«Da müßte ich sie erst im Führring sehen.«
«Sehr vernünftig«, stimmte er zu.
Ich bewunderte die Baulichkeiten.»Die Tribüne sieht neu aus«, bemerkte ich.
«Sie steht noch nicht lange«, sagte er.»Sie wurde aber dringend gebraucht.«
«Und die Waage — von außen sieht sie sehr komfortabel aus.«
«Oh, das ist sie auch, mein Lieber. «Ihm kam ein Gedanke.
«Möchten Sie sie gern von innen sehen?«
«Sehr freundlich von Ihnen«, sagte ich herzlich — und demonstrierte Startbereitschaft, damit er es nicht vergaß. Bald darauf stellten wir unsere unausgetrunkenen Gläser hin und schlenderten zu dem großen viereckigen Verwaltungsblock hinüber, der im Erdgeschoß die Waage und die Jockeystube beherbergte und darüber die Rennbahnbüros.
Das Ganze war modern und komfortabel, weit entfernt von allzu vielen englischen Gegenstücken. Es gab einen großen, mit Lehnstühlen ausgestatteten Raum, in dem Besitzer und Trainer sich bequem zusammensetzen konnten, um ihre Coups zu planen und ihre Flops zu analysieren, doch Klugvoigt scheuchte mich daran vorbei ins Innere.
Die Jockeys selbst hatten auch teil an der Fülle, denn es standen ihnen mannshohe Spinde für ihre Kleider zur Verfügung (statt eines Wandhakens), eine Sauna (sowie Duschen) und gepolsterte Liegen zum Ausruhen (statt einer harten schmalen Holzbank).
Der Mann, den ich zu sehen gehofft hatte, lag auf einer der mit schwarzem Leder bezogenen Liegen und stützte sich auf einem Ellbogen auf. Ich kannte ihn von den Anzeigetafeln her als K. L. Fahrden. Er war Greville Arknolds Jockey.
Ich sagte Klugvoigt, ich sei daran interessiert, mit Fahrden zu reden, und er meinte, klar, dann werde er im vorderen Raum auf mich warten, denn dort sei jemand, mit dem er selbst sprechen wolle.
Fahrden hatte die übliche fein gemeißelte Statur mit dem üblichen Mangel an Fettgewebe unter der Haut. Sein argwöhnisch gespannter Ausdruck änderte sich ein wenig zum Besseren, als ihm Klugvoigt meinen Namen sagte, kam aber in alter Stärke wieder, als ich sagte, ich sei ein Freund von Mrs. Cavesey.
«Man kann mir nicht die Schuld geben, wenn ihre Pferde so beschissen laufen«, sagte er, als müsse er sich verteidigen.
«Das tu ich auch nicht«, erwiderte ich geduldig.»Ich wollte Sie nur fragen, wie Ihr persönlicher Eindruck von den Tieren ist, damit ich Mrs. Cavesey das berichten kann.«
«Oh. Na gut. «Er überlegte und rückte damit heraus.»Also am Start, da geben sie einem ein gutes Gefühl. Voller Kraft, und sie genießen es. Dann fordert man sie, ja, und es geht einfach nichts. Man macht Druck, ja, und fast sofort ist die Luft raus.«
«Sie haben sich bestimmt schon viel Gedanken darüber gemacht«, sagte ich.»Was glauben Sie, was mit ihnen los ist?«
Er sah mich von der Seite an.»Keine Ahnung«, sagte er.
«Sie müssen doch eine Theorie haben«, drängte ich.
«Bloß die, auf die jeder andere auch käme«, antwortete er widerstrebend.»Und mehr sage ich dazu nicht.«
«Mhm… Tja, was halten Sie von Mr. Arknolds Futtermeister?«
«Barty? So ein brutaler Hund. Nicht, daß ich über den viel nachdenke. Ich würde ihm nicht gern allein im Dunkeln begegnen, wenn Sie das meinen.«
Es war nicht ganz das, was ich meinte, aber ich ließ es dabei bewenden. Und ich fragte ihn, wie er mit Danilo auskam.
«Der ist echt nett, der Junge«, sagte er mit dem ersten Anzeichen von Freundlichkeit.»Interessiert sich natürlich immer sehr für Arknolds Pferde, wo doch so viele davon seiner Tante gehören.«
«Haben Sie ihn kennengelernt, als er schon mal hier war?«fragte ich.
«Ja, klar. Er hat ein paar Wochen in dem Hotel unten in Summerveld gewohnt. Ein prima Kerl. Immer für einen Lacher gut. Er sagte, er hätte gerade seine Tante besucht und sie sei ein prima Mädchen. Er war auch der einzige Lichtblick da, als die Pferde anfingen, so schlecht zu laufen.«
«Wann war das?«fragte ich in verständnisvollem Ton.
«Ach, letzten Juni irgendwann. Seitdem ist auf jede erdenkliche Art untersucht worden, warum sie versagen. Dopingproben, Tierärzte und alles.«
«Reiten Sie gern für Arknold?«fragte ich.
Er machte sofort dicht.»Es kostet mich meinen Job, wenn ich was anderes sage.«
Ich las Klugvoigt im Empfangsraum auf, bedankte mich und ging wieder mit ihm in Richtung Führring. Da ihn unterwegs jemand abfing, zog ich allein weiter und wan-derte quer über die Bahn zu der einfachen, aus Holz gezimmerten Tribüne auf der anderen Seite. Von dort ließ die gesamte Anlage sich überblicken: die langgezogenen Tribünenbauten, die schmale Terrasse mit den Sonnenschirmen, der Logenblock. Hinter all dem der Führring und die Waage.
Und Teil der bunten Menge, plaudernd, Informationen austauschend, erfrischende Getränke schlürfend, waren Danilo und Arknold, Conrad und Evan, Roderick und Clifford Wenkins sowie Quentin, Vivi, Jonathan und Sally van Horen.
Als ich am Abend zurück ins Iguana Rock kam, meldete ich ein Telefongespräch mit Charlie an, und pünktlich am nächsten Morgen, Sonntag um zehn, erhielt ich die Verbindung.
Ihre Stimme klang so nah, als wären wir sechs Meilen getrennt statt sechstausend. Sie sagte, sie sei froh, daß ich anrief und daß ich keinen tödlichen Stromschlag bekommen hätte — es hätte gestern zu Hause in sämtlichen Zeitungen gestanden, und einige hätten empört angedeutet, es sei ein abgekartetes Spiel gewesen.
«War es nicht«, sagte ich.»Ich erzähl’ dir alles, wenn ich zu Hause bin. Wie geht’s den Kindern?«
«Ach, bestens. Chris sagt, er will Astronaut werden, und Libby schafft es jetzt, >Pool< zu sagen, wenn sie ins Wasser möchte.«
«Das ist ja toll«, sagte ich und meinte damit Libbys Fortschritt. Charlie stimmte mir bei.
«Du fehlst mir«, sagte ich leichthin, und sie antwortete mit ebensowenig Nachdruck:»Es kommt mir vor, als wärst du schon viel länger als fünf Tage weg.«
«Ich komme gleich nach der Premiere heim«, sagte ich.»Vorher sehe ich mir noch eine Goldmine an und verbringe ein paar Tage im Krüger-Nationalpark.«
«Glückspilz.«
«Wenn die Kinder wieder in der Schule sind, machen wir irgendwo Urlaub, ganz für uns allein.«
«Ich nehm’ dich beim Wort.«
«Du kannst dir aussuchen wo, also überleg schon mal.«
«Okay. «Sie sagte es beiläufig, schien sich aber zu freuen.
«Hör mal… ich rufe eigentlich wegen Nerissas Pferden an.«
«Hast du rausgekriegt, was mit ihnen los ist?«»Weiß ich nicht«, sagte ich.»Mir ist da ein ziemlich folgenschwerer Gedanke gekommen. Ich kann aber erst sicher sein — oder vielmehr nur sicher sein —, wenn du in England etwas für mich tust.«
«Schieß los«, sagte sie kurz.
«Ich möchte, daß du dir Nerissas Testament ansiehst.«
«Wau. «Sie zog scharf die Luft ein.»Wie soll ich das denn machen?«
«Bitte sie drum. Ich weiß nicht, wie du das am besten anstellst, aber wenn sie Spaß daran gehabt hat, es aufzusetzen, macht es ihr vielleicht auch nichts aus, darüber zu reden.«
«Also, nach was genau soll ich denn suchen, wenn sie es mir zeigt?«
«Ich möchte vor allem wissen, ob sie Danilo außer den Pferden auch ihren Restnachlaß vermacht hat.«
«Na schön«, meinte sie zweifelnd.»Ist das sehr wichtig?«
«Ja und nein. «Ich lachte halb.»Der junge Danilo ist im Augenblick hier in Südafrika.«
«So?«rief sie aus.»Davon hat Nerissa uns ja gar nichts gesagt.«
«Nerissa weiß es nicht«, sagte ich. Ich beschrieb ihr den goldenen Danilo und auch Arknold und erklärte ihr, daß die Pferde alle nach dem gleichen Schema verloren.
«Klingt, als ob der Trainer sie dopt«, bemerkte sie.
«Ja. Das habe ich zuerst auch gedacht. Aber jetzt — nun, ich glaube, es ist unser Junge aus Kalifornien, dieser Danilo.«
«Der doch nicht«, wandte sie ein.»Was hätte er dabei zu gewinnen?«»Erbschaftssteuern«, sagte ich. Mit Nachdruck.