vielleicht am Leben gelassen.

Ohne Vorwarnung erscheint das Hovercraft über mir. Wäre es still gewesen und ein Spotttölpel in der Nähe, dann hätte ich vielleicht gehört, wie der Dschungel verstummt wäre, und dann den Vogelschrei, der das Erscheinen der Luftfähre ankündigt, die vom Kapitol geschickt wurde. Aber in all dem Krach muss ein so zartes Geräusch untergehen.

Der Greifer wird aus der Luke an der Unterseite gefahren, bis er direkt über mir hängt. Die stählernen Zähne schieben sich unter mich. Ich möchte schreien, weglaufen, mir einen Weg bahnen, doch ich bin wie erstarrt und kann nichts tun, als inständig zu hoffen, dass ich sterbe, bevor ich die schemenhaften Gestalten erreicht habe, die mich dort oben erwarten. Sie haben mein Leben nicht verschont, um mich zum Sieger zu küren, sondern damit ich so langsam und öffentlich sterbe wie möglich.

Meine schlimmsten Befürchtungen werden bestätigt, als Plutarch Heavensbee persönlich mich willkommen heißt, der Oberste Spielmacher. Was habe ich nur angerichtet mit diesen schönen Spielen mit der ausgeklügelten Uhr und der Siegerschar. Er wird für sein Versagen bezahlen müssen, wahrscheinlich wird er mit dem Leben bezahlen, aber vorher wird er mich bestrafen. Er streckt die Hand aus - um mich zu schlagen, denke ich, aber dann tut er etwas, das noch schlimmer ist. Mit Daumen und Zeigefinger schließt er meine Lider und verurteilt mich zur Finsternis. Jetzt bin ich schutzlos, sie können alles mit mir anstellen und ich werde es nicht einmal kommen sehen.

Mein Herz pocht so heftig, dass das Blut unter meinem vollgesogenen Moosverband heraussickert. Mein Denken wird vernebelt. Wahrscheinlich werde ich verblutet sein, ehe sie mich wiederbelebt haben. Ich danke Johanna still für die perfekte Wunde, die sie mir beigebracht hat, dann werde ich ohnmächtig.