«Ist er auch hier?«
«Zum Glück nicht. Er sollte zwar erst, aber jetzt kommt er mit dem übrigen Team nach, wenn Evan und ich die Drehorte ausgesucht haben.«
Ich legte Kamm und Bürste weg und band meine Armbanduhr um. Schlüssel, Kleingeld, Taschentuch in die Hosentaschen.
«Haben Sie die Schnellkopien von den Wüstenszenen gesehen, als Sie in England waren?«
«Nein«, sagte ich.»Evan hat mich nicht eingeladen.«
«Sieht ihm ähnlich. «Er nahm einen großen Schluck und rollte den Martini im Mund. Mit zusammengekniffenen Augen sah er auf den langen Aschekegel an der Spitze seines Mini-Torpedos. Er sagte:»Sie waren gut.«
«Das sollten sie verdammt noch mal auch sein. Wir haben sie oft genug gedreht.«
Er lächelte, ohne mich anzusehen.»Der fertige Film wird Ihnen nicht gefallen.«
Weil er es nicht ausführte, sagte ich nach einer Pause:»Wieso nicht?«
«Da liegt mehr und etwas anderes als Schauspielerei drin. «Er zögerte und wog seine Worte ab.»Selbst für einen zynischen Betrachter wie mich, lieber Junge, ist das, was da an Leiden rüberkommt, erschütternd.«
Ich sagte nichts. Er drehte sich mir zu.
«Normalerweise geben Sie nicht viel von sich preis, oder? Also diesmal, lieber Junge, diesmal…«
Ich preßte die Lippen zusammen. Ich wußte, was ich getan hatte. Es war mir von vornherein klar gewesen. Ich hatte nur gehofft, niemand wäre aufmerksam genug, es zu bemerken.
«Werden die Kritiker sehen, was Sie gesehen haben?«fragte ich.
Er lächelte schief.»Müssen Sie wohl, oder? Die guten jedenfalls.«
Ich starrte verzagt auf den Teppich. Das unangenehme an Szenen, die man zu gut spielte, an Gefühlen, die man klar und eingängig vermittelte, war, daß man sich dabei vor der Öffentlichkeit entblößte. Ohne nackte Haut zu zeigen oder so etwas Simples, gab man der ganzen Welt Einblick in sein Innenleben, seine Überzeugungen, seine Erfahrung.
Um ein Gefühl so wiedergeben zu können, daß andere es erkannten und es vielleicht zum erstenmal auch verstanden, mußte man einen Begriff davon haben, wie es wirklich war. Zu zeigen, daß man es kannte, hieß erkennen lassen, was man gefühlt hatte. Niemand präsentierte sich gern allzu nackt, aber wenn man sein Inneres nicht enthüllte, wurde man nie ein großer Schauspieler.
Ich war kein großer Schauspieler. Ich war kompetent und beliebt, doch wenn ich nicht mit ganzem Herzen den Schritt in die gefürchtete Selbstentblößung wagte, würde ich nie etwas Großes vollbringen. Das Spielen einer Rolle war für mich, wo es über eine bestimmte Grenze hinausging, seelisch schmerzhaft. Als ich aber in dem Wagen so spielte, hatte ich gedacht, meine persönlichen Züge würden so mit den Qualen der erfundenen Figur verschmelzen, daß man mich dahinter nicht wahrnahm.
Ich hatte wegen Evan so gespielt: aus Trotz eher, als um es ihm recht zu machen. Es gibt einen Punkt, über den hinaus kein Regisseur die Leistung eines Schauspielers sich selbst als Verdienst anrechnen kann, und ich war weit über diesen Punkt hinausgegangen.
«Woran denken Sie?«wollte Conrad wissen.
«Ich habe gerade beschlossen, in Zukunft ganz bei unrealistischer Action und Unterhaltung zu bleiben.«
«Sie sind ein Feigling, lieber Junge.«
«Ja.«
Er tippte die Asche von seiner Zigarre.
«Niemand wird damit zufrieden sein, wenn Sie das tun.«
«Aber selbstverständlich.«
«M-m. «Er schüttelte den Kopf.»Hat einer erst mal gesehen, daß er alles kriegen kann, begnügt er sich nicht mehr mit halben Sachen.«
«Hören sie auf, Martini zu trinken«, sagte ich.»Sie reden schon Unsinn.«
Ich ging durch das Zimmer, nahm mein Jackett, zog es an und verstaute Brieftasche und Terminkalender darin.
«Gehen wir runter in die Bar«, sagte ich.
Er wuchtete sich gehorsam aus dem Sessel.
«Sie können nicht ewig vor sich weglaufen, mein Lieber.«
«Ich bin nicht der, für den Sie mich halten.«
«O doch, lieber Junge«, sagte Conrad.»Das sind Sie.«
Auf der Rennbahn in Germiston am nächsten Tag erwarteten mich am Eingang nicht nur die von Greville Arknold versprochenen Freikarten, sondern auch ein Funktionär, der mir einen zweiten Satz Freikarten gab und Anweisung hatte, mich zum Lunch beim Präsidenten des Rennvereins zu geleiten.
Ich überließ mich seiner Führung und wurde schließlich in einen großen Speiseraum komplimentiert, in dem etwa hundert Personen bereits an langen Tischen saßen. Die ganze Familie van Horen, einschließlich des mürrischen Jonathan, war am ersten Tisch bei der Tür plaziert, und als er mich eintreten sah, erhob sich van Horen.
«Mr. Klugvoigt, das ist Edward Lincoln«, sagte er zu dem Mann am Kopf des Tisches, und zu mir gewandt:»Mr. Klugvoigt ist der Präsident.«
Klugvoigt stand auf, gab mir die Hand, wies auf den leeren Stuhl zu seiner Linken, und wir nahmen Platz.
Vivi van Horen saß in einem breitkrempigen grünen Hut mir gegenüber, dem Präsidenten zur Rechten, an der Seite ihres Mannes. Sally van Horen saß links von mir und ihr Bruder eins weiter. Sie schienen Klugvoigt alle gut zu kennen, und als Persönlichkeit hatte er viel mit van Horen gemein: das gleiche Flair von Wohlhabenheit und Ansehen, das gleiche Selbstbewußtsein, die gleiche massige Statur und der wache Verstand.
Nach der Begrüßung und den Höflichkeiten (wie gefiel mir Südafrika? Nirgends war es so gemütlich wie im Iguana Rock. Wie lange wollte ich bleiben?) kehrte das Gespräch ganz natürlich wieder zu der vorliegenden Hauptangelegenheit zurück.
Pferde.
Die van Horens besaßen einen Vierjährigen, der im Dunlop Gold Cup einen Monat zuvor Dritter geworden war, aber in diesen weniger wichtigen Monaten gaben sie ihm eine Atempause. Klugvoigt besaß zwei Dreijährige, die an diesem Nachmittag starteten, wenn auch nicht sehr aussichtsreich.
Ich lenkte das Gespräch ohne große Mühe auf Nerissas Pferde und von dort auf Greville Arknold, um eher beiläufig zu fragen, was man allgemein von ihm hielt, als Mensch wie auch als Trainer.
Weder van Horen noch Klugvoigt gehörten zu den Leuten, die gleich aussprechen, was sie denken. Jonathan war es, der sich vorbeugte und mit seiner wahren Meinung herausplatzte.
«Das ist ein ungehobelter Kerl mit nichts im Kopf, aber ein Paar Pranken, daß er Goldbarren auswringen könnte.«
«Ich werde mit Nerissa reden müssen, wenn ich zurückkomme«, bemerkte ich.
«Tante Portia hat immer gesagt, er kann gut mit Pferden umgehen«, warf Sally zu seiner Verteidigung ein.
«Jaha. Bis sie umfallen«, sagte Jonathan.
Van Horen warf ihm einen flackernden Blick zu, in dem Humor gewiß nicht fehlte, wechselte aber mit der Gewandtheit eines Mannes, der weiß, was üble Nachrede ist, sofort das Thema.
«Ihr Clifford Wenkins, Link, rief mich gestern nachmittag an, um uns Karten für Ihre Premiere anzubieten. «Er sah belustigt aus. Ich nahm dankbar zur Kenntnis, daß er warm genug mit mir geworden war, um auf das steife» Mr. «zu verzichten; in ein, zwei Stunden würde ich vielleicht auch zu» Quentin«übergehen können.
«Offenbar fand er, daß er doch ein bißchen schroff zu mir war, als ich Ihre Adresse haben wollte.«
«Hat wahrscheinlich seine Hausaufgaben nachgeholt«, stimmte Klugvoigt zu, der voll informiert zu sein schien.
«Es ist nur ein — ein Abenteuerfilm«, sagte ich.»Möglich, daß er Ihnen nicht gefällt.«
Er lächelte ein trockenes ironisches Lächeln.»Sie werfen mir nicht noch einmal vor, daß ich etwas verurteile, was ich nicht gesehen habe.«
Ich lächelte zurück. Ich mochte den Bruder des Mannes von Nerissas Schwester.
Wir beendeten das vorzügliche Mittagessen und gingen zum ersten Rennen hinaus. Die Jockeys saßen bereits auf, und Vivi und Sally eilten davon, um rasch noch die Quoten mit einigen Rand durcheinanderzubringen.