Nach einer Pause meinte Charlie zweifelnd:»Das kann nicht dein Ernst sein.«
«Doch. Jedenfalls ist es eine Theorie. Nur habe ich keine Möglichkeit, sie zu beweisen.«
«Mir ist nicht ganz klar.«
«Dann stell dir doch mal vor«, sagte ich,»Nerissa hat Danilo bei seinem Besuch im Frühsommer — als sie sich zum erstenmal nach all den Jahren wiedersahen — gesagt, daß sie an der Hodgkin-Krankheit leidet. Da brauchte er nur in einem medizinischen Handbuch nachzusehen, um zu erfahren, daß die immer tödlich ausgeht.«
«Ach je«, meinte sie seufzend.»Weiter.«
«Nerissa mochte ihn sehr«, sagte ich.»Nun, er ist auch ein durchaus einnehmender Junge. Nimm mal an, sie hat ihren Entschluß, Danilo zu bedenken, nicht für sich behalten, sondern ihm gesagt, sie wolle ihm ihre Pferde hinterlassen und etwas Geld.«
«Das sind aber ziemlich viele Mutmaßungen.«
«Ja«, gab ich zu.»Würdest du Nerissa fragen? Frag, ob sie Danilo gesagt hat, woran sie erkrankt ist, und auch, ob sie ihm gesagt hat, was sie ihm vermachen will.«
«Liebling, sie wäre doch furchtbar unglücklich, wenn sie jetzt feststellen müßte, daß sie sich in ihm getäuscht hat. «Charlie klang selbst aufgewühlt.»Wo sie sich doch so freut, ihn als Erben zu haben.«
«Bring einfach die Rede drauf, wenn du kannst, und frag sie nebenher. Ich bin auch der Meinung, daß es wichtig ist, ihr Kummer zu ersparen. Es könnte sogar besser sein, man ließe Danilo ungeschoren davonkommen. Darüber habe ich auch fast den ganzen Abend nachgedacht. Er hat sie um die Geldpreise betrogen, die sie hätte gewinnen können. Würde ihr das etwas ausmachen?«
«Sie würde vielleicht sogar darüber lachen. Du lachst ja selbst. Es könnte sogar sein, daß sie es für einen ziemlich klugen Schachzug hält.«
«Ja. Natürlich hat er auch das südafrikanische Wettpublikum betrogen, aber das zu ahnden, wäre wohl Sache der hiesigen Rennsportbehörden, falls sie ihn erwischen.«
«Wie kommst du darauf, daß es Danilo ist?«
«Nichts, was stichhaltig wäre«, sagte ich frustriert.»Das meiste sind zufällige Bemerkungen und Eindrücke, das wenigste sind Fakten. Also, zunächst mal war Danilo in der Nähe, als die Pferde anfingen, schlecht zu laufen. Ihr Jockey hat mir gesagt, daß Danilo damals im Juni vierzehn Tage in Afrika war, und das muß kurz nach seinem Wiedersehen mit Nerissa gewesen sein, denn er sprach von dem Besuch bei ihr. Danach war er vermutlich für einige Zeit wieder in den Staaten, aber die Pferde verloren weiter, so daß er sie offensichtlich nicht selber ausgeschaltet hat. Es ist überhaupt schwer vorstellbar, daß er jemals die Gelegenheit gehabt hätte, es selbst zu tun, aber er scheint eine Abmachung mit Arknolds Futtermeister zu haben; und ich gebe zu, daß dafür nichts weiter spricht als die Art, wie sie sich ansehen. Danilo paßt übrigens nie auf sein Gesicht auf. Er hütet seine Zunge, vergißt aber sein Gesicht. Nehmen wir also mal an, es ist Barty, der Futtermeister, der das eigentliche Müdmachen besorgt, gegen ein angemessenes Entgelt von Danilo.«
«Hm — und wie, wenn du recht hast?«
«Es gibt nur zwei Methoden, die auch bei längerer Anwendung nicht nachzuweisen sind: übertrainieren, wobei das Rennen beim Galopp daheim verloren wird — aber dahinter steckt immer der Trainer, und die Leute merken es und reden —, oder die Methode, die Barty wohl benutzt, der simple alte Eimer Wasser.«
Charlie sagte:»Man läßt das Pferd dursten, mischt vielleicht sogar Salz in sein Futter und gibt ihm dann ein, zwei Eimer Wasser vor dem Start?«
«Genau. Die Ärmsten können die Distanz nicht durchstehen, wenn ihnen zehn oder fünfzehn Liter Wasser im Bauch herumschwappen. Und was Barty angeht — selbst wenn der nicht immer da sein sollte, um rechtzeitig das Wasser zu kredenzen: Er hat die anderen Pfleger derart eingeschüchtert, die würden sich wahrscheinlich die Ohren abschneiden, wenn er’s ihnen sagt.«
«Aber«, wandte sie ein,»wenn der Futtermeister das schon wochen- und monatelang betreibt, muß der Trainer es doch geschnallt haben.«
«Ich glaube, das hat er auch«, stimmte ich zu.»Anscheinend gefällt es ihm nicht, aber er läßt es durchgehen. Er sagte, das sei >zuviel<, als einer von Nerissas besten Hengsten gestern in einem drittklassigen Rennen unterging. Und dann hat er mir selbst eine Version geliefert von dem, was da vor sich gehen und was daraus werden könnte. Er warf mir vor, ich hätte angedeutet, daß er die Pferde verlieren läßt, damit Nerissa sie verkauft; er könnte sie dann billig übernehmen, wieder auf Siegkurs gehen und sie mit großem Gewinn in die Zucht verkaufen. Ich hatte nur vage in diese Richtung gedacht, aber er traf sofort den Kern, als wäre ihm der Gedanke keineswegs neu. Das hat mich eigentlich erst auf Danilo gebracht. Das und die Art, wie der Junge gelächelt hat, als er eins von den Pferden auf die Bahn hinausreiten sah. Dieses Lächeln war völlig unangebracht. Jedenfalls, wenn er den Wert der Pferde bis zu Nerissas Tod auf beinah Null herunterschrauben kann, braucht er wesentlich weniger Steuern für sie zu bezahlen, als wenn sie alle siegen. Der Unterschied beliefe sich auf zig tausend Pfund, wenn man bedenkt, daß es elf Pferde sind. Dafür würden sich ein paar Südafrikareisen und die
Bestechung des Futtermeisters schon lohnen. Ich glaube, das System soll geändert werden, aber beim derzeitigen Stand des Steuerrechts müßte er Anwärter auf den Reinnachlaß sein, wenn das, was er macht, einen Sinn haben soll.«
«Hilf mir auf die Sprünge«, sagte Charlie.
Ich lachte.»Nun, für alles, was Nerissa besitzt, muß Erbschaftssteuer bezahlt werden. Danach werden die einzelnen Legate verteilt. Was dann übrigbleibt, ist der Reinnachlaß. Obwohl die Pferde in Südafrika sind, wird die Steuer für sie in England erhoben, weil Nerissa dort lebt. Wenn also aus dem Vermögen soundsoviel Tausende an Erbschaftssteuer für die Pferde bezahlt werden müssen, bleiben soundsoviel tausend weniger im Reinnachlaß übrig für Danilo.«
«Kapiert«, sagte sie.»Und noch mal wau.«
«Sind sie dann erst fest in seiner Hand, gibt er den Wassertrick auf, läßt sie gewinnen, verkauft sie oder gibt sie in die Zucht und kassiert auf ein neues.«
«Ja, clever. Sehr clever.«
«Und auch ziemlich einfach.«
«Hör mal«, sagte sie,»können wir in der Richtung nicht auch was probieren? Die Unmenge Zuschlagsteuer, die wir bezahlen… und wenn dann einer von uns stirbt, kostet es uns noch mal ein Riesenstück von dem Kuchen, für den wir bereits Steuern bezahlt haben.«
Ich lächelte.»Mir fällt nichts ein, was so leicht im Wert schwankt wie Pferde.«
«Dann laß uns noch welche kaufen.«
«Und natürlich müßte man auch so ziemlich auf den Monat genau wissen, wann einer stirbt.«
«Ach verdammt«, sagte Charlie lachend.»Das Leben besteht doch aus nichts als sauren Äpfeln und Nackenschlägen.«
«Bei Nackenschlägen muß ich immer an die Zähne eines Vampirs denken.«
«Der Vampir kommt«, sagte sie,»oder die Herren vom Finanzamt.«
«Ich bringe dir ein paar Nuggets aus der Goldmine mit«, versprach ich.
«Oh, danke.«
«Und ich ruf’ dich noch mal an — sagen wir, Donnerstag abend. Da bin ich dann im Krüger-Park. Würde Donnerstag dir passen?«
«Ja«, sagte sie nüchtern, die Freude war verschwunden wie Nebel.»Bis dahin fahre ich zu Nerissa und schau’, was ich rausfinde.«
Kapitel 9
Eine gute Dakota kann man nicht am Boden halten.
Zwei waren es, die auf dem kleinen Flugplatz unweit der Rennbahn von Germiston wartend auf den Spornrädern hockten und ihre Delphinschnauzen hoffnungsvoll gen Himmel reckten.
Zusammen mit mehreren anderen Passagieren bestiegen wir die eine der beiden, die auch eine beträchtliche Menge Frachtgut aufnahm, Montag früh um acht. Tag und Stunde meinten es nicht gut mit Roderick und ließen deutlicher denn je erkennen, daß es längst Zeit für ihn war, den Anschein der Jugend aufzugeben. Der Mann, überlegte ich, lief Gefahr, die Phase, in der er am eindrucksvollsten aussehen konnte, ungenutzt verstreichen zu lassen; wenn Roderick nicht achtgab, würde er von der späten Jugend direkt ins offensichtliche Alter abrutschen, ein Fehler, der im Showgewerbe häufiger vorkam als in der Zeitungsbranche.